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"Man kann über ein Pflichtjahr in der Kita nachdenken"


"Man kann über ein Pflichtjahr in der Kita nachdenken"

  • Claudia Zehrfeld
Von Claudia Zehrfeld

Aktualisiert am 16.08.2019Lesedauer: 6 Min.
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Kinder in der Kita: Der Besuch einer Kindertagesstätte kann Kinder auch bei der Sprachentwicklung unterstützen.Vergrößern des Bildes
Kinder in der Kita: Der Besuch einer Kindertagesstätte kann Kinder auch bei der Sprachentwicklung unterstützen. (Quelle: FatCamera/getty-images-bilder)

Integration, Vermeidung von Bildungsarmut – der heute erschienene Bildungsmonitor macht die Herausforderungen des deutschen Bildungssystems deutlich. Studienautor Axel Plünnecke erklärt die Ergebnisse.

Der INSM-Bildungsmonitor 2019 ist am Donnerstag erschienen. Er zeigt unter anderem, wie die Bundesländer in Sachen Bildung im Vergleich abschneiden. Studienautor Professor Dr. Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ordnet im Interview mit t-online.de die Ergebnisse des INSM-Bildungsmonitors ein und sagt, was die Bildungspolitik jetzt verändern sollte.

t-online.de: Was ist nach der Untersuchung der Bildungssysteme aller Bundesländer Ihr Resümee: Haben Schüler in allen Bundesländern die gleichen Bildungschancen?

Axel Plünnecke: Nein. Die Bildungschancen sind sicherlich unterschiedlich, weil auch die Sozialstruktur in den Bundesländern unterschiedlich ist. Im Bildungssystem spielt die soziale Herkunft generell eine relativ große Rolle für die Ergebnisse am Ende der Schullaufbahn. Und natürlich haben dann Regionen mit sozialen Schwierigkeiten eine noch größere Herausforderung, Bildungsarmut zu reduzieren, eine hohe Schulqualität sicherzustellen und die Integration zu fördern. Aber selbst dort, wo es vergleichbare Voraussetzungen gibt – in Stadtstaaten wie Hamburg und Berlin beispielsweise – gibt es deutliche Unterschiede. Hamburg gelingt es viel besser als Berlin, die Bildungsarmut zu reduzieren. Das liegt unter anderem daran, dass sich Schüler in Hamburg häufig in Vergleichsarbeiten messen müssen, die untersuchen, ob sie die Bildungsstandards erreichen. Durch diese wird deutlich, wo der größte Förderbedarf besteht – und dort wird dann gefördert. In dieselbe Richtung möchte Berlin sein Bildungssystem verändern.

Wer ist der größte Gewinner des diesjährigen Bildungsmonitors?

Hamburg und das Saarland haben sich in den vergangenen Jahren sehr schön entwickelt. In Hamburg gibt es die bereits genannte Steuerung über Vergleichsarbeiten und eine gute Unterstützungsinfrastruktur für Schulen. Mit diesem Konzept ist das Bundesland schon sehr nah an dem, was die Bildungsforschung empfiehlt. Das Saarland hat – wenn auch nicht von dem höchsten Niveau ausgehend – vor allem im Hochschulbereich ausgebaut und auch die Ausgaben im Bildungssystem stark erhöht. Die Schüler-Lehrer-Relation wurde zudem deutlich verbessert. Das Saarland hat sich insgesamt am stärksten verbessert.

Was hat sich im Vergleich zu 2018 verändert?

Man kann im Vergleich zum Vorjahr deutlich sehen: Die Herausforderungen werden größer, was das Thema Teilhabe angeht. Die Gesellschaft wird insgesamt noch einmal ein Stück heterogener und daher muss das Bildungssystem stärkere Impulse setzen, um die Gesellschaft zusammenzuhalten und die Teilhabechancen für alle zu sichern. Ein anderer Punkt ist, was jetzt gerade im Osten eine große Herausforderung ist, dass die Altersstruktur der Lehrer sehr ungleich ist. Sehr viele Lehrer in Sachsen und Sachsen-Anhalt sind weit über 55 Jahre alt. Dementsprechend gehen dort viele Lehrer in den Ruhestand. Gleichzeitig hat man nicht genügend junge Lehrer, die nachrücken können, sodass die Schulen versuchen, über Quereinsteiger die Lücken zu schließen. Aber es gibt auch positive Entwicklungen: So hat die Zuwanderung dabei geholfen, eine positive Trendumkehr bei der Zahl an besetzten Ausbildungsplätzen zu ermöglichen. Und die Anzahl von Studierenden, die aus dem Ausland zum Studium nach Deutschland einwandern, steigt.

Professor Dr. Axel Plünnecke, geboren 1971, ist einer der Autoren des INSM-Bildungsmonitors. Er ist Leiter des Kompetenzfelds Bildung, Zuwanderung und Innovation am Institut der deutschen Wirtschaft.

Ein Ergebnis des Bildungsmonitors ist zudem, dass das Niveau des Bildungssystems bundesweit gesehen stagniert. Was ist der Grund dafür?

Die Länder strengen sich zwar schon seit einigen Jahren stärker an, die Ganztagsinfrastruktur auszubauen und die Bildungsausgaben pro Schüler zu erhöhen. Aber es nehmen gleichzeitig die Herausforderungen stark zu – vor allem bei der Reduktion von Bildungsarmut. Wir haben mehr Schüler, deren Muttersprache eine andere als Deutsch ist, oder die aus Familien kommen, die mehr Unterstützung brauchen als früher. Zwar hat das Bildungssystem mehr finanzielle Mittel bereitgestellt, aber man bräuchte noch mehr, um diese steigenden Herausforderungen zu meistern. Gezielte Bildungsausgaben sind notwendig.

Haben Kinder mit einer anderen Muttersprache generell ein höheres Risiko der Bildungsarmut?

Nur dann, wenn der Migrationshintergrund auch mit einer gewissen Bildungsferne einhergeht. Wir haben bei den Zuwanderern eine relativ große Spreizung, was das Bildungspotenzial der Eltern betrifft: zwischen hochqualifizierten Zuwanderern, die über die Universitäten oder wegen einer Arbeitsstelle hierherkommen und Zuwanderern, die sehr wenig Bildung mitbringen und hier über humanitäre Zuwanderung zunächst einmal unsere Hilfe benötigen. Für einen Teil der Zuwanderer ist die Bildungsferne und, dass sie die Sprache im Bildungssystem nicht beherrschen, eine doppelte Herausforderung. Aber zugleich stecken hier auch große Potenziale.

Deshalb sollte man sie schon früh fördern?

Genau. Da Bildung ein kumulativer Prozess ist, vergrößert das, was ich schon mitbringe, den Lernerfolg. Wenn ich aber die Sprache des Bildungssystems zur Einschulung nicht spreche, fällt der Lernerfolg geringer aus. Deshalb ist die frühkindliche Bildung, die Kita, von ganz hoher Bedeutung. Kinder, die aus schwierigen Verhältnissen kommen, muss man stärker fördern, damit sie in der Schule aus dem gleichen Input den gleichen Lernerfolg erzielen können.

Kürzlich äußerte sich CDU/CSU-Fraktionsvize Carsten Linnemann zu einem Thema, das damit in Zusammenhang steht. Er sagte: "Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen." Sehen Sie das genauso?

Zunächst einmal finde ich es positiv, dass das Thema noch einmal in die Diskussion gebracht wurde. Wir müssen mehr tun, damit die Kinder, die in Deutschland aufwachsen, zu ihrem Schulstart auch die Sprache beherrschen. Das gilt im Übrigen auch für Nichtmigranten. Da sollte man im Bildungssystem die Sprachförderung in den Kitas stärken und kann auch über ein Pflichtjahr nachdenken –, dass jedes Kind zumindest das letzte Kita-Jahr vor der Einschulung besuchen sollte, zum Beispiel, um dort eine Förderung zu bekommen. Ich würde das Zitat nicht so verstehen, dass Kinder, die dann die Sprache noch nicht perfekt können, gar nicht auf die Grundschule dürfen. Sondern auch und gerade sie sollten auf der Grundschule intensiv weitergefördert werden. Aber grundsätzlich sollte es das Ziel sein, dass alle Kinder, die in Deutschland aufwachsen, das Sprachmindestniveau beherrschen, wenn sie in die Grundschule kommen. Gleichzeitig ist die Grundschule aber natürlich auch für Kinder offen, die erst im Alter von fünf, sechs oder sieben Jahren zuwandern. Sie müssen natürlich parallel in der Sprache unterstützt werden – und lernen sie den Erfahrungen nach dann auch relativ schnell.

Der Bildungsmonitor zeigt, dass generell mehr für die Integration getan werden muss. In Thüringen ist der Wert im Bereich der Integration besonders niedrig. Wie ist das zu erklären?

Das ist auf die sehr starke Zunahme der Schulabbrecherquote unter Ausländern zurückzuführen. In Ostdeutschland ist die Zahl der Ausländer generell vergleichsweise niedrig, aber es gibt vor allem relativ wenig Zuzug von bildungsnahen, hochqualifizierten Zuwanderern. Somit ist die Herausforderung größer, die Zugewanderten zu integrieren. Wir messen in dem Bildungsmonitor nicht die Qualität des Bildungssystems an sich im Bereich der Integration, sondern wie hoch die Herausforderung in diesem Bereich ist.

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Wenn man die Daten aus dem Bildungsmonitor im Bereich der Schulqualität mit 2013 vergleicht, sind diese deutlich schlechter geworden. Lassen die Leistungen der Schüler so stark nach?

Auch in diesem Bereich spielt es eine Rolle, dass der Anteil der Schüler, die mehr Förderung benötigen, zunimmt. Deswegen fordern wir, einen Sozialindex als Differenzierung zu etablieren, um den Regionen mehr Geld zur Verfügung zu stellen, wo mehr sozial Schwächere leben.

Was müsste die Politik noch tun? Gehen zum Beispiel das Gute-Kita-Gesetz und der Digitalpakt in die richtige Richtung?

Beim Gute-Kita-Gesetz wäre es schöner, man würde das Geld nicht in Teilen auch für die flächendeckende Abschaffung von Gebühren nutzen, sondern ausschließlich dazu, die Qualität zu verbessern, mehr Sprachförderung anzubieten und intensiver zu betreuen. Man könnte mit der finanziellen Unterstützung den Betreuungsschlüssel in solchen Gruppen verkleinern, die einen erhöhten Förderbedarf haben. Im Bereich Digitalpakt gilt: Man braucht gute Konzepte und eine Weiterbildung der Lehrkräfte. Damit man am Ende nicht einfach nur digitale Geräte im Klassenraum stehen hat, aber die Lehrkräfte damit keinen besseren Unterricht gestalten können. Die große Chance der digitalen Bildung ist eigentlich das Sharing Argument.

Inwiefern?

Wenn in einem Bundesland in einem Schuljahr etwa alle laut Lehrplan im Matheunterricht den Zahlenstrahl sprechen und bestimmte Lehrer tolle Tools entwickeln, mit denen man diesen den Schülern näherbringen kann, dann wäre es toll, diese Idee in einer Cloud mit anderen Lehrern zu teilen. Damit alle sie nutzen können. Außerdem brauchen wir eine flächendeckende amtliche Statistik dazu, wie viele Computer pro Schüler in Schulen vorhanden sind. Da gab es bisher nur Befragungen von Schulleitern oder einzelne Stichproben, aber noch keine Datenbasis, die man eigentlich für eine gute Steuerung eines Bildungssystems braucht. Wir wissen ziemlich genau, wie viele Eier von Hühnern pro Landkreis gelegt werden. Aber wir wissen nicht, wie viele PCs in den Schulen stehen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Plünnecke.

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