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Kindesentführung: "Nie hätte ich sie zurückgegeben!"


Kindesentführung
Alexa: "Nie im Leben hätte ich sie zurückgegeben!"

t-online, Simone Blaß

Aktualisiert am 26.08.2014Lesedauer: 5 Min.
Alexa wusste keinen anderen Ausweg und entführte ihre eigenen Kinder.Vergrößern des BildesAlexa wusste keinen anderen Ausweg und entführte ihre eigenen Kinder. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Jedes Jahr werden mehrere Hundert Kinder aus binationalen Familien von einem Elternteil entführt. Entgegen des allgemeinen Eindrucks sind es in der Regel die Mütter, die ihr Kind aus dem gewohnten Umfeld reißen. Sie befinden sich in einer psychischen Ausnahmesituation. Der Hintergrund ist manchmal Gewalt, in der Regel aber ein Trennungskonflikt, bei dem die Entführer keinen Ausweg sehen. Aber auch eine fehlende Zukunftsperspektive und starke Einsamkeit im fremden Land können Auslöser der Tat sein. So wie bei Alexa, die nur das Beste für ihre beiden Mädchen wollte.

Sie lernten sich in Rom kennen, die schöne blonde Deutsche und der Italiener wie aus dem Bilderbuch. Die Liebe war groß und ihre Krönung waren zwei Töchter, im Abstand von nur 16 Monaten geboren. Den Lebensunterhalt wollte man mit einem Lokal bestreiten. "Aber das lief nicht und das Geld reichte hinten und vorne nicht zum Leben", erinnert sich Alexa.

"Paolo war nur noch weg und wenn er nach Hause kam, dann kam es zu heftigen Streits." Den ganzen Tag saß Alexa mit den beiden Babys zu Hause, ohne Netzwerk, ohne Familie. "Ich hatte das Gefühl, ich könnte nicht mehr atmen und würde es keinen Moment länger aushalten. Also habe ich das Nötigste in unseren Fiat Panda gepackt und bin losgefahren. Ich wollte nur noch heim."

Eine Situation, die Gabriele Scholz vom Internationalen Sozialdienst (ISD) gut kennt. "Eine Frau geht mit ihren Kindern dahin, wo sie sich sicher fühlt, einen Job finden kann, Verwandtschaft und Freunde hat. Das ist innerhalb Deutschlands auch nicht anders, aber da ist es eben keine Entführung." Doch sobald Landesgrenzen im Spiel sind, sieht es anders aus.

"Nie im Leben hätte ich sie zurückgegeben"

Wird ein Kind ohne Zustimmung des anderen Elternteils, der auch das Sorgerecht hat, von einem Land ins andere gebracht beziehungsweise dort festgehalten, dann handelt es sich um eine Kindesentführung. Alexa und Paolo waren nie verheiratet, das Sorgerecht für die Kinder hatte sie. Trotzdem hätte es knifflig werden können, wenn Paolo auf seinem Recht als Vater bestanden hätte.

"Ich habe mein Handeln nie als Kindesentführung gesehen, sondern als das einzig Vernünftige für die Kinder und mich. Aber ein schlechtes Gewissen hatte ich schon." Und wenn sie die Kinder wieder hätte zurückbringen müssen? "Ich wäre ausgeflippt, nie im Leben hätte ich sie zurückgegeben!"

Wenn der Gerichtsvollzieher das Kind holt

Gesetzlich greift hier das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ). Ein multilaterales Abkommen, das allerdings nicht alle Staaten unterschrieben haben. Mit dem HKÜ wird geregelt, ob und wie ein Kind in das Land seines ursprünglichen Aufenthalts zurückgeführt wird. Das kann soweit gehen, dass der Gerichtsvollzieher kommt und das Kind zum Beispiel aus dem Kindergarten holt.

"Ein Paar, das sich trennt und auf der Elternebene gut weiterarbeitet, wird ein Gericht nicht behelligen. Es geht aber um die Fälle, in denen ein Elternteil in einer Nacht- und Nebelaktion abhaut und das Kind damit völlig unvorbereitet aus seinem sozialen Umfeld reißt, es sich nicht verabschieden kann vom Vater, von Freunden, vielleicht von der Oma", erklärt Scholz. "Der Hintergrund ist dabei nicht, dass man, bis die Kinder 18 sind, in dem ungeliebten Land versauern soll, sondern nur, dass man ein geregeltes Verfahren bestreitet. Schließlich kann man von einem erwachsenen Menschen erwarten, dass er sich erst mal der Hilfsmittel bedient, die es in dem jeweiligen Staat gibt."

Schwierig wird es allerdings, wenn Kinder in ein Land entführt werden, das nicht unter das Haager Übereinkommen fällt. Dann ist die Rückholung über den juristischen Weg sehr kompliziert, langwierig und manchmal unmöglich.

Da spielen sich Dramen ab

Doch bei allen anderen Ländern gilt: Der entsprechende Antrag zur Rückführung muss innerhalb eines Jahres gestellt werden, sonst geht man davon aus, das Kind habe sich inzwischen in seiner neuen Umgebung eingelebt. Entscheidend für den Antrag ist, wer vorher das Sorgerecht hatte und ob und wie lange das Kind in dem Land, aus dem es entführt wurde, lebte. In der Regel wird den Anträgen stattgegeben.

Hier wird immer wieder der Vorwurf der Rücksichtslosigkeit laut. Denn Eltern mögen falsch gehandelt haben, aber in vielen Fällen haben sie es nicht ohne Grund getan. Dann ist es durchaus möglich, dass eine Rückkehr das Kind in eine unzumutbare Lage bringen würde. Gabriele Scholz weiß, dass hinter jeder dieser Geschichten ein persönliches Drama steckt. "Nicht immer ist Gewalt im Spiel, manchmal ist den Eltern auch gar nicht klar, was sie da machen."

Es gilt, eine Lösung im Interesse des Kindes zu finden

Letztendlich wird im Einzelfall entschieden. Auch hinsichtlich dessen, ob Gefahr für Leib und Leben bestehen könnte. "Wenn ein Kind vor Gericht glaubhaft machen kann, dass es auf keinen Fall zurück möchte, dann wird ein Richter es nicht einfach so zurückschicken. Und selbst wenn es zurückgeschickt wird, bedeutet das nicht, dass es dort bleiben muss."

Im Interesse des Kindes eine Lösung finden, darum geht es. Und nicht darum, die Verantwortung auf andere abzuschieben. "Jugendamt, Gericht - alle kommen erst dann ins Spiel, wenn man sich nicht einigen kann. Wir vom ISD können auch Vermittler stellen oder an diese weiterleiten. Wir haben auch Arbeitspartner im Ausland, an die man sich gegebenenfalls wenden kann."

Verlustängste sind die Folge

Einer der größten Kritikpunkte am Haager Übereinkommen ist, dass man von gleichen Rechtsverhältnissen in allen Ländern ausgeht. Ein Prozess, der hier nur wenige Monate dauert, kann anderswo aber über Jahre hingezogen werden, zu Ungunsten der Kinder, die überhaupt die Leidtragenden sind. Betrachtet man nämlich das Seelenwohl, dann sind die Auswirkungen auf die entführten Kinder nicht zu unterschätzen. Verlustängste, starke Kontrollversuche und innere Zerrissenheit sind die häufigsten Folgen. Sind Geschwister betroffen, ist es ein wenig einfacher. Sie können ihre Erinnerungen miteinander teilen und aufarbeiten. Traumatisch aber ist eine Kindesentführung immer.

Die Vorwürfe bleiben

Das deutsch-italienische Paar hat für sich eine Lösung gefunden. "Ich hänge an ihm und er an mir und natürlich an den Kindern. Wir sehen uns regelmäßig, besuchen uns, fahren auch mal gemeinsam in den Urlaub und einmal in der Woche wird telefoniert oder geskypt. Auch wenn er mir heute noch Vorwürfe wegen damals macht, im Großen und Ganzen war es immer harmonisch zwischen uns." Nur allein lassen wollte sie Paolo nie mit den Mädchen, auch heute noch nicht. Die Angst, er könnte sich rächen, sitzt tiefer, als Alexa sich das bewusst machen möchte.

Elena und Sarah können sich nicht mehr daran erinnern, je mit ihrem Papa zusammengelebt zu haben. Aber sie wissen noch, wie schlimm es anfangs in Deutschland für sie war, wenn ihre Mama weggegangen ist. "Sie haben sofort angefangen zu schreien, waren nach der Zeit in Italien, in der wir dauernd allein waren, komplett auf mich fixiert." Alexas Töchter waren noch zu klein, um bewusst zu realisieren, was passiert ist. Heute finden die beiden Jugendlichen, ihre Mama habe richtig gehandelt. Schließlich sei der Papa ja nicht aus der Welt, sondern bloß in Italien.

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Beratung und Information zu grenzüberschreitenden Umgangs- und Sorgerechtskonflikten sowie zur internationalen Kindesentführung finden Sie beim Internationalen Sozialdienst (ISD), der auch Träger der Zentralen Anlaufstelle für grenzüberschreitende Kindschaftskonflikte und Mediation (ZANK) ist. Hierher kann man sich auch wenden, wenn man befürchtet, dass eine Kindesentführung geplant sein könnte.

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