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Zwanghafte Veganisierung Deutschlands? Das steckt dahinter


Gesünder und ökologischer
Weshalb wir die Rückkehr zum Sonntagsbraten brauchen

MeinungVon Sara Schurmann

09.03.2024Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
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Am Sonntag gegrilltes Fleisch und die anderen Tage eher pflanzliche Kost – das wäre besser für Gesundheit und Klima. (Quelle: IMAGO/Zoonar.com/Kasper Ravlo)

Weniger Fleisch, weniger Joghurt, Käse und Milch: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat ihre Empfehlungen geändert, auch aus ökologischen Gründen. Muss das sein?

Pünktlich zum Start der Grillsaison im vergangenen Jahr ging ein Schreck durch Deutschland. "Nur noch eine Wurst pro Monat für jeden!", titelte die Bild-Zeitung. "Eine zwanghafte Veganisierung Deutschlands und Bayerns macht keinen Sinn", wetterte daraufhin Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). "Ein Leben ohne Schweinebraten mag möglich sein, aber nicht sinnvoll." Was war passiert?

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann. Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hatte angekündigt, in ihren Empfehlungen für eine gesunde Ernährung künftig stärker zu berücksichtigen, welche Auswirkungen unsere Lebensmittel auf Umwelt und Klima haben. Dafür standen unterschiedliche Berechnungsgrundlagen im Raum, unter anderem eine, mit der tatsächlich nur noch 10 Gramm Fleisch pro Tag empfohlen worden wären. Also eine dünne Scheibe Wurst pro Tag – oder eine Currywurst pro Monat.

Zwanghafte Veganisierung?

Diese Woche nun wurde die neue Empfehlung veröffentlicht: Eine Ernährung, die gut für die Gesundheit ist und gleichzeitig ökologisch nachhaltiger, umfasst demnach mehr als drei Viertel pflanzliche Lebensmittel und knapp ein Viertel tierische Produkte. Der empfohlene Anteil von Fleisch, Milch, Joghurt und Käse fällt damit tatsächlich geringer aus als bisher.

Statt drei Portionen Milchprodukte sind es jetzt zwei. Die bisherige Empfehlung von 300 bis 600 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche wurde auf 300 Gramm reduziert. Aber auch komplett auf Fleisch zu verzichten, sei gesundheitlich unbedenklich, wenn man sich entsprechend ausgewogen ernähre.

Auch wenn wir es nicht gerne hören: Dass eine Ernährung, die mehr auf Gemüse, Obst, Nüsse und Getreide setzt, besser für die Umwelt und fürs Klima ist, dürfte sich langsam herumgesprochen haben. Aber warum sollte uns das eigentlich interessieren?

Kühe mit Rotalgen füttern

In den vergangenen Jahren wurde doch zum Beispiel immer wieder über die Klimaschutzidee berichtet, Rotalgen unter das Futter von Kühen zu mischen. Das soll Studien zufolge den Methanausstoß der Tiere um rund 80 Prozent reduzieren. Denn Kühe produzieren beim Verdauen das Treibhausgas Methan, 2022 kamen laut Umweltbundesamt 76 Prozent der gesamten Methanemissionen in Deutschland aus der Landwirtschaft. Der Großteil davon wird durch die Viehhaltung freigesetzt. Wenn wir also für das Methanproblem eine Lösung finden – kann dann nicht fast alles so bleiben, wie es ist?

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Schon der Ansatz, Kühen Rotalgen zuzufüttern, funktioniert nur unter bestimmten Bedingungen. Erstens müssen die Algen angebaut, geerntet, getrocknet und an den Ort der Viehzucht transportiert werden. Das Problem sollte in unserer globalisierten Welt lösbar sein, könnte aber einerseits vorerst teuer werden und würde andererseits zusätzliche Emissionen beim Transport erzeugen. Zweitens müssen die Algen in einem bestimmten Verhältnis zugefüttert werden, und wie viel die Kühe davon zu sich nehmen, kann bei einem großen Teil gar nicht kontrolliert werden, da viele Rinder weltweit unter freiem Himmel gehalten werden.

Füttert man die Rotalgen in einem geringeren Verhältnis zu – oder bei einer anderen Rinderrasse –, könnten die Ergebnisse einer neueren Studie zufolge sehr viel geringer ausfallen als bisher gedacht. Dort ließ sich nur noch eine Reduktion von knapp 30 Prozent messen.

Vielfache planetare Krisen

Tatsächlich ist die Klimakrise aber auch gar nicht die einzige planetare Krise, die wir erleben. Die Belastbarkeitsgrenzen der Erde, auch planetare Grenzen genannt, sind zum Teil bereits massiv überschritten. Das muss bei der Suche nach Lösungen mitgedacht werden.

Für einige Ältere werden die sogenannten planetaren Grenzen nichts Neues sein, schon mit dem Bericht des "Club of Rome" über "Die Grenzen des Wachstums" von 1972 wurden sie bekannt. Wie stark die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde bereits überschritten sind, wurde aber erst in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren qualitativ gemessen und nach und nach veröffentlicht. Klimakrise, Artensterben und Ozonloch sind nur drei der neun definierten Belastungsgrenzen, auch Süßwasserverbrauch, Ozeanversauerung und die Verschmutzung der Atmosphäre fallen darunter.

Drei weitere Kategorien klingen etwas sperriger: Die "Einbringung neuartiger Substanzen und Organismen" misst etwa, wie viel Mikroplastik bereits in den unterschiedlichen Ökosystemen vorhanden ist und ob es dort deren Funktionsweise beeinträchtigt. Selbst im Blut von Menschen wurde Mikroplastik nachgewiesen, was eine Gefahr für unsere Organe darstellen kann. Unter dem Schlagwort "Abholzung und andere Landnutzungsänderungen" wird unter anderem geschaut, inwiefern die Veränderung der Natur durch Menschen deren Fähigkeit beeinträchtigt, CO2 im Boden zu binden.

Gesunde Böden, Wälder und Moore speichern Treibhausgase, Versiegelungen für neue Straßen, Industrie- und Wohngebiete oder Rodungen und Trockenlegungen setzen diese frei. Unter dem Schlagwort "Biogeochemische Kreisläufe" messen Forschende, inwieweit die Menge von Phosphor und Nitrat im Boden und im Wasser die Umwelt belastet. Beide werden als Dünger in der Agrarindustrie verwendet und gelangen so etwa über die Böden und Regen in die Flüsse, von wo aus sie ins Meer gespült werden. Dort fördern sie die Algenblüte, was dem Wasser Sauerstoff entzieht und in der Ostsee für sogenannte tote Zonen sorgt, in denen kaum noch Leben existiert.

Methan ist nicht das einzige Problem

Also selbst wenn wir Methan zu 100 Prozent aus dem Verdauungsvorgang von Kühen eliminieren könnten: Kühe rülpsen und furzen nicht nur, sie fressen und saufen, pinkeln und kacken.

Der Futteranbau, der nötig ist, um all die Tiere zu ernähren, fördert Monokulturen und Rodungen und verschärft so das Artensterben. Die Tierindustrie verbraucht extrem viel Wasser, spült chemische Substanzen in Böden und Gewässer und befeuert so nicht nur die Klimakrise, sondern trägt dazu bei, dass wir sechs der neun planetaren Belastungsgrenzen immer weiter überschreiten.

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Das Ausmaß der Tierindustrie war für mich lange kaum vorstellbar. Schaut man sich die Biomasse auf der Erde an, sind 60 Prozent aller Säugetiere an Land Nutztiere, der größte Teil davon Kühe und Schweine, 36 Prozent sind Menschen – nur vier Prozent (!) sind Wildtiere. Bei Vögeln sieht es ähnlich aus: 70 Prozent sind gezüchtet, nur 30 Prozent wild lebend. Diese Studie von 2015 hat mich und auch viele Expertinnen und Experten, die ich kenne, nachhaltig schockiert. Ich verstehe nicht, warum die Zahlen nicht bekannter sind.

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Rotalgen werden uns nicht retten

Wenn einem diese Zusammenhänge bewusst sind, wird schnell klar: Rotalgen werden uns nicht retten. Sie können höchstens ein kleiner Teil der Lösung sein, aber wenn wir unsere Lebensgrundlagen erhalten wollen, müssen wir die Tierindustrie massiv zurückfahren.

Müssen deswegen jetzt alle vegan leben? Nein, müssen wir nicht. Das macht die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung klar. Sie orientiert sich unter anderem an der sogenannten 'Planetary Health Diet', deren Ziel es war, zu zeigen, wie es möglich ist, bis zum Jahr 2050 etwa 10 Milliarden Menschen auf der Erde gesund zu ernähren, ohne dabei unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Im Wesentlichen bedeutet das die Rückkehr zum Sonntagsbraten, etwas, woran sich meine Großmutter noch gut erinnern kann. Dreimal Fleisch oder Wurst am Tag konnten sich lange ohnehin nur die wenigsten leisten. Wenn wir unsere Versorgung mit Lebensmitteln auch künftig sicherstellen wollen, dann geht das nicht mehr. Aber ein Stück Schweinebraten die Woche – das kann Markus Söder behalten.

Verwendete Quellen
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