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Warum der Medizintourismus boomt wie nie


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Warum der Medizintourismus boomt wie nie

SRT, Stephanie von Aretin

Aktualisiert am 15.07.2018Lesedauer: 4 Min.
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Augenuntersuchung: In Prag sind viele medizinische Leistungen um einiges günstiger als in Deutschland.Vergrößern des Bildes
Augenuntersuchung: In Prag sind viele medizinische Leistungen um einiges günstiger als in Deutschland. (Quelle: SRT, Stephanie von Aretin)

Große Brüste, ein strahlendes Lächeln, das Wunschkind – immer mehr Menschen reisen dafür in Nachbarländer. Das Geschäft mit dem Medizintourismus boomt.

Stephanie B. war gerade noch im Urlaub auf Mallorca. Jetzt liegt sie gut gebräunt, mit hochgebundenem Haarschopf und einem glücklichen Lächeln in einem Krankenhaus in Prag. Draußen scheint die Sonne, ihr Freund wohnt nur 800 Meter entfernt im Hotel, das Klinikzimmer im Hochhaus aus Glas ist modern und freundlich.

Vor der Deutschen liegt ein Termin, auf den sie sich gründlich vorbereitet hat. Sie hat Broschüren bestellt, Webseiten durchforstet, Erfahrungsberichte gelesen. Nur noch 24 Stunden sind es bis zur Operation, von der sie seit Jahren träumt. Die 28-Jährige aus der Nähe von Dresden will sich die Brüste vergrößern lassen.

Günstige medizinische Leistungen

In Prag sind diese und andere medizinische Leistungen um einiges günstiger als in Deutschland. Dabei liegt die Klinik gerade einmal zwei Autostunden vom Wohnort der Patientin entfernt. In der Iscare Klinik, wo Stephanie B. sich behandeln lässt, kommen fast alle Patienten aus Deutschland. Rund 70 unterziehen sich dort im Monat einer Schönheits-OP. Dreiviertel aller Webseitenzugriffe kommen von Frauen, 69 Prozent von ihnen sind im Alter zwischen 18 und 34 Jahren, so die Statistik der Klinik.

Stephanie B. ist also nicht nur typisch für die Zielgruppe, sie steht für einen Trend, in dem viele ein boomendes Geschäft sehen. Denn mehr und mehr Deutsche reisen für eine OP in Orte, die man eigentlich als Touristenmagneten kennt. Statt in Prag über die Karlsbrücke zu flanieren, lassen sie sich Magenballons und Silikonpolster einsetzen. Statt in Alicante am Strand zu dösen, unterziehen sie sich Hormonbehandlungen und oder Eizellenverpflanzungen. Statt Moscheen in Dubai zu besichtigen, werden Zähne gerichtet und Augenlinsen getauscht.

Der Faktor einer schönen Umgebung, eines spannenden Reiseziels, das auch der Partner gern besucht, kommt gewissermaßen kostenlos zur medizinischen Behandlung obendrauf.

Medizintourismus wächst jährlich

Einschlägige Reisemessen wie die ITB sind längst auf diesen Zug aufgesprungen und bewerben das boomende Segment aktiv. Eine Studie von Visa und Oxford Economics bescheinigt dem Medizintourismus jährliche Wachstumsraten bis zu 25 Prozent. Schon jetzt ist die Industrie weltweit etwa 50 Milliarden Euro wert. Weltbeste Kliniken werden gekürt, Fachkongresse veranstaltet und die Herausforderungen für Hotels erörtert, wenn statt der Sonnenanbeter plötzlich Krebspatienten Zimmer buchen.

Auch Stephanie B. hat die Kosten genau durchgerechnet, bevor sie sich für die Brustvergrößerung in Tschechien entschied. "Die Behandlung geht in Deutschland bei rund fünftausend Euro los, normalerweise liegt sie bei acht- bis neuntausend Euro“, sagt sie. In Prag dagegen würden für die gesamte OP Preise ab 1.900 Euro aufgerufen. "Ich konnte Silikonpolster von den besten Herstellern wählen und lag trotzdem bei etwa der Hälfte der Kosten in Deutschland“, berichtet die Patientin.

Am Ende gab jedoch das ausführliche Gespräch mit dem Arzt den Ausschlag. "Er hat sich viel Zeit für mich genommen, rund 45 Minuten", sagt die zweifache Mutter. "Ich hatte nicht den Eindruck, dass er mir etwas verkaufen will. Schließlich hat er einen Ruf zu verlieren."

Unterschiedliche gesetzliche Bestimmungen

Neben den Kosten spielen vor allem unterschiedliche gesetzliche Bestimmungen eine Rolle im globalen Wettbewerb um gut zahlende Patienten. Für künstliche Befruchtungen etwa gelten in Deutschland strenge Auflagen: Eizellspenden und Leihmutterschaft sind verboten. Das Paar muss verheiratet sein, die Frau darf nicht über 40, der Mann nicht über 50 Jahre alt sein. Die so gezeugten Kinder haben zudem ein Recht darauf, Auskunft über ihre biologischen Eltern zu bekommen. Viele gehen da lieber in Länder mit liberaleren Gesetzen.

Die meisten Deutschen allerdings trennen sich nur ungern von den Standards zuhause. So wertet zumindest die Techniker Krankenkasse (TKK) die Ergebnisse einer Studie von 2010. Nur 30 Prozent der Versicherten ohne Auslandserfahrung könnten sich vorstellen, künftig medizinische Behandlungen im EU-Ausland in Anspruch zu nehmen.

Diejenigen, die bereits einmal im Ausland waren, seien jedoch sehr zufrieden. Fast drei Viertel der 40.000 Befragten gab an, sich "ganz bestimmt" noch einmal in einem anderen europäischen Land behandeln zu lassen. Weitere 23 Prozent antworteten mit "eher ja". Nur vier Prozent würden die Behandlung im Ausland nicht wiederholen.

Kliniken bieten einiges

Sprachbarrieren und mangelnde Qualitätsnachweise bilden für die TKK-Befragten die größte Hürde. Das haben auch die Anbieter in Prag erkannt und spezielle Agenturen für Dolmetscherdienste und die Abwicklung der Formalitäten eingeschaltet. Viele Kliniken legen zudem teure TÜV-Zertifikate vor, um die Qualität ihrer Behandlungen nachzuweisen. Freilich können sich interessierte Kunden vor allem auf aufwendig gestalteten Webseiten informieren, Erfahrungsberichte aus erster Hand sind vergleichsweise selten.

Auch Carsten F. aus Friesland entschied sich für eine Operation in Prag. Am Tag zuvor wurde ihm ein Magenballon eingesetzt, jetzt geht es zurück nach Deutschland. "Ich habe keine Schmerzen, aber ein merkwürdiges Druckgefühl", berichtet der 57-Jährige. Der Geschäftsmann probierte über Jahre hinweg alle üblichen Diäten: "Doch mein Übergewicht wurde immer mehr zum Gesundheitsrisiko."

Als er die Entscheidung getroffen hatte, dauerte es von der ersten Email an eine Agentur in Prag bis zum Operationstag vier Monate. "Vielleicht hätte ich sogar eine Kostenübernahme durch die Kassen hinbekommen", sagt er. Am Ende hat er die Rechnung für die tschechische Klinik einfach selbst bezahlt, das deutsche Antragsverfahren war ihm zu kompliziert.

Verwendete Quellen
  • SRT Reiseredaktion
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