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Israel-Krieg: Israelisch-palästinensisches Duo besucht Schulen


Jüdisch-palästinensisches Duo
"Schüler fragen, ob ein dritter Weltkrieg ausbrechen könnte"

InterviewVon Thomas Terhorst

31.10.2023Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Die Deutsch-Palästinenserin Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann, deutsch-jüdisch mit israelischen Wurzeln, gehen mit Schülerinnen und Schülern in den Dialog.Vergrößern des Bildes
Die Deutsch-Palästinenserin Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann, deutscher Jude mit israelischen Wurzeln, sprechen gemeinsam an Schulen. (Quelle: Transaidency e.V / Gesellschaft im Wandel gUG / Montage)

Der Israeli Shai Hoffmann und die Palästinenserin Jouanna Hassoun gehen gemeinsam in Schulen, um über den Nahost-Krieg zu sprechen. Was sie dort erleben – und was die Teenager bewegt.

Aufgrund des Nahost-Krieges herrscht an vielen Schulen in Deutschland eine aufgeheizte Stimmung. Der Krieg lässt auch viele Jugendliche nicht kalt. An einer Schule in Berlin ist die Situation zuletzt derartig aus dem Ruder gelaufen, dass ein Schüler nach dem Zeigen einer Palästina-Flagge mit einem Lehrer aneinandergeraten ist.

Gerade in diesen schwierigen Zeiten sei es besonders wichtig, in den Dialog zu gehen, sagen die Deutsch-Palästinenserin Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann, deutscher Jude mit israelischen Wurzeln. Seit vergangener Woche gehen sie bundesweit an Schulen, um dort mit jungen Menschen über das aktuelle Geschehen ins Gespräch zu kommen. Das Erich-Brost-Berufskolleg in Essen besuchten sie am Donnerstag, weitere Schulen in Köln folgten. Welche Situationen ihnen an den Schulen begegnen, erzählt Shai Hoffmann im Interview.

t-online: Herr Hoffmann, was hat Ihre Kollegin Jouanna Hassoun und Sie bewegt, mit Ihrem Diskussionsformat an die Schulen zu gehen?

Shai Hoffmann: Wir sind schon länger in der politischen Bildung aktiv. Wir haben persönliche Bezüge zu dieser Region, also zu Israel und Gaza beziehungsweise Palästina, aber der 7. Oktober 2023 war eine Zäsur. Das, was passiert ist, war der Grund, warum wir begonnen haben, darüber nachzudenken oder zu beobachten, was hier in unserer Gesellschaft passiert. Wir sind zu der Feststellung gekommen, dass hier Dinge teilweise gegeneinander ausgespielt werden, also Rassismus gegen Antisemitismus und andersherum. Auslöser war aber auch das Video, das im Netz kursiert, in dem ein Schüler eines Gymnasiums in Berlin-Neukölln eine Palästina-Flagge zeigt, der Lehrer ihm diese wegnimmt und mit ihm aneinander gerät. Infolgedessen haben wir gemerkt, dass auch mit diesem Verbotserlass seitens der Bildungsbehörde, der pauschal alle palästinensischen Symbole untersagt, der Diskurs in eine falsche Richtung geht.

Was erhoffen Sie sich von den Gesprächen mit den Schülerinnen und Schülern?

Wir wollen mit ihnen über ihre Emotionen sprechen. Optimal wäre es, wenn sie erkennen, dass verschiedene Emotionen erst einmal nebeneinander stattfinden können. Also sowohl die Gedanken und Emotionen, die Jouanna als Deutsch-Palästinenserin hat, als auch ich als Deutsch-Jude mit israelischen Wurzeln. Es gibt ja auch Jugendliche, die vielleicht selbst betroffen sind von Kriegen und Traumata. Zunächst einmal ist unser Ziel, dass die Schmerzen, die vorhanden sind, unkommentiert zur Sprache kommen können. Außerdem sollen die Schülerinnen und Schüler feststellen: "Dieser Krieg und dieser Konflikt, der ja schon seit Jahrzehnten andauert, der ist viel komplexer und widersprüchlicher, als ich gedacht habe."

t-online: Welche Situation finden Sie an den Schulen vor? Was bewegt die Jugendlichen?

Ich habe das Gefühl, dass die Verunsicherung groß ist. Viele Schülerinnen und Schüler haben uns gefragt, ob ein dritter Weltkrieg ausbrechen könnte. Sie haben richtig Angst davor. Sie fragen sich aber auch, ob es in der Region je Frieden geben wird. Zwei Jugendliche haben angefangen zu weinen, weil das alles für sie emotional zu viel ist oder zu schwer wiegt. Ich würde sagen, dass die Stimmung sehr betrübt ist, weil wir eben nicht nur diesen furchtbaren Krieg in Israel und Palästina erleben, sondern auch Jugendliche haben, die zusätzlich anderen Krisen ausgesetzt sind. Die sich darüber Gedanken machen, wie es mit der Klimakrise weitergeht, die vielleicht auch persönliche Bezüge zum Ukraine-Krieg haben. Ich habe das Gefühl, dass das von Pädagoginnen und Pädagogen nicht aufgefangen werden kann. Wie auch? Bei dem Schulplan und Lehrermangel.

Pro-Israel und Palästina Kundgebungen in Bochum
Fahnen einer pro-palästinensischen Demo sind im Hintergrund einer pro-Israel-Demo zu sehen. (Quelle: Fabian Strauch/dpa/dpa)

Das sind die Gesprächspartner

Shai Hoffmann ist als Aktivist und Sozialunternehmer der Geschäftsführer der gemeinnützigen "Gesellschaft im Wandel gUG" und lebt in Berlin. Jouanna Hassoun ist Geschäftsführerin von Transaidency e. V. und lebt ebenfalls in Berlin. "Gesellschaft im Wandel gUG" hat in Kooperation mit Transaidency e.V. und Unterstützung der Landeskommission "Berlin gegen Gewalt" Bildungsvideos zum israelisch-palästinensischen Konflikt erstellt. Die Materialien sind hier frei abrufbar.

Vergangene Woche waren Sie am Erich-Brost-Berufskolleg in Essen, daraufhin an weiteren Schulen in Köln. Wie lief es?

Die erste Session in Essen war sehr offen, ehrlich und zugewandt. Die Klasse hat ihre Gefühlswelt mit uns geteilt, wir konnten Nachfragen stellen und auf anderer Seite viele Fragen beantworten. Bei der zweiten Session war es ein bisschen verhärteter, konfrontativer – vor allen Dingen mir gegenüber, aber auch Jouanna gegenüber. Man hat uns abgesprochen, dass wir zu diesem Thema reden können, weil wir in Deutschland geboren seien und Jouanna im Libanon als Kind von palästinensischen Geflüchteten. Zudem war die Gruppe teilweise mit sehr starken antisemitischen sowie antiisraelischen Vorurteilen behaftet.

Stellen Sie aktuell Antisemitismus unter den Schülerinnen und Schülern fest?

Gerade Jugendliche lernen wahnsinnig viel dazu, wachsen an ihren Herausforderungen. Die Persönlichkeit entwickelt sich ja ständig. Wir würden den Jugendlichen nichts Gutes tun, wenn wir ihnen mit ihren teilweise unreflektierten Äußerungen direkt Antisemitismus vorwerfen. Das sind teils von irgendwelchen Influencern oder dubiosen Blogs aufgegriffene, total unreflektierte Verschwörungstheorien, die ungefiltert wiedergegeben werden. Was ja einerseits gut ist, weil man es auffangen und richtig einordnen kann. Wir haben aber auch erlebt – allerdings in relativ geringer Anzahl – dass das sehr geschlossene Weltbilder sind. Also so sehr geschlossen, dass wir nicht mehr rankommen. In Essen waren das beispielsweise zwei bis drei von insgesamt 50 bis 60 Schülerinnen und Schülern.

t-online: Vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Shai Hoffmann, politischer Bildner
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