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Berufskrankheit Corona: Schon mehr als 300.000 Fälle


Folgekosten völlig unklar
Mehr als 300.000 Deutsche haben Corona als Berufskrankheit


Aktualisiert am 11.01.2023Lesedauer: 5 Min.
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Corona und die Folgen: Bei 300.000 Menschen ist Covid-19 inzwischen als Berufskrankheit festgetsellt worden (Symbolfoto).Vergrößern des Bildes
Corona und die Folgen: Bei mehr als 300.000 Menschen ist Covid-19 inzwischen als Berufskrankheit festgestellt worden (Symbolfoto). (Quelle: Mihai Barbu/imago-images-bilder)

Wer sich in bestimmten Berufen mit dem Coronavirus infiziert, kann das als Berufskrankheit melden. t-online hat die Zahlen ausgewertet: Sie sind explodiert.

Verglichen mit den ersten beiden Pandemiejahren haben die Fälle von Berufskrankheiten 2022 stark zugenommen. Insgesamt hat sich die Zahl der jährlich festgestellten Berufskrankheiten durch das Coronavirus gegenüber der Vor-Pandemiezeit vervielfacht. Dies belegen Zahlen des Spitzenverbands Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), die t-online ausgewertet hat.

Seit Beginn der Pandemie wurden im Zusammenhang mit Covid-19 mehr als 300.000 Fälle von Berufskrankheiten gezählt. Sie tauchen in der DGUV-Statistik unter der Nummer 3101 auf – dem Code für "Infektionskrankheiten". 2019, im letzten Jahr vor der Pandemie, wurden unter dieser Nummer nur 787 Betroffene registriert. Ein Vergleich: Etwa genau so viele Fälle von Rippenfellkrebs durch Asbest wurden damals als Berufskrankheit anerkannt.

Im Juli 2022 mehr Covid-Berufskrankheiten als 2019 insgesamt

2019 wurden insgesamt 20.422 Fälle von Berufskrankheiten aller Art bestätigt. Im Juli 2022 wurden allein 20.711 Fälle coronabedingt anerkannt, mehr als 180.000 im gesamten Jahr 2022. Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber 2021 (102.322 Anerkennungen) und 2020 (18.959). Händeringend suchten Berufsgenossenschaften Mitarbeiter, um die Flut an Fällen bearbeiten und entscheiden zu können. Die Anträge stauten sich. Zum Jahresende 2022 waren noch rund 50.000 Anträge unbearbeitet.

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Die Anerkennung einer Berufskrankheit, eines Berufsunfalls oder eines Schülerunfalls durch Berufsgenossenschaft oder Versicherer muss aber nicht heißen, dass der Betroffene leidet, eingeschränkt oder in Behandlung ist oder gar Rente bezieht. Die Anerkennung ist oft eine Vorsichtsmaßnahme, auch ein milder Verlauf reicht aus, um die Kriterien für die Anerkennung zu erfüllen. Denn: Wenn sich durch die Corona-Erkrankung später noch Krankheitssymptome einstellen würden, hätten die Betroffenen durch die formale Feststellung Sicherheit.

Eine Sprecherin der DGUV erklärt das so: "Vor dem Hintergrund von Long bzw. Post Covid lässt sich nicht absehen, welche Ausgaben auf die Unfallversicherungsträger in den nächsten Jahren zukommen werden." In einem Ratgeber, den die DGUV vor dem Winter herausgegeben hat, heißt es: "Sich zu schützen, macht angesichts dieses schwer einschätzbaren Risikos weiterhin Sinn."

Bei Betroffenen entstehen oft über Jahre oder sogar Jahrzehnte Kosten für die medizinische Behandlung und Rehabilitation sowie eventuell Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder Renten für Erkrankte oder Hinterbliebene.

"Infektionen vermeiden spart allen"

Bei Corona lässt sich noch schlecht abschätzen, wie viele Menschen wann welche Symptome haben oder sie erst bekommen. Verrentung kommt erst infrage, wenn jemand länger als ein halbes Jahr nur eingeschränkt erwerbsfähig ist. "Zahlreiche Rehabilitationsmaßnahmen" liefen auch noch, so die DGUV. Corona-Renten seien 2020 12 und im Jahr 2021 75 zugesprochen worden.

Die Kosten, die die DGUV im vergangenen Sommer für den Pandemie-Zeitraum bis Ende 2021 errechnet hat, hält sie selbst für noch zu tief gegriffen: Pro Fall von Corona als Berufskrankheit und Jahr im Schnitt rund 3.700 Euro. Der Verband mahnte deshalb vor dem Winter, nicht alle Vorsichtsmaßnahmen aufzugeben: "Infektionen zu vermeiden und damit die Kosten für die Sozialversicherung gering zu halten, ist im Interesse aller, denn die Beiträge zur Sozialversicherung zahlen sowohl Arbeitgebende als auch Beschäftigte."

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Covid-19 wird als Berufskrankheit überhaupt nur bei wenigen Berufen mit besonderem Risiko anerkannt: in Gesundheitsberufen, also in Krankenhaus, Arztpraxis, Laboratorien oder Apotheken und in der Pflegebranche, aber auch in Betreuungseinrichtungen oder teilweise bei Berufen, die nahen Kontakt am Menschen haben – Friseure etwa. Die 300.000 Menschen mit anerkannter Berufskrankheit Covid-19 decken also nur einen Teil aller Menschen ab, die nach einer möglichen Infektion auf der Arbeitsstelle erkrankt sind.

Wer keiner der Gruppen mit besonderem Risiko angehört und sich auf der Arbeit oder dem Weg dorthin infiziert hat, kann das allenfalls als Arbeitsunfall geltend machen: 24.786 wurden seit Beginn der Pandemie anerkannt.

Bei Kindern und Schülern Verzehnfachung 2022

Hier kommt auch die Schülerunfallversicherung zum Tragen: Die Fälle von 14.325 Kindern und Jugendlichen, die als Versicherungsfälle anerkannt wurden, kommen etwa je zur Hälfte aus dem Kita-Bereich und aus Schulen, so die DGUV. Deren Sprecherin: "Auch wenn Kinder und Jugendliche seltener schwer erkranken, wird je nach Bedarf das gesamte Leistungsspektrum wie auch bei den Erwachsenen zur Verfügung gestellt. Zusätzlich kann es für diese Versichertengruppe weitere spezielle Leistungsarten wie Nachhilfe geben."

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Die Zahlen bei den Kindern und Jugendlichen sind erst 2022 explodiert, sie haben sich in diesem Jahr verzehnfacht. Die Entwicklung dort haben auch Vertretungen von Eltern von Kindern mit Risikofaktoren zum Anlass genommen, immer wieder für stärkere Schutzmaßnahmen wie Luftfilter zu werben.

Der drastische Anstieg 2022 kommt für die Frankfurter Professorin Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am dortigen Universitätsklinikum, nicht überraschend: "Wenn auch nur ein Bruchteil der Infektionen ein Versicherungsfall ist, kommen bei sehr vielen Infektionen eben auch einige zusammen."

Der starke Anstieg im Laufe der Pandemie deckt sich mit den Beobachtungen aus den Kita-Studien, die Ciesek durchführte: "Größere Ausbrüche gab es erst mit der Delta-Variante im Herbst 2021 zu beobachten. Und 2021 gab es im Vergleich zu 2022 in Schulen und Kitas noch weniger Fälle, weil es 2021 noch Lockdown mit Notbetreuung und Wechselunterricht gab: weniger Kontakte, weniger Infektionen." Und 2022 umgekehrt.

Virologin Sandra Ciesek: Verändertes Bewusstsein

Eine weitere Erklärung liefere auch Omikron: "Mit dieser Variante hat sich die Übertragbarkeit noch einmal erhöht." Die Zahlen zeigten auch, dass man bei einem Virus stets offen sein müsse, welche Veränderungen eine neue Variante mit sich bringt. "Rückblickend hat Omikron viel Wissen über den Haufen geworfen."

Es gebe allerdings keine Hinweise aus der Kindermedizin, dass der Anstieg der Versicherungsfälle sich durch mehr schwere Erkrankungsfälle von Kindern erklären lassen würde. "Omikron war für Kinder weder deutlich ungefährlicher noch gefährlicher als die Varianten vorher, und alle waren insgesamt nicht wirklich eine Bedrohung für Kinder", so Ciesek.

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Der deutliche Anstieg könne zudem durch verändertes Bewusstsein befördert worden sein: "Die Möglichkeit, eine Infektion als Schülerunfall zu melden, war vielen anfänglich nicht so bewusst. Und mit der Berichterstattung über Long Covid wuchs vielleicht auch die Vorsicht, lieber zu melden."

In der zweiten Jahreshälfte 2022 sind der Auswertung der DGUV zufolge die Versicherungsfälle bei Kindern wieder deutlich zurückgegangen. Ciesek dazu: "Das lässt sich zum einen damit erklären, dass nicht mehr so viel getestet wurde", der Nachweis ist also erschwert. "Zum anderen hatten sich im Frühjahr so viele infiziert, die hatten erstmal eine gewisse Immunität."

Das dürfte auch für einen Großteil der Menschen gelten, die beruflich mit diesen Kindern zu tun hatten. Allerdings sind deren Voraussetzungen zur Anerkennung von Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen sehr unterschiedlich. Bei den Berufstätigen im Sektor "Erziehung und Unterricht" entfielen 70 Prozent der Meldungen zu Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen auf Erzieherinnen und Erzieher in Kitas. Lehrer machen nur einen sehr geringen Anteil aus. Das liegt vor allem daran, dass für Beamte andere Regeln nach dem Sozialgesetzbuch gelten.

So hat auch das Verwaltungsgericht Düsseldorf im Dezember 2022 entschieden, dass eine Infektion im Rahmen der Diensttätigkeit bei Beamten in der Regel nicht als Dienstunfall anzuerkennen ist. Geklagt hatten unter anderem zwei verbeamtete Lehrerinnen, die angaben, sich in der Schulen angesteckt zu haben: Eine Grundschullehrerin war im Herbst 2020 zusammen mit gut der Hälfte des Kollegiums nach einer Lehrerkonferenz an Covid-19 erkrankt. Sie scheiterte vor Gericht ebenso wie eine Oberstudienrätin, die erklärt hatte, sich bei zwei Gesprächen mit Schülern mit dem Virus infiziert zu haben. Das Gericht fand: Der Beweis, dass es so zur Infektion kam, war nicht erbracht – und Lehrer seien nicht in erheblich höherem Maße als die restliche Bevölkerung der Gefahr ausgesetzt gewesen, an Corona zu erkranken.

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