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"Corona ist Brandbeschleuniger": Verschwinden die Traditionsschiffe aus Kiel?


"Corona ist Brandbeschleuniger"
Verschwinden die Traditionsschiffe aus Kiel?

Von Sven Raschke

09.08.2021Lesedauer: 4 Min.
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Segelschiff Ethel vor dem Leuchtturm in Falckenstein (Archivbild): Weil viele Großveranstaltungen ausfallen, fahren auch die Traditionssegler weniger zu Ausfahrten raus.Vergrößern des Bildes
Segelschiff Ethel vor dem Leuchtturm in Falckenstein (Archivbild): Weil viele Großveranstaltungen ausfallen, fahren auch die Traditionssegler weniger zu Ausfahrten raus. (Quelle: Gerhard Bialek/leer)

Trotz Lockerungen und aktuellem Hochbetrieb sieht es schlecht aus für viele der Traditionsschiffe in Kiel. Wegen gestiegener Kosten bei geringeren Einnahmen rechnet der Dachverband mit dem Aus für einen Teil der Schiffe.

Vor einigen Wochen noch stand es übel um die Kieler Hansekogge. Wegen Corona konnte der Traditionssegler lange Zeit keine Fahrten anbieten. "Wir hatten kaum Einnahmen", sagt Bernd Lesny vom Förderverein Historische Hansekogge Kiel. Dann kamen gerade noch rechtzeitig die Corona-Hilfen. "Ohne die hätten wir nie und nimmer überleben können", so Lesny. Und auch Fahrten mit zahlender Kundschaft sind seit einiger Zeit wieder möglich.

Damit ist die unmittelbare Zukunft der Hansekogge gesichert. Doch langfristig sieht es für die Kieler Traditionsschiffe, zu denen der Nachbau eines Handelsschiffs aus dem 14. Jahrhundert zählt, alles andere als rosig aus.

Der Erhalt der insgesamt acht ehrenamtlich betriebenen Schiffe kostet mehr, als durch die immer noch coronabedingt eingeschränkten Veranstaltungen eingenommen wird. Sicherheitsauflagen treiben die Kosten in die Höhe und Fördermittel sind rar.

2020 Totalausfall, 2021 Erholung

Vor Corona sei die Lage der Traditionsschiffe in Kiel "gut bis sehr gut" gewesen, sagt Gerhard Bialek vom Dachverband der deutschen Traditionsschiffe.

Mit der Pandemie jedoch fielen 2020 praktisch alle Fahrten aus. Die wichtigen Hafenfeste Hamburger Hafengeburtstag und Hansesail wurden abgesagt. Die Kieler Woche "light" war aus Sicht der Traditionsschiffer "ein absoluter Flop", so Bialek. Kurz: Ein Großteil der Einnahmen fiel weg – "wenn sie sich nicht bei manchen Schiffen auf null reduziert haben", so Bialek.

Auch 2021 wenige Buchungen

Die aktuelle Saison 2021 startete ebenfalls wenig vielversprechend. Der Hamburger Hafengeburtstag fiel erneut ins Wasser, die KiWo wurde verschoben. Und für die Hansesail gingen laut Bialek nur sehr wenige Buchungen ein – auch, wie er meint, wegen des "besonders strikten Hygienekonzepts" der Veranstaltung.

Anfang Juni aber lief das Geschäft langsam wieder an, und seit Anfang Juli habe sich die Situation komplett gewandelt. "Seitdem sind gar nicht genug Schiffe da für die Nachfrage", sagt Bialek. "Wir stellen aber gerade fest, dass es in Dänemark wieder anfängt, schwieriger zu werden. Da gibt es eine Verunsicherung bei vielen Menschen."

Hinzu kommt: Als im vergangenen Jahr die Touren abgesagt werden mussten, verzichteten viele Kunden auf eine Rückzahlung. Das sei zwar sehr erfreulich gewesen, so Bialek. Allerdings würden viele ihre Tickets von damals nun für die Fahrten in diesem Jahr in Anspruch nehmen – wodurch neue Einnahmen wegfallen.

Viele Probleme unabhängig von Corona

Dazu kommen Probleme, die schon vor und unabhängig von Corona existierten. Da wäre zum einen das Nachwuchsproblem: "Die Menschen, die die Schiffe ehrenamtlich betreuen, werden immer älter", sagt Bialek. Und es würden deutlich weniger nachrücken als ausscheiden.

Da wären die Kosten für die Sicherheitsauflagen: Seit 2018 gilt eine neue Sicherheitsverordnung für Traditionsschiffe, die laut Bialek für die gemeinnützig organisierten Vereine hinter den Schiffen nur schwer umzusetzen sind.

Und schließlich als vielleicht größtes Problem: die Kosten für Pflege und Erhalt. "Die Schiffe werden immer älter und der Pflegebedarf entsprechend immer höher", sagt Bialek. Beim Verein der Hansekogge blickt man noch recht positiv auf die nächsten Jahre. "Sicherheitstechnisch sind wir gut aufgestellt, und die meisten Reparaturen können wir Ehrenamtlichen zum Glück selber leisten", sagt Bernd Lesny. Wenn die Kogge allerdings irgendwann in die Werft müsse, werde man sich das ohne zusätzliche Mittel nicht leisten können.

Größere Reparaturen unbezahlbar

Genau in dieser Lage steckt derzeit der Verein Jugendsegeln mit seinem 116 Jahre alten Yachtschoner "Zuversicht". Bereits seit vergangenem Jahr liegt der 30-Meter-Zweimaster in der Rathje Werft in Friedrichsort. Motorschaden, morsche Planken und Spanten, der komplette Rumpf muss saniert werden. Die Gesamtkosten: 2,5 Millionen Euro.

"Das Geld, das wir haben, reicht hinten und vorne nicht. Das ging schon im Laufe von Corona drauf", sagt Vereinsmitglied Sonja Endres. Zwar gebe es Unterstützung von verschiedenen Seiten. Das Jobcenter vermittelt Langzeitarbeitslose als Arbeitskräfte. Die Rathje Werft stellt den Werftplatz günstig zur Verfügung. Dazu fließen Spenden. Aber die regulären Einnahmen aus dem Betrieb fallen weg. "Wir arbeiten an Förderanträgen", sagt Endres. "Aber das ist auch nicht leicht, weil viele lieber einen Segeltörn unterstützen als eine Baustelle."

Auch bei den anderen Traditionsschiffen würden die Einnahmen aus Betrieb, Spenden und Förderungen auf lange Sicht nicht ausreichen, so Gerhard Bialek. "Ganz klar, es werden Schiffe rausfallen", prophezeit er. "Corona ist da nur der Brandbeschleuniger. Wenn nicht auch von öffentlicher Seite irgendwann mehr Unterstützung kommt, sind die Traditionsschiffe auf Dauer nicht zu erhalten."

Hoffnung für die Zukunft

Immerhin gibt es auch Positives zu vermelden. Was die seit 2018 geltenden Sicherheitsauflagen betrifft, genehmigte das zuständige Ministerium mit Blick auf die derzeitige Krise eine Verlängerung der Umsetzungsfristen teils über 2022 hinaus.

Für 2020 und 2021 erließ die Stadt den Traditionsschiffen die Liegeplatzgebühren im Kieler Hafen. Im Mai beschloss die Ratsversammlung zudem, eine Patenschaft für die Traditionsschiffe zu übernehmen. Das sei zwar bisher nicht mehr als ein symbolischer Akt, so Bialek, mache aber Hoffnung auf mehr.

Förderungen für den Erhalt der Schiffe

Das Bundesverkehrsministerium hat eine Arbeitsgruppe zum Thema Traditionsschiffe gegründet. Anfang September treffen sich Beamte und Betroffene, um über mögliche Lösungen und Hilfen nachdenken. So soll etwa der Zugang zu bereits bestehenden Fördermöglichkeiten erleichtert werden. Ein Beispiel: Bisher gibt es etwa Unterstützung, sobald einem Verein die Gelder ausgegangen sind. Dann ist es aber eventuell bereits zu spät.

Gerhard Bialek hofft für die Zukunft, dass die Stadt ihr maritimes Erbe noch stärker als bisher unterstützt und fördert – nicht nur mit Geld, sondern auch mit vorteilhaften Liegeplätzen und entsprechenden Veranstaltungen – etwa am Thiessenkai, wo die Traditionsschiffe bisher mehr geduldet als gefördert würden. "Wir haben die Möglichkeit, hier etwas fürs maritime Erbe Deutschlands zu tun", sagt Bialek. "Da wünsche ich mir, dass die Stadt ihre Bemühungen intensiviert."

Verwendete Quellen
  • Gerhard Bialek, Dachverband der deutschen Traditionsschiffe
  • Bernd Lesny, Förderverein Historische Hansekogge Kiel
  • Sonja Endres, Verein Jugendsegeln
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