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Köln: Gastronomie-Mitarbeiter wurden obdachlos wegen Corona-Krise


Kölner Gastronom über Krise
"Leute sind in die Obdachlosigkeit gegangen"

Von Florian Eßer

22.03.2021Lesedauer: 4 Min.
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Kneipier Markus Vogt in seinem "Soylent Green". Er mahnte schon Anfang des Jahres die langfristigen Folgen des Lockdowns an.Vergrößern des Bildes
Kneipier Markus Vogt in seinem "Soylent Green". Er mahnte schon Anfang des Jahres die langfristigen Folgen des Lockdowns an. (Quelle: Florian Eßer)

Die Gastronomie leidet weiter unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise und den mit ihr einhergehenden Einschränkungen. Ein Wirt beschreibt die prekäre Lage in Köln und fordert die Regierung zum Handeln auf.

Markus Vogt, der im Zülpicher Viertel zwei Kneipen betreibt, ist Mitglied des Gastro Kwartier Latäng e.V. und sieht die Branche im Stich gelassen. Der 49-Jährige kritisiert das Vorgehen der Bundesregierung und fordert alternative Öffnungsstrategien.

Seit 16 Jahren betreibt Markus Vogt das "Soylent Green" auf der Kyffhäuserstraße, eine gemütliche Billardkneipe inmitten des Kwartier Latängs, dem Ausgehviertel schlechthin in der Stadt: Das Licht ist schummrig, die Musik gitarrenlastig, Graffiti und Sticker zieren Mobiliar und Wände.

Seit sich der 49-Jährige den Traum von der eigenen Kneipe erfüllt hat, war das Soylent Green nicht einen Tag geschlossen – selbst an den Weihnachtsfeiertagen stand die Tür für Gäste offen: "Ich war immer stolz darauf, dass wir keinen einzigen Schließtag hatten", erzählt Vogt während er sich im leeren Schrankraum seiner Kneipe umsieht. Seit dem Beginn des zweiten Lockdowns Anfang November ist das Soylent Green nun mehr als 130 Tage geschlossen. Früher wäre das für Vogt undenkbar gewesen.

"Die Stufenpläne sind sinnlos"

Wann der Kneipier, der noch ein weiteres Lokal betreibt – das "Kwartier" auf der Zülpicher Straße –, seine Läden wieder öffnen kann, ist ungewiss. Zwar sieht der Stufenplan der Stadt Köln vor, dass unter einer Inzidenz von 100 zumindest wieder die Außengastronomie möglich sein soll.

Während Kneipen und Lokale geschlossen bleiben, darf der Einzelhandel öffnen, Schulen haben ihren Präsenzunterricht wieder aufgenommen. Dadurch steigt die Inzidenzzahl – das wiederum zwingt die Gastronomie in eine Endlosschleife aus Vertröstungen, wie Vogt erklärt: "Alle Öffnungspläne, die wir bis jetzt hatten, sind sinnlos, weil sie alle an die Inzidenzzahl gebunden sind." Und weiter: "Ein Stufenplan, der sagt, dass wir wieder schließen, wenn die Inzidenz steigt, macht keinen Sinn, weil sie steigen wird, wenn wir öffnen. Und dann hat man einen Teufelskreis aus: öffnen, schließen, öffnen und schließen."

Einlass mit negativen Coronatests

Stattdessen, so erklärt Vogt weiter, solle der Fokus darauf gelegt werden, vulnerable Gruppen durch Impfungen vor dem Virus zu schützen und der Gastronomie gleichzeitig Alternativen anzubieten. So sollten Lokale etwa Gäste einlassen dürfen, die einen tagesaktuellen, negativen Coronatest vorweisen können: "Es wäre kein Problem, eine Kneipe wieder vernünftig aufzumachen, wenn man beim Einlass eine Negativ-Testung als Voraussetzung annehmen würde", so Vogt, "dann habe ich gewährleistet, dass in meinem Laden nur unbedenkliche Leute sitzen – und dann gibt es auch keine Rechtsgrundlage für die Auflagen mehr."

"Wir brauchen Entschädigungen statt Hilfen"

Der Status quo hingegen sei nicht mehr hinnehmbar und zwinge viele Mitarbeiter der Gastronomie in den finanziellen Ruin. Die Studenten etwa, deren Bafög alleine nicht ausreicht, um die Lebenskosten zu decken, aber auch all jene anderen, die auf ihre Tätigkeit hinter dem Tresen angewiesen sind: "Man darf Folgendes nicht vergessen: Die Spätnachtgastro beschäftigt eine Menge Leute, die tatsächlich ihren Lebensunterhalt damit bestreiten. Denen ist jetzt die Existenzgrundlage weggefallen", sagt Vogt.

Auch die Corona-Hilfen der Bundesregierung stehen in der Kritik des Kneipiers. Etwa die Überbrückungshilfe III, die nur dann zum Tragen kommt, wenn ein Arbeitgeber mindestens einen sozialversicherungspflichtigen Angestellten beschäftigt – was in der Spätnachtgastronomie, in der sich viele Minijobber ein Zubrot verdienen, jedoch mehr Ausnahme als Regel ist. "Die wenigsten Menschen machen einen 400-Euro-Job, weil sie Langeweile haben", so Vogt, "die meisten machen ihn, weil sie die Kohle brauchen, weil sie sich und ihre Familien ernähren müssen."

Obdachlosigkeit als Folge der Schließung

Was passieren kann, wenn diese Jobs wegfallen, hat Vogt in den vergangenen Monaten zur Genüge erfahren: Menschen können sich ihre Wohnungen nicht mehr leisten, müssen zusammenziehen und sich ein Zimmer teilen, um überhaupt die Miete stemmen zu können. Und im Extremfall, so erklärt der Kneipier weiter, könne die Situation sogar darin münden, schließlich komplett ohne Wohnung dazustehen: "Ich kenne Leute, die hat das alles so überfordert, dass sie auch den Gang zum Arbeitsamt nicht mehr geschafft haben und die sind dann tatsächlich in die Obdachlosigkeit gegangen."

Auch ein Mitarbeiter von Markus Vogt sah sich in Folge der Pandemie auf der Straße wieder – bis der Kneipier auf die Lage des Mannes aufmerksam wurde und handelte: "Wir haben ihn jetzt erst einmal im Hinterzimmer der Kneipe, in meinem Büro, untergebracht", erzählt der Gastronom, "zumindest so lange, bis er seine Papiere wieder hat, um überhaupt Leistungen beantragen zu können."

Schließlich seien nicht alle Menschen psychisch so stabil, sich selbst aus dieser Krise zu ziehen, "und manche von ihnen stürzen dann ab", so Vogt.

"Die Gastronomie hat eine große Bedeutung"

Während Vogt und seine Kollegen von den Auswirkungen der Krise stark getroffen werden, ist der 49-Jährige darüber erstaunt, dass der Wille, etwas an der Situation zu ändern, nicht größer ist – innerhalb der Branche selbst, aber auch bei der Bevölkerung: "Dabei hat die Gastronomie für die meisten Leute in der Gesellschaft eine große Bedeutung."

Seine Kneipe hat Vogt übrigens nach dem gleichnamigen dystopischen Science-Fiction-Film aus dem Jahre 1973 benannt, dessen deutscher Titel für die aktuelle Lage der Gastronomie nicht passender sein könnte: "... Jahr 2022 ... die überleben wollen."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Markus Vogt
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