RKI-Chef Wieler: "Wir waren noch nie so beunruhigt"
Der PrΓ€sident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, hat ein dramatisches Bild der Corona-Lage in Deutschland gezeichnet. "Wir laufen momentan in eine ernste Notlage. Wir werden wirklich ein sehr schlimmes Weihnachtsfest haben, wenn wir jetzt nicht gegensteuern", sagte Wieler am Mittwochabend bei einer Online-Diskussion mit dem sΓ€chsischen MinisterprΓ€sidenten Michael Kretschmer (CDU).
Die Zahl der Neuinfektionen steige steil an, und tatsΓ€chlich dΓΌrfte sie weitaus hΓΆher sein als bekannt: "Die Untererfassung der wahren Zahlen verstΓ€rkt sich." Hinter den mehr als 50.000 Infektionen, die derzeit pro Tag neu registriert wΓΌrden, "verbergen sich mindestens noch einmal doppelt oder dreimal so viele", so der RKI-Chef.
Zuletzt seien 0,8 Prozent der Erkrankten gestorben. Das bedeute, dass von den mehr als 50.000 Infizierten pro Tag in den nΓ€chsten Wochen 400 sterben wΓΌrden. "Daran gibt es nichts mehr zu Γ€ndern." In der Bundespressekonferenz habe er zuletzt noch etwas zurΓΌckhaltender von 200 Toten pro Tag gesprochen, tatsΓ€chlich sei die Zahl aber hΓΆher. Niemand kΓΆnne diesen Menschen noch helfen, selbst mit bester medizinischer Versorgung nicht.
Auch die Lage in den KrankenhΓ€usern wird laut Wieler immer schlimmer. "Wir waren noch nie so beunruhigt wie jetzt", sagte der RKI-Chef. Die Zahl der schwerkranken Covid-Patienten steige, fΓΌr Menschen mit Schlaganfall und andere Schwerkranke mΓΌsse mancherorts bis zu zwei Stunden nach einem freien Intensivbett gesucht werden. "Die Versorgung ist bereits in allen BundeslΓ€ndern nicht mehr der Regel entsprechend." Und das werde noch zunehmen.
"Sie sehen, die Prognosen sind superdΓΌster. Sie sind richtig dΓΌster", sagte Wieler. "Es herrscht eine Notlage in unserem Land. Wer das nicht sieht, der macht einen sehr groΓen Fehler." Dabei habe das RKI frΓΌhzeitig sehr klare Handlungsempfehlungen ausgesprochen und gewarnt, dass die vierte Welle alle bisherigen deutlich ΓΌbertreffen kΓΆnnte, wenn keine "bevΓΆlkerungsbezogenen MaΓnahmen" ergriffen wΓΌrden und die Impfquote nicht deutlich steige. TatsΓ€chlich seien die modellierten Szenarien nun eingetroffen.
Wieler warf der Politik schwere Fehler und VersΓ€umnisse vor. "Wir haben zu schnell in zu vielen Bereichen geΓΆffnet", kritisierte er. "Clubs und Bars sind Hotspots, aus meiner Sicht mΓΌssen die geschlossen werden." GroΓveranstaltungen mΓΌssten abgesagt werden. In der BevΓΆlkerung gebe es viel zu viele Kontakte, dabei wisse man schon aus der ersten Corona-Welle, dass KontakteinschrΓ€nkungen wirksam seien.
Zugleich plΓ€dierte Wieler fΓΌr die konsequenten Durchsetzung von 2G-Regeln, also den Zutritt zu vielen Bereichen nur fΓΌr Geimpfte und Genesene. "Wir dΓΌrfen denen, die sich nicht impfen lassen, wirklich nicht die Chance geben, die Impfung zu umgehen, zum Beispiel, indem sie sich freitesten lassen", sagte er. Um das Impf-Tempo zu erhΓΆhen, sollte auch in Apotheken geimpft werden.
"Ich sag das jetzt mal ganz klar: Es muss jetzt Schluss sein, dass irgendwer irgendwelchen anderen Berufsgruppen aufgrund von irgendwelchen UmstΓ€nden nicht gestattet, zu impfen. Wir sind in einer Notlage", betonte Wieler. "Jeder Mann und Maus, der impfen kann, soll jetzt gefΓ€lligst impfen. Sonst kriegen wir diese Krise nicht in den Griff."
Wieler forderte die Politik dazu auf, endlich zu handeln. "Wir mΓΌssen nicht stΓ€ndig etwas Neues erfinden. Alle diese Konzepte und Rezepte sind vorhanden", sagte er. "Das ist 'ne klare Sprache, aber ich kann nach 21 Monaten es auch schlichtweg nicht mehr ertragen, dass es nicht vielleicht erkannt wird, was ich unter anderem sage und auch viele andere Kolleginnen und Kollegen."