Einsatz gegen Unwetterschäden Raketen gegen Hagelkörner
Vereinzelt und ohne eine Strategie in den Gewitterhimmel geschossen sind Hagelraketen wirkungslos. Erst der koordinierte, flächendeckende und auf Radar-Daten abgestützte Einsatz verhindert Unwetter. Darauf schwört der Hagelabwehrverband Ostschweiz und kann Erfolge vorweisen.
Seit die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich in den Jahren 1978 bis 1983 im Napfgebiet zwischen Bern und Luzern mit russischen Hagelraketen Versuche durchführte und nur etwa ein knappes Drittel der aufziehenden Unwetter verhindern konnte, ist das Hagelschießen in der Schweiz umstritten. Anders im Oberthurgau. Hier wurde eine völlig neue Methode entwickelt und von 1999 an getestet. Die Versuche wurden 2007 abgeschlossen. Schon 1998 habe man im Raum Egnach damit begonnen, koordiniert und flächendeckend hagelverdächtige Gewitter nach exakten Vorgaben zu beschießen, berichtet Projektleiter Emil Müller aus Steinebrunn. Man orientierte sich dabei an Daten des Wetter-Radars. "In den letzten zehn Jahren ist in der Region kein Hagelwetter mehr aufgetreten, wenn die Abwehr rechtzeitig und koordiniert erfolgt ist", sagt Müller.
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Wenig Abwehrchancen bei sehr schnellen Fronten
Eine Ausnahme war der 26. Mai dieses Jahres. Außergewöhnlich früh im Jahr hatte sich eine Hagelfront aufgebaut, die sich rasend schnell entlud und in der Landwirtschaft beträchtliche Schäden anrichtete. Die Hagelabwehrschützen hatten keine Chance, das Unwetter rechtzeitig abzuwehren.
Hagelschäden stark zurückgegangen
1998 stand der Thurgauer Hagelabwehrverband noch vor der Auflösung. Müller und ein paar anderen überzeugten Hagelabwehrschützen wurde jedoch die Chance für die Erprobung des neuen Systems gegeben. Aufgrund der Erfolge verlängerte die Wetterschutz-Organisation 2007 das Projekt um weitere vier Jahre. In den Jahren 2005 und 2006 seien im Kanton Thurgau allein an landwirtschaftlichen Kulturen Hagelschäden von je zwei Millionen Franken entstanden, sagt Müller. Die Direktion der Gebäudeversicherung Thurgau bestätigt, dass inzwischen im Abwehrgebiet gegenüber dem nicht beschossenen Teil des Kantons die Schäden massiv zurückgegangen sind. "Vor allem seit sich die Hagelwetter häufen und stärker geworden sind wie in diesem Jahr, steigt auch wieder das Interesse am Hagelschießen", berichtet Müller.
Chronologie Schwere Unwetter richten Schäden an
Unwetterbilder
Steigendes Interesse
Hagelraketen-Spezialist Müller wird aus verschiedenen Schweizer Landesteilen zu Vorträgen eingeladen. 2004 traten elf benachbarte St. Galler Gemeinden dem Thurgauer Verband bei, der heute Hagelabwehrverband Ostschweiz heißt. Die Organisation hat ein bescheidenes Jahresbudget von 150.000 Franken und zählt inzwischen 40 Gemeinden, die je nach Anteil der Kulturlandfläche einen abgestuften Beitrag leisten. Kleinere Verbände gibt es im Kanton Bern und in der Waadt. Bei Landwirten, Gartenbesitzern und Hauseigentümern stoßen auch sie wieder auf zunehmendes Interesse.
Einsatz von Silberjodid
Die rund 200 Hagelabwehrschützen im Ostschweizer Verbandsgebiet absolvierten eine Grundausbildung, die sie mit einer Prüfung abschlossen. Ergänzungskurse vermitteln weiteres Wissen. Eine Hagelrakete fliegt in eine Höhe von 1500 bis 2000 Meter, wo sie explodiert und bis zu einer Milliarde von kleinen Partikeln aus Silberjodid verstreut. Das Silberjodid hat eine ähnliche Gitterstruktur wie Eis. Die ausgebrachten Partikel wirken als Kondensationskeime für die Bildung von Eiskristallen. Um die Hagelbildung effizient zu verhindern, muss das Silberjodid von der Rakete direkt in die Aufwindzone vor dem Gewitter eingebracht werden. So bilden sich Eiskristalle, bevor die Gewitterthermik groß ist. Durch die noch schwache Thermik fallen die künstlich erzeugten Hagelkörner nach unten und tauen in der Übernullgrad-Zone wieder auf. Anstatt Hagel fällt Regen.
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Raketen-Starterlaubnis erforderlich
Die Abwehrkette wird nach einer Unwetterwarnung in Gang gesetzt. Der Hagelabwehrverband Ostschweiz informiert sechs so genannte "Alarmierer", die als Schnittstellen funktionieren. Ihre Standorte sind nach einem Koordinatensystem festgelegt worden. Einer der "Alarmierer" verfolgt jeweils die Wolken, berechnet den Verlauf des Gewitters und analysiert die Hagelgefahr. Bei Bedarf werden die für die einzelnen Sektoren eingeteilten Hagelabwehrschützen per Pager oder SMS aufgeboten und über das Gebiet und die Zeit des Hagelabwehreinsatzes informiert. Um Flugzeuge nicht zu gefährden, muss bei der Luftverkehrsüberwachung Skyguide zuvor eine Raketen-Starterlaubnis eingeholt werden.
Quelle: wetter.info, AP