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Kampagne gegen Corona-Experten? Das ist dran am "Bild"-Artikel gegen Drosten


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"Bild"-Artikel über Drosten
Eine Kampagne gegen Deutschlands Corona-Experten?


Aktualisiert am 26.05.2020Lesedauer: 5 Min.
Christian Drosten: Der Berliner Virologe hat sich nach der Kritik an einer seiner Corona-Studien gegen die "Bild"-Zeitung zur Wehr gesetzt.Vergrößern des Bildes
Christian Drosten: Der Berliner Virologe hat sich nach der Kritik an einer seiner Corona-Studien gegen die "Bild"-Zeitung zur Wehr gesetzt. (Quelle: imago-images-bilder)

Die "Bild" greift Christian Drosten wegen seiner aktuellen Corona-Studie scharf an. Doch der

Um eine Studie des Virologen Christian Drosten entspannt sich eine heftige Kontroverse: Nachdem die Boulevardzeitung "Bild" dem weltweit renommierten Forscher fragwürdige Methoden und unsaubere Arbeit vorgeworfen hat, kontert Drosten mit dem Vorwurf der tendenziösen Kampagnenberichterstattung – dafür erhält er in den sozialen Medien viel Zuspruch.

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Selbst die Wissenschaftler, die "Bild" als Kronzeugen ihrer Kritik aufführt, stellen sich öffentlich hinter den Virologen, der bundesweit für seine fundierten, differenzierten Einschätzungen in der Corona-Krise bekannt geworden ist. Nun stehen die journalistischen Methoden des Blattes im Zentrum der öffentlichen Kritik. Was lief schief bei der Berichterstattung? War die Kritik an Drosten trotzdem berechtigt? Ein Überblick.

Worüber streiten Drosten und "Bild"?

In einer Ende April veröffentlichten Studie der Charité Berlin kam das Forschungsteam von Drosten zu dem Ergebnis, dass "keine signifikanten Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen" bei der Corona-Viruslast feststellbar seien. Demnach könnten junge Menschen ähnlich ansteckend sein wie Erwachsene. Die Erkenntnisse nahmen bundesweit großen Einfluss auf die politischen Entscheidungen der Bundesländer, Kitas und Schulen teilweise geschlossen zu halten.

Die "Bild"-Zeitung schreibt am Montag in ihrem Artikel, dass die Rechnung der Studie nicht aufgehe und greift den Virologen auch persönlich scharf an. Der Zeitungstitel: "Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch". "Wie lange weiß der Star-Virologe schon davon", fragt die "Bild" außerdem auf ihrer Homepage.

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Zunächst einmal änderte die Zeitung eine zentrale Aussage der Drosten-Studie ab: "Das Ergebnis der Drosten-Studie schien eindeutig: Kinder können genauso ansteckend sein wie Erwachsene", heißt es in dem Artikel. In der Studie heißt es aber auf Englisch "may be as infectious", also "könnten".

Um ihre Thesen zu stützen, führt "Bild" Zitate von Wissenschaftlern an, die das Blatt aber nicht persönlich zu den Argumenten gegen Drostens Studie befragt hat. So wird beispielsweise Professor Leonhard Held vom Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich zitiert: "Die Erkenntnisse [der Drosten-Studie] müssen mit einiger Vorsicht interpretiert werden."

Auch die Statistik-Professoren Christoph Rothe und Dominik Liebl von der Universität Bonn benutzt die "Bild" als Kronzeugen. "Dass derart große Unterschiede von den Autoren als 'nicht signifikant' eingestuft werden, liegt daran, dass die verwendeten statistischen Methoden sehr schwach sind", lässt der Autor des Artikels Rothe zu Wort kommen. Der "Bild"-Vorwurf gegen Drosten lautet demnach: Er habe unsauber gearbeitet und die Politik habe auf Basis seiner Erkenntnisse mutmaßlich falsche Entscheidungen getroffen.

Was ist dran an der "Bild"-Berichterstattung?

Ja, es gibt begründete wissenschaftliche Kritik an Drostens Studie. Mehrere renommierte Wissenschaftler kritisieren die statistische Methodik und die Auswertung der Ergebnisse. Unter anderem schildert der Ökonom Jörg Stoye in einem ausführlichen "Spiegel"-Interview seine Kritik. Der Statistiker David Spiegelhalter von der University of Cambridge empfiehlt sogar die Studie zurückzuziehen.

Dieser wissenschaftliche Dissenz muss aber nicht heißen, dass das Studienergebnis unbrauchbar ist. Drosten hatte methodische Mängel der Studie bereits transparent im veröffentlichten Manuskript eingeräumt. Nun sagt er zur Kritik: "Wir haben damals viele gute Anregungen bekommen und inzwischen eingearbeitet. Unsere Schlussfolgerungen werden dadurch sogar noch härter." Er hat auch schon früher die Notwendigkeit eines wissenschaftlichen Diskurses betont.

Ist das in der Wissenschaft so üblich? Veröffentlichen, Kritik einstecken, überarbeiten?

Wissenschaft will durch Forschen und Erkennen neues Wissen zutage fördern. Die Arbeit von Forschern unterliegt üblicherweise strengen Regeln, denn die Methode einer Studie oder eines Forschungsprojekts müssen nachvollziehbar und die Erkenntnisse schlüssig sein. Darum müssen die Forschungsergebnisse zum einen einer Wiederholung der Studie standhalten. Außerdem müssen die Erkenntnisse von unabhängiger Seite kritisch überprüft und kommentiert werden. Erst im Anschluss werden die Ergebnisse normalerweise öffentlich vorgestellt – entweder auf einer Konferenz oder in einer Fachzeitschrift, einem sogenannten "Journal".

"Wissenschaft lebt davon, dass Forscher sich austauschen, ihre Manuskripte bei Fachzeitschriften einreichen und Kollegen das kritisch hinterfragen“, erläuterte der Virologe Stephan Becker kürzlich im Gespräch mit t-online.de. Dadurch würden im besten Fall Unklarheiten und Fehler beseitigt. Die Veröffentlichung von Studienergebnissen dauert aus diesem Grund häufig Monate oder gar Jahre. Drostens Team hat die Ergebnisse hingegen binnen weniger Tage öffentlich gemacht.

Denn die Digitalisierung ermöglicht es inzwischen, Forschungsergebnisse einer größeren Öffentlichkeit deutlich schneller zugänglich zu machen. In der Corona-Pandemie veröffentlichen Forscher ihre Erkenntnisse deswegen zunehmend zuerst auf sogenannten Preprint-Servern. Auf diesen Online-Plattformen sind vorläufige Ergebnisse schon einsehbar, bevor sie von anderen Wissenschaftlern überprüft wurden. Darin liegt zwar eine Chance, die Forschung schneller voranzutreiben. Das Vorgehen birgt aber auch Risiken: Leser, also auch Nichtwissenschaftler wie Medienvertreter, Mediziner oder Politiker können die noch nicht gesicherten Ergebnisse vorschnell falsch interpretieren.

Was sagte Drosten zu der Kritik?

Zunächst hat "Bild" den Virologen mit den Vorwürfen konfrontiert und ihm eine Stunde Zeit eingeräumt dazu Stellung zu nehmen. Drosten wehrte sich daraufhin auf Twitter gegen die Anschuldigungen und veröffentlichte die Anfrage des Blattes mit den Worten: "Interessant: die Bild plant eine tendenziöse Berichterstattung über unsere Vorpublikation zu Viruslasten und bemüht dabei Zitatfetzen von Wissenschaftlern ohne Zusammenhang. Ich soll innerhalb von einer Stunde Stellung nehmen. Ich habe Besseres zu tun." Dabei veröffentlichte der Virologe zunächst auch die Handynummer des "Bild"-Redakteurs, was wiederum auch für öffentlichen Unmut sorgte. Wenig später löschte er den Tweet und veröffentlichte die Mail samt Text erneut auf Twitter, allerdings ohne die Kontaktdaten des Redakteurs.

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In den sozialen Netzwerken bekam Drosten aber vor allem viel Rückendeckung, der Hashtag #IchHabeBessereszutun trendete. Der Virologe kritisierte außerdem das Vorgehen der "Bild" bei der Recherche des Artikels und macht dem Blatt schwere Vorwürfe. "Der Bild-Reporter hat unseren englischsprachigen Mathematiker am Telefon in die Irre geführt", twitterte Drosten. "Er bekam die Auskunft, dass wir grade an einem Update der Studie arbeiten, das aber das Ergebnis nicht ändert. Daraus wird dann eine interne Kritik gemacht."

Wie reagierten Wissenschaftler auf den "Bild"-Artikel?

Viele der von "Bild" zitierten Wissenschaftler rückten umgehend nach Veröffentlichung des Artikels von ihrer Kritik an Drosten ab und griffen ihrerseits die Zeitung an. So schrieb Statistik-Professor Roth auf Twitter: "Niemand von Bild hat mit mir gesprochen, und ich distanziere mich ausdrücklich von dieser Art der Berichterstattung."

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Auch Leonard Held und Dominik Liebl veröffentlichten ähnliche Statements in den sozialen Netzwerken. "Ich wusste nichts von der Anfrage der Bild und distanziere mich von dieser Art Menschen unter Druck zu setzen auf das schärfste", erklärte Liebl. "Wir können uns mehr glücklich schätzen Christian Drosten und sein Team im Wissenschaftsstandort Deutschland zu haben. Sie retteten Leben!" Auch Held distanziert sich auf Twitter ausdrücklich von dem "Ansatz der Bild-Geschichte."

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Die "Bild" erklärte daraufhin, dass die Wissenschaftler bei ihrer Kritik an der Studie bleiben würden, aber dass sie nur "nicht Teil einer "Bild"-Kampagne sein wollten. "Hätte ich gewusst, dass "Bild" diesen Satz liest, hätte ich ihn bestimmt nicht geschrieben. Übersetzt: Ich hätte nicht die Wahrheit gesagt, wenn ich gewusst hätte, dass sie rauskommt", behauptet "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt auf Twitter.

Warum ist die Kritik an der "Bild" aus journalistischer Sicht so groß?

Der "Bild" wird vorgeworfen, die Stellungnahme Drostens nur pro forma angefordert zu haben - an der Stoßrichtung des Beitrags habe sie ohnehin nichts mehr ändern können oder wollen. Dafür spricht die außergewöhnlich kurze Frist: Nur eine Stunde wurde Drosten gegeben, um komplizierte Fragen zu seiner wissenschaftlichen Forschung zu beantworten. Das ist unüblich. Pünktlich nach Ablauf dieser Frist ging der Artikel auch schon online. Zudem soll die Aussage eines Mitarbeiters sinnentstellend verfremdet worden sein.

Das ist sehr unüblich, fügt sich allerdings in der Gesamtschau in eine tendenziöse Berichterstattung der "Bild" über Drosten, die das medienjournalistische Portal "Bildblog" bereits ausführlich aufgearbeitet hat. Schon zuvor hat sie immer wieder Aussagen verdreht und mutmaßlich bewusst falsch dargestellt. Auch die Studie wird nicht zum ersten Mal Gegenstand einer verzerrten Darstellung.

Die Vorgehensweise verleitet nicht nur Beobachter und Medienwissenschaftler zu harten Schlüssen. Auch der ehemalige Chef des Bild-Politikressorts, Georg Streiter, kritisiert “niederträchtige” Recherchemethoden und fehlende Belege. Er macht die Chefredaktion verantwortlich: "Es ist wie bei Hundebesitzern: Das Problem befindet sich in der Regel am oberen Ende der Leine."

Verwendete Quellen
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