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Kiel: Wirtschaftsexperte über Corona-Hilfe: "Es werden oft die Falschen gerettet"


Corona-Hilfen
"Es werden vielfach die Falschen gerettet"

InterviewVon Sven Raschke

Aktualisiert am 28.04.2021Lesedauer: 5 Min.
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Karstadt-Filiale in Kiel (Symbolbild): Das Unternehmen hat den Strukturwandel bereits vor der Krise zu spüren bekommen.Vergrößern des Bildes
Karstadt-Filiale in Kiel (Symbolbild): Das Unternehmen hat den Strukturwandel bereits vor der Krise zu spüren bekommen. (Quelle: penofoto/imago-images-bilder)

Die Corona-Hilfen erreichen oft die Falschen, andere Unternehmen fallen durchs komplizierte Raster. Am Institut für Weltwirtschaft haben Wirtschaftsexperten ein einfaches Modell entwickelt, das die Probleme lösen soll.

Für die Rettung von Unternehmen in der Corona-Krise hat der Staat viele Milliarden in die Hand genommen. Doch ob die Hilfen immer an die richtigen fließen, ist mehr als umstritten. So profitieren auf der einen Seite Betriebe, die Hilfe nicht nötig hätten oder solche, die auch ohne Pandemie möglicherweise pleite gegangen wären. Auf der anderen Seite fallen Unternehmen durchs Raster, obwohl sie von der Krise hart getroffen werden.

Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel, hat gemeinsam mit Kollegen das Kieler Modell entwickelt, das auf unkomplizierte Weise all diese Probleme lösen soll. Im Gespräch stellt er es vor und erklärt die Schwächen der bisherigen Lösungen.

t-online: Herr Kooths, Galeria Karstadt Kaufhof existiert in Kiel wie in anderen Städten in Deutschland trotz Krise weiterhin, dank Hunderter Millionen an staatlicher Hilfe. Ist das ein Grund zur Freude?

Stefan Kooths: Karstadt ist ein Unternehmen, das bereits vor der Krise den Strukturwandel im Einzelhandel mit voller Wucht gespürt hat. Allgemein gesprochen: Maßnahmen, die auf einzelne Unternehmen zugeschnitten sind – etwa auf TUI oder Lufthansa –, haben immer ein starkes ordnungspolitisches Geschmäckle, weil keine generelle Regel dahinter steht, die für alle gilt. Genau das beklagen wir bei den verschiedenen Corona-Hilfen.

Die Höhe der Hilfen ist also nicht das Problem?

Das Problem liegt nicht darin, wie viel Geld man in die Hand nimmt. Der deutsche Staat kann sich glücklicherweise die Krisenhilfe auch in großem Umfang leisten. Die Frage muss lauten, wofür das Geld eingesetzt wird.

Und ob dabei eine gesamtwirtschaftliche Rendite herausspringt, damit am Ende nicht die Falschen gerettet werden, und nicht diejenigen, die man retten sollte, durchs Raster fallen. Daher kommt es entscheidend auf die Kriterien an, nach denen die Hilfen gewährt werden.

Was genau läuft bei den Corona-Hilfen aus Ihrer Sicht bisher falsch?

Eine vor Kurzem erschienene Studie des ZEW (Anm. d. Red.: Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) zeigt: Diejenigen, die Hilfsgelder bekommen haben, zählten oftmals zu den Unternehmen, die auch schon vor der Krise kaum über die Runden kamen – sogenannte Zombieunternehmen.

Wir sehen auch, dass die Insolvenzzahlen während der Pandemiezeit dramatisch zurückgegangen sind, und das ist kein Grund zur Beruhigung – im Gegenteil. Denn so zynisch es zunächst klingen mag: Zu wenige Insolvenzen sind ein gesamtwirtschaftliches Problem. So wird der Strukturwandel aufgehalten. Nicht mehr wettbewerbsfähige Unternehmen bleiben im Markt. Das schwächt den Produktivitätsanstieg und somit letztlich auch den Wohlstand.

Besonders kleine Unternehmen beklagten häufig auch die Undurchschaubarkeit der Hilfskriterien.

Und das zu Recht – die verschiedenen Hilfsprogramme waren bürokratisch ausgestaltet und wurden immer wieder nachjustiert. Mehrfach hat man auch die Pferde ganz gewechselt: erst Soforthilfen, dann Überbrückungshilfen I, II, III, mit immer neuen Varianten, und zwischenzeitlich November- und Dezemberhilfen. Mal Pauschalzahlungen, mal Fixkostenkompensation in immer wieder geändertem Umfang, mal Umsatzersatz.

Neuerdings gibt es erstmals Eigenkapitalzuschüsse. Im Ergebnis wurden die Mittel bis in das laufende Jahr hinein nur sehr zögerlich abgerufen – ein klares Indiz dafür, dass die Hilfen den Praxistest nicht bestanden haben. Ein weiteres Manko sind diverse Sprungstellen bei der Förderhöhe.

Was kann man darunter verstehen?

Zum Beispiel bekommt man bei einem Umsatzeinbruch von mindestens 70 Prozent als Überbrückungshilfe 100 Prozent der förderfähigen Fixkosten erstattet. Brachen nur 69 Prozent des Umsatzes weg, schrumpft der Zuschuss auf 60 Prozent.

Solche Sprungstellen sind kontraproduktiv, denn sie machen es für Unternehmen in der Nähe dieser Sprungstellen unattraktiv, mehr zu leisten, weil ihnen sonst Förderung entgeht. So fehlen die Anreize, aus der Krise das Beste zu machen.

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Das von Ihnen und Ihren Kollegen entwickelte Kieler Modell soll alles besser und einfacher machen.

Allerdings. Unser Modell sieht einen branchenübergreifenden Mechanismus vor, der die coronabedingten Gewinnausfälle – vor Steuern und Zinsen – zu 85 Prozent kompensiert, und zwar unabhängig von der Unternehmensgröße, der Rechtsform oder der Finanzierungsstruktur – alle würden nur insofern unterschiedlich behandelt, wie sie von der Krise betroffen sind.

Wie ließe sich das feststellen?

Wir machen das an den jeweiligen Branchendurchschnitten fest. Wir schauen uns an: Um wie viel sind in der jeweiligen Branche die Betriebsergebnisse durchschnittlich im Krisenzeitraum gegenüber dem Vorkrisenzeitraum eingebrochen. Dann kann jedes Unternehmen davon 85 Prozent in Form von Zuschüssen vom Staat erhalten und zwar bezogen auf das im Vorkrisenjahr erwirtschaftete individuelle Betriebsergebnis.

Damit adressieren wir das Kernproblem: Dass sich die Krise mit jedem Tag in das Eigenkapital der Unternehmen frisst. Gleichzeitig werden Zombieunternehmen, die vor der Krise keinen Gewinn gemacht haben, nicht mit durchgefüttert. Große Firmen wie Lufthansa oder TUI müssten sich genauso einsortieren wie ein kleines Unternehmen. Auch die Tür zum Lobbyismus wäre durch die einheitliche Lösung verschlossen.

Warum 85 und nicht 100 Prozent Zuschüsse?

Einen gewissen Einbruch müssen Unternehmen verkraften können. Der Mechanismus soll keiner Trägheit der Begünstigten Vorschub leisten. Staatlich alimentierte Corona-Ferien wollen wir nicht.

Bestünde bei einem so einheitlichen System nicht die Gefahr, dass speziellen Fällen zu wenig Rechnung getragen wird?

Ein perfektes System für jeden Einzelfall gibt es nicht, es kommt darauf an, dass die Unternehmensstrukturen insgesamt geschützt werden. Der sensibelste Punkt bei unserem Modell ist natürlich die Branchenabgrenzung. Man dürfte beispielsweise nicht den gesamten Einzelhandel in einen Topf werfen.

So haben etwa die Supermärkte von der Krise stark profitiert, ebenso der Versandhandel. Diese Abgrenzungen zweckmäßig vorzunehmen geht nicht an einem Nachmittag. Da wird man schon einige Wochen drüber befinden müssen – aber das hätte man schon längst tun können.

Was ist mit Start-ups, die erst kurz vor der Krise starteten und noch keine Vergleichszahlen für die Zuschüsse vorweisen können?

Die würden auch beim Kieler Modell durchs Raster fallen. Für die neu gegründeten Unternehmen muss man so oder so eine eigene Lösung finden. Es wäre aber schon sehr viel gewonnen, wenn wir für die übergroße Anzahl der Bestandsunternehmen eine funktionsfähige und marktkonforme Regelung hätten.

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Wie wurde das Kieler Modell von der Politik aufgenommen?

Das Interesse war sehr groß. Wenn wir mit den IHKs (Anm. d. Red.: Industrie- und Handelskammern) sprechen oder mit der Kreditwirtschaft, die sagen uns unisono: Genau so ein Modell hätten wir gebraucht. Es gab sogar einen Antrag der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, der eins zu eins das Kieler Modell übernahm. Leider wurde er dort von der Koalitionsmehrheit abgelehnt.

Welche Chancen hat das Kieler Modell jetzt noch?

Für diese Krise mag es zwar nicht mehr rechtzeitig an den Start kommen – für eine faire Schlussabrechnung der Corona-Lasten kommt es aber allemal noch in Betracht . Zudem ist das Modell nicht nur auf die Corona-Krise zugeschnitten, sondern funktioniert in jeder makroökonomischen Notlage.

Dafür sollten wir uns ohnehin wappnen, weil Krisen immer wieder auftreten. Mit dem Kieler Modell gäbe es dann ein geeignetes Pendant zum Kurzarbeitergeld – in der Folge wären künftig Arbeitskräfte wie auch die Unternehmen systematisch vor schockartigen Einflüssen abgeschirmt. Und zwar ohne dass bei Ausbruch der Krise wieder lange über die Ausgestaltung verhandelt werden müsste.

Prof. Dr. Stefan Kooths ist Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum im Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Er arbeitet seit 2010 für das IfW. Zunächst war er Repräsentant in Berlin und verantwortlich für die Analyse der deutschen Konjunktur. 2014 übernahm er die Leitung des Prognosezentrums. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehörten die Konjunkturforschung, aber vor allem Fragen des Geld- und Währungswesens, der internationalen Wirtschaftsbeziehungen sowie der Ordnungsökonomik.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Prof. Dr. Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel
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