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"Es ist sehr erniedrigend": Mieterin erzählt vom Leben hinter Werbeplakaten


Betroffene hat Klaustrophobie in Wohnung
Monatelang Werbebanner vor dem Fenster: "Erniedrigend"

  • Claudia Zehrfeld
Von Claudia Zehrfeld, Yannick von Eisenhart Rothe

24.12.2022Lesedauer: 3 Min.
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Werbebanner an Hausfassade in Berlin:Vergrößern des Bildes
Werbebanner an Hausfassade in Berlin: Die Plane verdeckt die Fenster der Wohnungen. (Quelle: privat)

Tagsüber nur Silhouetten vor dem Fenster. Nachts erleuchten Strahler ihre Wohnung. Eine Betroffene erzählt, wie es sich mit Werbebanner vor den Fenstern lebt.

Anfang November kam die Dunkelheit in Ana Kleinholds Wohnung. Nicht nur die normale Berliner Wintertrübe, schlimmer. Ein Gerüst wurde an dem Wohnhaus, in dem sie in Friedrichshain lebt, aufgebaut. Und an diesem Gerüst befestigten Arbeiter ein riesiges Werbebanner, auf dem ein Technikhersteller seine Produkte anpreist.

"Es war ein Schock", sagt Ana Kleinhold, die eigentlich anders heißt, aber lieber anonym bleiben will, zu t-online. Sie habe zwar gewusst, dass am Haus Renovierungsarbeiten durchgeführt werden sollen. Über das Werbeplakat habe sie und ihre Mitbewohner aber niemand informiert. Tagsüber könnten sie seitdem nur schemenhaft erkennen, was vor ihren Fenstern passiert. "Alles ist grau", sagt Kleinhold, sie bekomme in der Wohnung Klaustrophobie, also Angst in beengten Räumen.

Nachts noch schlimmer als tagsüber

Die düsteren Tage seien aber gar nicht das Schlimmste. Denn sobald die Sonne untergegangen ist, wird die Werbung von hellen Strahlern angeleuchtet. "Die Strahler sind direkt auf Schlaf- und Wohnzimmer ausgerichtet", sagt Kleinhold. "Bis 22 Uhr ist es in der Wohnung wie in einem Stadion." Das Leben in der Wohnung sei wie umgedreht. Dunkel am Tag, hell am Abend. Kleinhold nennt die Situation "sehr erniedrigend".

Aber ist das überhaupt erlaubt? Die Hausverwaltung habe ihnen mitgeteilt, dass die Werbung für drei Monate genehmigt worden sei. Danach werde eventuell nochmal für drei Monate eine andere Werbung angebracht. Das Bezirksamt habe das riesige Plakat demnach genehmigt.

Tatsächlich sind Werbebanner an Baugerüsten laut Berliner Bauordnung für bis zu sechs Monate im Jahr legal. Allerdings müssen auch wirklich Bauarbeiten stattfinden, die das Gerüst rechtfertigen. Ana Kleinhold sagt, dass sie bisher keine Bauarbeiten mitbekommen habe. Die Hausverwaltung äußert sich auch auf Anfrage von t-online nicht zu den Vorwürfen.

Planen am Gerüst seien etwa bei energetischen Maßnahmen an der Fassade für Staub- und Lärmschutz notwendig, sagt Christoph Albrecht. Er ist Rechtsanwalt und Sprecher des Berliner Mieterschutzbundes. Teilweise werde dies aber als Vorwand missbraucht, um Werbebanner anzubringen. Geld spiele dabei eine Rolle, seiner Einschätzung nach aber eine untergeordnete, sagt Albrecht. "Manche Vermieter versuchen damit, Mieter aus der Wohnung zu graulen", sagt er.

"Es gibt eine Handhabe"

Das Werbeplakat vor Kleinholds Wohnung ist kein Einzelfall. Anfang November machte ein Fall in Neukölln Schlagzeilen, bei dem eine nicht genehmigte Reklame ein Wohnhaus verdeckte. Der RBB berichtete über ein ähnliches Vorkommnis in Charlottenburg. Dort verhüllt ein Werbeplakat seit über einem Jahr ein Wohnhaus. Angekündigte Bauarbeiten hätten nicht stattgefunden, lediglich das Werbemotiv sei alle paar Wochen gewechselt worden, heißt es in dem Bericht.

Anwalt Albrecht ermutigt betroffene Mieterinnen und Mieter dazu, sich gegen Werbebanner zu wehren. "Es gibt eine Handhabe", sagt er. Viele Mieter fürchten sich seiner Einschätzung davor, rechtlich gegen ihre Vermieter vorzugehen, weil sie sich vor einer Kündigung fürchteten. "Das Risiko ist aber gering", sagt Albrecht.

Der Berliner Mieterverein rät Betroffenen, sich rechtlich beraten zu lassen. Sie seien dazu berechtigt, die Miete zu mindern, je nach Fall um bis zu 20 Prozent. Außerdem sollten sie sich beim Bezirksamt erkundigen, ob die Werbung genehmigt sei. Wenn nicht, könne man die Behörden dazu auffordern, einzuschreiten.

Auch Kleinhold hat ihre Miete um 20 Prozent heruntergesetzt. Renovierungsarbeiten habe es noch immer nicht gegeben. "Seit November kamen nur ein einziges Mal Arbeiter, um die Fenster zu überprüfen", sagt sie. "Nur ein einziges Mal." Mittlerweile ist die Technikwerbung einem Werbebanner für einen Softdrink gewichen. Die Dunkelheit ist immer noch da.

Verwendete Quellen
  • Schriftliches Interview mit Ana Kleinhold (Name von der Redaktion geändert)
  • Telefonat mit Christoph Albrecht vom Mieterschutzbund Berlin
  • Telefonat mit der Komplex Grundstücksverwaltung
  • Anfrage an den Berliner Mieterverein
  • gesetze.berlin.de: Bauordnung für Berlin
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