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Köln: Winzer erntet Trauben aus Weinberg mitten in der Stadt


Südhang und guter Boden
Winzer erntet außergewöhnlich gute Trauben aus Weinberg mitten in Köln


06.09.2019Lesedauer: 4 Min.
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Thomas Eichert prüft Trauben nach seiner Qualität: Der Winzer baut mitten in Köln seinen Wein an.Vergrößern des Bildes
Thomas Eichert prüft Trauben nach seiner Qualität: Der Winzer baut mitten in Köln seinen Wein an. (Quelle: Dierk Himstedt)

Es ist ein ungewöhnlicher Standort für einen Weinberg: Mitten in Köln hängen reife Trauben bereit zur Ernte. Der Stadtwinzer Thomas Eichert hat diese erstmalig dort verlesen

Es geht um edle Tropfen – nur das Weinanbaugebiet ist äußerst ungewöhnlich: In Köln baut ein Winzer seinen Wein direkt unter der Severinstorburg in der Kölner Südstadt an. Nun ist Lesezeit – etwas früher als geplant, da das Wetter im August die Trauben sehr gut hat reifen lassen.

"Ich habe ein wenig Panik, wegen der Wespen und der Wildpinkler", nennt Selfmade-Winzer Eichert den Grund für die zeitige Lese. Die Wespen seien verrückt nach den reifen Trauben und saugen sie komplett aus. "Die sind richtig besoffen danach", sagt er lachend, während er die letzten Souvignier-Gris-Trauben vor den Insekten sichert und in den Korb fallen lässt.

Bis zu 126 Grad Oechsle (anerkannte Maßeinheit für das Traubenmostgewicht) haben die Trauben. "Das ist das Wein-Prädikat einer Beerenauslese, danach kommt nur noch der natursüße Eiswein. Da kommen nach dem Gärprozess 17 Prozent Alkohol raus – zu viel, da muss man gegensteuern", sagt er und schmunzelt.

Normale Weine haben 80 bis 90 Grad Oechsle, ist Thomas Eichert selbst erstaunt. Die Traubenpresse bewerkstelligt er zu Hause in seiner Küche. Eine kleine Handpresse hilft ihm dabei. Die Wohnung dient ihm gleichzeitig auch als Lagerraum. Denn neben dem Weinberg am Chlodwigplatz betreut er noch weitere Weinpflanzen an diversen Hausfassaden in der Nachbarschaft.

Wein-Stadtführungen machen bei ihm regelmäßig Halt

"Ach, da ist wieder eine Gruppe vor dem Haus. Ich öffne meist das Fenster und beantworte dann ein paar Fragen der Leute. Aber heute geh ich mal vor die Tür – ist so schön draußen", sagt er gut gelaunt.

Alle aus der Führung haben ein Weinglas mit Umhängehalterung vor der Brust für mögliche Proben. "Wollt ihr mal eine von den Trauben probieren?", fragt Eichert in die Runde. Natürlich wollen sie. Danach berichtet er über seine Arbeit.

Wein darf nicht verkauft werden

Wie viele Gruppen schon bei ihm vorbeigekommen sind, könne er nicht mehr zählen. "Es sind auf jeden Fall viele", sagt er und lacht wieder. Er organisiert auch selber Führungen und verdient sich damit ein paar Euro. "Ich darf den Wein ja nicht verkaufen, deswegen verkaufe ich meine Geschichten über Wein", so Eichert.

Das Veräußerungsverbot seines im Stadtgebiet gewonnenen Weines gehört zu den Skurrilitäten des Stadtwinzer-Daseins. Da er kein Gewerbe angemeldet habe für die, laut Grünflächenamt, einzige landwirtschaftlich genutzte Fläche in der Kölner Innenstadt, könne er den Wein nur verschenken.

So lädt der Stadtwinzer regelmäßig zu Wohnzimmerkonzerten bei sich ein und verköstigt nebenbei seinen Wein und auch selbstgemachten Grappa. "Da haben die Leute etwas davon und ich auch. Am Ende geht der Hut für eine kleine Spende herum – natürlich alles für die Musiker", schmunzelt er.

"Wein-Geschichten" über die Kölner Verwaltung

Beinahe wäre aus all dem gar nichts geworden. Die Verwaltung legte sich nämlich jahrelang quer, wie Eichert sagt. "Die Idee, Wein mitten in der Stadt anzubauen, hatte ich schon 2010. Ich wollte dazu eine finanzielle Starthilfe aus dem damals neu eingeführten Bürgerhaushalt beantragen, um damit die Pflanzen und den Aufwand zu bezahlen", erinnert er sich. "Das Ganze zog sich über Jahre und trotz eines positiven Beschlusses des Rates und von den Bezirksvertretungen ist nie etwas daraus geworden.“

Aber durch einen im Jahr 2013 erschienenen Zeitungsbericht, der das Gezerre mit den Kölner Behörden beschrieben hatte, kam wieder Leben in sein Projekt. "Es haben sich darauf viele Leser bei mir gemeldet, ob ich nicht Lust hätte, für sie Wein an ihrer Hausfassade anzupflanzen und zu pflegen", erzählt er weiter. "So ging das los. Ich habe mich um die Reben gekümmert und dafür 50 Prozent von dem gewonnen Wein bekommen."

Weinberg mit zentraler Lage in Köln

Die Weinberg-Idee am exponierten Choldwigplatz kam Eichert 2017 nach Beendigung der jahrelangen Baustelle wegen des U-Bahnbaus und der anschließenden Platzsanierung. "Ich habe danach gesagt: Ich sehe dort Wein auf dem Hügel", erzählt Eichert.

Die Mehrheit der Lokalpolitiker in der Bezirksvertretung Innenstadt fand die Idee gut. Aber die Stadt hatte andere Pläne und wollte an dem Hang unter der Severinstorburg sogenanntes Vergrätzungsgebüsch anpflanzen, um die Wildpinkler durch Dornen und hartes Gestrüpp abzuhalten. Es wurde auch gepflanzt – allerdings zum Ärger der Bezirksvertreter in einer Adhoc-Aktion, nur ein paar Tage, bevor sie über den Weinanbau abstimmen wollten.

Die tollen Tage 2017 kamen ihm zu Hilfe

Aber dann kam Thomas Eichert der Karneval zu Hilfe: Am 11. November 2017 fielen sehr viele Wildpinkler über die neu gepflanzten Vergrätzungsbüsche unter der Severinstorburg her, machten ihr Geschäft und zertrampelten die jungen Pflanzen auf dem Hügel. Es brauchte noch mehr als ein Jahr Ausdauer und die Unterstützung der Bezirkspolitik, um sich schließlich gegen die Bedenkenträger des Kölner Liegenschafts- und des Grünflächenamtes durchzusetzen.

"Was die mir da alles entgegnet haben: Der Boden sei schlecht. Die Sicherheit wegen der alten Stadtmauer an der Severinstorburg sei nicht gewährleistet. Und überhaupt sei ein Weinberg an dieser Stelle Unsinn", sagt Eichert.


Mittlerweile hat er einen Pachtvertrag mit der Stadt. Die Laufzeit beträgt acht Jahre, bis 2028. Die Pacht: ein Euro pro Jahr. Und Eicherts Hartnäckigkeit trägt Früchte: Der Wein sprießt ungewöhnlich gut, die Wildpinkler respektieren den Weinberg und machen meist woanders ihr Geschäft.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Stadtwinzer Thomas Eichert
  • Eigene Recherche und Beobachtungen vor Ort
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