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"Artgemeinschaft": Das steckt hinter der Neonazi-Sekte und Arzt Gerhard H.


"Wehrhaftigkeit bis zur Todesverachtung"
Ein Arzt und die Neonazi-Sekte

  • Matti Hartmann
Von Matti Hartmann

Aktualisiert am 27.09.2023Lesedauer: 3 Min.
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Zwei der Söhne von H. mit einem weiteren Kameraden: Im Internet posiert die Familie gerne mit Waffen.Vergrößern des Bildes
Zwei der Söhne von H. mit einem weiteren Kameraden: Im Internet posieren Mitglieder der rechtsextremen Familie mit Waffen. (Quelle: Screenshot)

Vermummte Elitepolizisten stürmen ein Wohnhaus mit Arztpraxis. Der Mann, der hier lebt und arbeitet, gehört zur rechtsextremen "Artgemeinschaft". Was macht ihn gefährlich?

Die Razzia war akribisch vorbereitet: Am frühen Mittwochmorgen haben verschiedene Polizeieinheiten in zwölf Bundesländern zugeschlagen. Sie nahmen sich 26 Wohnungen und Räumlichkeiten der sogenannten "Artgemeinschaft" vor.

Der mit 150 Mitgliedern recht kleine Verein ist eine der ältesten rechtsextremen Organisationen Deutschlands. 1951 gegründet, versteht sich die Gruppierung als neuheidnische Elite – als Speerspitze einer völkisch-germanischen Neonazi-Bewegung.

Einsatz in Essen: Zugang zu Waffen – und Glauben an den "Tag X"

Auch in Essen verschafften sich Polizisten Zutritt zum Haus eines mutmaßlichen Vereinsmitglieds. Die Beamten kamen vermummt und bewaffnet in den Stadtteil Bredeney. Denn der Einsatz bei dem Arzt Gerhard H., der in dem Haus lebt und eine Praxis betreibt, galt als riskant: Er und seine Söhne haben Zugang zu Waffen – und zeigen diese auch auf Aufnahmen im Internet.

Der Allgemeinmediziner war früher Fallschirmjäger. Recherchen des Portals "lsa-rechtsaussen.de" und des Redaktionsnetzwerks Deutschland zufolge soll er zudem der Hannibal-Chatgruppe "West" angehört haben, deren Teilnehmer sich auf einen Zusammenbruch der Staatsordnung an einem herbeigesehnten "Tag X" vorbereiteten.

Das rechtsextreme Netzwerk: Kubitschek, Heise, AfD

H. habe sich als Prepper betätigt, heißt es. Die Familie besitze in der Nähe vom thüringischen Saalfeld ein dörfliches Anwesen, das als Rückzugsort und Jagdresidenz diene. Wie Fotos zeigen, unterhält H. auch zum Neonazi-Kader Thorsten Heise gute Kontakte.

Drei seiner Söhne sind ebenfalls tief ins rechtsextreme Netz verstrickt. Einer hat zum Beispiel ein Kind mit einer Tochter des rechtsextremen Vordenkers Götz Kubitschek. Zudem gibt es intensive Verbindungen zur "Identitären Bewegung", zur AfD und zu militanten Neonazis.

"Gleichgeartete Gattenwahl" bei der "Artgemeinschaft"

In Essen bemerkten jedoch offenbar nur wenige Patienten die extreme Einstellung ihres Arztes. Bei Google kann der Allgemeinmediziner auf überwiegend positive Rezensionen verweisen. Auch User mit türkischen Namen loben ihn: H. nehme sich viel Zeit und kümmere sich, es herrsche eine freundliche, ehrliche und offene Atmosphäre.

Im Berufsalltag scheint H. seine Überzeugungen also geschickt versteckt zu haben, obwohl seine "Artgemeinschaft" eine zutiefst rassistische Organisation ist. Die Mitglieder, die ein Prozent ihres Nettoeinkommens an den Verein abführen müssen, leben laut Verfassungsschutz strikt nach einem sogenannten "Sittengesetz" der "Ahnen".

"Germanischen Heiden gebietet das Sittengesetz 'gleichgeartete Gattenwahl'", hieß es auf der inzwischen nicht mehr zu erreichenden Internetseite der "Artgemeinschaft". Mitglied in Verein und Glaubensgemeinschaft könne nur werden, wer "entweder der Fälischen Rasse, der Nordischen Rasse oder einer Verbindung beider Rassen entstammt". Asiaten oder Schwarze könnten "der 'Gemeinschaft unserer Menschen' nicht angehören". Mehr zur Gedankenwelt des Neonazi-Vereins lesen Sie hier.

"Bei den Germanen wurde sowas im Moor versenkt"

Der NPD-Politiker Jürgen Rieger, der bis zu seinem Schlaganfall-Tod 2009 auch Vorsitzender der "Artgemeinschaft" war, antwortete mit Mordfantasien auf die Frage, was er tun würde, wenn sich seine Tochter mit einem Mann von dunkler Hautfarbe zusammentun würde.

"Das wäre das Abschneiden des Erbfadens, das Abschneiden der Wurzel, und das wäre das Schlimmste überhaupt", sagte er – und schob nach: "Das geht heute nicht, aber bei den Germanen wurde so was im Moor versenkt."

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Sektenartige Feste

Die "Artgemeinschaft" arbeitete vorwiegend im Verborgenen. Laut Bundeszentrale für politische Bildung trat sie nach außen hin zurückhaltend auf: Die Gruppe habe vor allem im geschlossenen Rahmen germanisch-heidnische Feste gefeiert und regelmäßig sogenannte "Gemeinschaftstage" mit bis zu 250 Teilnehmern veranstaltet.

"Diese rechtsextremistische Gruppierung hat versucht, durch eine widerwärtige Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen neue Verfassungsfeinde heranzuziehen", erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Mittwoch, als sie das Verbot der "Artgemeinschaft" samt ihrer Teilorganisationen wie "Gefährtschaften", "Gilden" und dem "Familienwerk e.V." bekannt gab. Ihr Ministerium bezeichnet die "Artgemeinschaft" in einer Mitteilung als sektenartig.

Die NSU-Connection und der Mörder von Walter Lübcke

Die Vereinsmitglieder hatten gute Kontakte zur gewaltbereiten Neonazi-Szene. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung erfüllte der Verein eine Scharnierfunktion zwischen den verschiedenen Strömungen der extremen Rechten. In seiner Eigendarstellung bezeichnete er sich als "Kampfverband". Die Mitglieder schworen "Tapferkeit und Mut in jeder Lage, Kühnheit und Wehrhaftigkeit bis zur Todesverachtung" – sowie "Gefolgschaft dem besseren Führer".

Der wegen Unterstützung der Terrorzelle NSU verurteilte André E. soll an Treffen der "Artgemeinschaft" teilgenommen haben. Der im NSU-Prozess wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilte Ralf Wohlleben bewegte sich im Umfeld des Vereins. Und Stephan Ernst, der Mörder des Regierungspräsidenten Walter Lübcke, war laut "taz"-Bericht sogar Mitglied – bis er 2011 ausgeschlossen wurde, weil er seine Mitgliedsbeiträge nicht mehr bezahlt habe.

t-online hat den Essener Arzt Gerhard H. um eine Stellungnahme zu seiner Mitgliedschaft bei der "Artgemeinschaft" gebeten. Bisher hat er nicht geantwortet.

Verwendete Quellen
  • Anfrage an Gerhard H.
  • bmi.bund.de: Mitteilung des Bundesinnenministeriums vom 27. September 2023
  • mi.sachsen-anhalt.de: Verfassungsschutzbericht 2021
  • bpb.de: Artgemeinschaft
  • lsa-rechtsaussen.net: "'Sieg Heil, Herr Hauptmann'"
  • waz.de: "Razzia gegen Neonazisekte: Arztpraxis in Bredeney durchsucht"
  • fh-dortmund.de: "Germanische Artgemeinschaft, Waffen und völkische Siedlungen"
  • rnd.de: "Die rechtsradikale 'Kreuz'-Connection und die Bundeswehr"
  • taz.de: "Ende des völkischen Treibens"
  • spiegel.de: "Innenministerium verbietet rassistische Germanen-Sekte"
  • Eigene Recherchen
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