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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Katholische Kirche Missbrauchsaufarbeitung gescheitert – Betroffene tief enttäuscht

Ein Gremium der Bistümer Berlin, Görlitz und Dresden-Meißen sollte die Verbrechen der Vergangenheit aufklären und aufarbeiten. Das ist gescheitert. Die Arbeit wird als "dysfunktional" beschrieben. Was steckt wirklich dahinter?
Die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in den katholischen Diözesen Berlin, Görlitz und Dresden-Meißen ist vorerst gescheitert. Die gemeinsame Kommission wurde Ende Mai aufgelöst.
Nach mehreren Rücktritten aus der Kommission hätten die Bischöfe entschieden, die Arbeit zu beenden. Auf Rückfrage zu den Gründen nannte Bischof Heinrich Timmerevers aus Dresden-Meißen unter anderem unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Kommission. Die Zusammenarbeit sei "dysfunktional" gewesen. Bischof Heiner Koch aus Berlin wollte den Ausführungen seines Dresdner Amtskollegen nichts hinzufügen.
Die Interdiözesane Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs (IKA) hatte im Mai 2023 ihre Arbeit aufgenommen – die Vorbereitungen liefen bereits seit 2021. Neun Fachleute aus Justiz, Medizin und Politik sollten Missbrauchsfälle untersuchen. Die Kommission sollte auch Strukturen aufdecken, die den Missbrauch ermöglicht oder erleichtert haben.
"Die Kommission war nie wirklich unabhängig"
Für Matthias Katsch vom "Eckigen Tisch", einer Initiative von Betroffenen sexuellen Missbrauchs durch Kleriker, war diese Konstruktion von Anfang an zum Scheitern verurteilt. "Die Kommission war nie wirklich unabhängig", sagt er.

Zur Person
Matthias Katsch (geb. 1963) ist einer der bekanntesten Aktivisten für die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Als Mitbegründer und Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch" wurde er 2010 maßgeblich an der öffentlichen Aufdeckung des Missbrauchsskandals beteiligt. Für sein Engagement wurde ihm 2021 das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Timmerevers widerspricht solchen Vorwürfen. Die Kommission habe "weisungsfrei" gearbeitet. Die Mitglieder seien von Landesregierungen, Bistümern und einem Betroffenenbeirat benannt worden. "Das ist wirklich sehr beschönigend", kontert Katsch. "Sie hatte keine eigene finanzielle Grundlage und stand unter dem Einfluss der Bistümer: Spätestens damit, dass die Bischöfe die Kommission auflösen konnten, ist belegt, dass sie in deren Auftrag unterwegs waren."
Katsch fordert seit Jahren eine unabhängige Untersuchungskommission auf Bundesebene. Vorbild seien die sogenannte "Royal Commissions" in Großbritannien und Australien. "Doch bis heute will weder der Bundestag noch eines der Länder diese Verantwortung wirklich übernehmen", kritisiert er.
Dabei sei nur eine bundesweite Untersuchung wirklich zielführend, argumentiert Katsch. Denn die katholische Kirche in Deutschland besteht aus 27 eigenständigen Bistümern, die bei der Aufarbeitung nicht zusammenarbeiten würden. "Täter wurden allerdings jahrzehntelang von einem Bistum ins nächste versetzt", sagt er. "Wenn die Polizei auf den Fersen war, schickte man sie in die Mission nach Lateinamerika." Solche Praktiken ließen sich nur aufklären, wenn alle Bistümer gemeinsam untersucht würden.
Katsch selbst wurde als Schüler an einem katholischen Gymnasium in Berlin mehrfach Opfer sexualisierter Gewalt. Das Scheitern der Kommission hat er resigniert aufgenommen: "Ich habe keine Hoffnung mehr, dass es eine Aufklärung dieser zahlreichen Missbrauchsverbrechen geben wird."
Bischöfe versprechen Neustart
Die Bischöfe bedauern die Auflösung der Kommission. Man fühle sich der Aufarbeitung weiter verpflichtet und werde prüfen, wie diese fortgeführt werden könne.
Katsch kritisiert besonders das Schweigen der Politik: "Die Bischöfe können daraus nur ableiten, dass sie weiterhin tun und lassen können, was sie wollen. Der Versuch einer Aufarbeitung ist aus Sicht vieler Betroffenen gescheitert."
- Telefonisches Interview mit Matthias Katsch
- Antwort von Bischof Heinrich Timmerevers auf t-online-Anfrage – per Mail eingegangen
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa