Hitzeblase in Paris Olympia kollabiert in der Glut
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Bei den Olympischen Spielen werden Athleten mit Eiswesten und das Publikum mit Sprühnebel heruntergekühlt. Die Hitze gefährdet nicht nur die Leistung – sondern vor allem die Gesundheit.
36 Grad in Paris, teils 41 Grad im Süden Frankreichs: Um die Zuschauenden bei den Olympischen Spielen in Paris zu kühlen, wurden Schläuche und Sprühnebel eingesetzt. In Marseille, wo die Segelwettbewerbe ausgetragen wurden, trugen Teilnehmende sogenannte Kühl- oder Eiswesten, um der Hitze entgegenzuwirken. Darüber, dass es in den Unterkünften der Olympioniken keine Klimaanlagen gibt, wird schon lange gestritten.
Eine Attributionsstudie ergab, dass die Hitzekuppel, die die Olympischen Spiele in Paris traf – und Westeuropa und Nordafrika mit sengenden Temperaturen überzog – ohne die Erderhitzung "praktisch unmöglich" gewesen wäre. Die Attributionsforschung untersucht, welchen Zusammenhang es zwischen Extremwetterereignissen und dem menschengemachten Klimawandel gibt.
Zur Person
Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise, so dass jede und jeder sie verstehen kann.
Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom Medium Magazin zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.
Den Forschenden der World Weather Attribution (WWA) zufolge hat das Verbrennen von Kohle, Gas und Öl die Hitzewelle um rund 3 Grad Celsius heißer gemacht. Die Mitgründerin der WWA und führende Klimawissenschaftlerin Friederike Otto sagte auf X: "Der Klimawandel hat die Olympischen Spiele am Dienstag gecrasht." Ohne die Klimakrise wären die Spiele für den Sport viel sicherer gewesen.
Schon die Olympischen Sommerspiele in Tokio 2021 galten als die heißesten in der Geschichte. Es herrschten Temperaturen von mehr als 34 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von fast 70 Prozent. Olympioniken mussten sich übergeben, fielen an den Ziellinien in Ohnmacht und mussten im Rollstuhl abtransportiert werden.
Angst vor Todesfällen
Im Report "Rings of Fire: Hitzerisiken bei der Paris-Olympiade 2024" berichtet der neuseeländische Tennisspieler Marcus Daniell, dass er davor Angst habe, dass es aufgrund von Hitze zu Todesfällen im Sport kommen könnte. Bei den Spielen in Tokio hatte er Bronze im Herrendoppel gewonnen und selbst unter der Hitze gelitten. Athleten würden sich einem echten Risiko aussetzen, sagt er. Einem, das potenziell tödlich sein kann.
Die indische Spitzentriathletin Pragnya Mohan beschreibt, dass sie in ihrem Heimatland wegen der Hitze nicht mehr trainieren kann. Dem japanischen Geher, Yusuke Suzuki, haben die Folgen der Hitze seine Träume von Olympia bei den Spielen in Tokio zerstört. Zuvor war er Weltmeister von 2019. Die Belastung durch die Hitze hatte anhaltende Auswirkungen auf seine körperliche und geistige Gesundheit.
Existenzielle Bedrohung für den Sport
Der Präsident des Weltleichtathletikverbandes, Lord Sebastian Coe, warnt im Report, dass "der Klimawandel angesichts des weiteren Anstiegs der globalen Temperaturen zunehmend als existenzielle Bedrohung für den Sport angesehen werden sollte". Auch die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland dieses Jahr war von klimabedingten Extremwetterereignissen betroffen.
Aber nicht nur Spitzensportlerinnen und -sportler sind durch Hitze gefährdet. In Deutschland und Europa ist Hitze die größte klimabedingte Bedrohung für die Gesundheit, noch vor Überschwemmungen, Starkregen oder Waldbränden. Doch bisher wird sie zu wenig ernst genommen.
Nach der großen Hitzewelle 2003, bei der in Europa 70.000 Menschen getötet wurden, haben viele Nachbarländer Hitzeschutzpläne entwickelt – darunter Frankreich. Kühlräume und Notfallpläne sind dort seit 20 Jahren bekannt. In Deutschland fängt man in vielen Kommunen gerade erst mit der Entwicklung und Aufklärung an. Dabei hätte es in der Vergangenheit genügend Anlässe dafür gegeben. 2004 entwickelte der Deutsche Wetterdienst ein erstes Warnsystem für Hitze. 2008 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Empfehlungen für Hitzeaktionspläne in Europa. 2017 legte das Umweltbundesamt eine Handlungsempfehlung vor, um entsprechende Pläne zu entwickeln.
60.000 Hitzetote in Europa jährlich
Im Sommer 2022 gab es einer Studie zufolge in Europa mehr als 60.000 Todesfälle, die mit Hitze in Zusammenhang standen. Deutschland lag demnach mit 8.173 hitzebedingten Todesfällen auf Platz drei, nach Italien und Spanien. Laut einer Auswertung des Robert-Koch-Instituts, des Deutschen Wetterdienstes und des Umweltbundesamts starben in den Sommermonaten zwischen 2018 und 2020 mehr als 19.000 Menschen in Deutschland aufgrund von Hitze.
Aktuell hat ein Viertel der über 65-Jährigen in Deutschland ein erhöhtes Risiko, wegen Hitzefolgen ins Krankenhaus zu müssen. Das ergab eine Studie, für die das Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) Abrechnungsdaten der Krankenversicherung AOK auswertete. Die Zahl könnte sich aber schon bis 2050 drastisch erhöhen. Abhängig davon, inwiefern die Erderhitzung gestoppt und Anpassungsmaßnahmen vorgenommen werden, könnten dann bis zu 85 Prozent der älteren Menschen ein erhöhtes Risiko haben.
In Berlin etwa gibt es mittlerweile die Aufklärungskampagne "Bärenhitze". Dort hat sich 2022 ein Aktionsbündnis unterschiedlicher Akteure aus dem Gesundheitsbereich gegründet und gemeinsam ein Warnsystem sowie Musterhitzeschutzpläne für medizinische Dienste und Einrichtungen sowie Bezirksämter erarbeitet, um vulnerable Bevölkerungsgruppen zu schützen. Das Land Berlin gilt damit als Vorreiter in Deutschland. Im Juli trat jetzt ein neues Klimaanpassungsgesetz in Kraft, das entsprechende Schutzmaßnahmen bundesweit verpflichtend macht.
Auf die Alarmsignale achten
Bei Hitze besonders gefährdet sind Menschen mit Vorerkrankungen, Senioren, Schwangere und Kleinkinder, Menschen, die im Freien arbeiten, und Obdachlose. (Auch Haustiere sind gefährdet.) Als Alarmsignale gelten starke Kopfschmerzen und plötzliche Verwirrtheit, trockene, heiße Haut oder wiederholtes, heftiges Erbrechen.
Die Folgen reichen vom Sonnenstich bis zum Hitzschlag. Bei einem Sonnenstich kommt es durch die Hitze zu einer Irritation der Hirnhäute. Von einer Hitzeerschöpfung spricht man, wenn durch starkes Schwitzen zu viel Flüssigkeit im Körper verloren geht. Hitzekollaps beschreibt einen Blutdruckabfall, der zu einer kurzen Bewusstlosigkeit führt. Bei einem Hitzschlag steigt die Körpertemperatur auf über 39 Grad. Er ist lebensgefährlich und bedarf akuter medizinischer Hilfe.
Und das ist längst nicht alles. Hitzeperioden haben auf ganz unterschiedliche Weise ernsthafte negative Auswirkungen auf die Gesundheit von uns Menschen. Hitze beeinträchtigt etwa die mentale Gesundheit und kann die Schlaganfallrate erhöhen. Viele Medikamente verlieren bei hohen Temperaturen ihre Wirksamkeit und müssen entsprechend kühl gelagert werden.
Wie man sich vor Hitze schützen und was man im Notfall tun kann, sollte mittlerweile zum Allgemeinwissen gehören. So weit sind wir in Deutschland lange noch nicht. Weil von staatlicher Seite bisher kaum vorgesorgt wurde, ist jeder und jeder gut beraten, sich selbst zu informieren. Detaillierte Hinweise erhält man etwa bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), die das Thema Hitzeschutz seit Jahren in Deutschland vorantreibt. Dort finden sich auch Leitfäden, wie man entsprechende Pläne in der eigenen Kommune oder Gesundheitseinrichtung auf den Weg bringen kann. Denn Klimaschutz und -anpassung schützen nicht das Klima – sondern uns Menschen. Und unsere Gesundheit.
- Eigene Überlegungen