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Dolmetscherin in Köln: "Die Leute, für die ich übersetze, sind mir wichtig"


Kölner Dolmetscherin
"Die Leute, für die ich übersetze, sind mir wichtig"

Johanna Tüntsch

06.04.2021Lesedauer: 5 Min.
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Ekaterina Krastev: Für die Kölner Dolmetscherin ist Sprache der Schlüssel zu Menschen.Vergrößern des Bildes
Ekaterina Krastev: Für die Kölner Dolmetscherin ist Sprache der Schlüssel zu Menschen. (Quelle: Johanna Tüntsch)

Die Kölnerin Ekaterina Krastev ist Dolmetscherin im Strafrecht. Sie lebt für ihren Beruf, der in so manche menschlichen Abgründe blicken lässt.

Weiße Wände, kantige braune Möbel, kaltes Deckenlicht und Fenster, die sich nicht öffnen lassen: Die Säle des Kölner Justizzentrums haben so wenig Atmosphäre, wie man es von einem brutalistischen Bürogebäude nur erwarten kann. Dazu passt meist die Stimmung in den Minuten vor Beginn einer Verhandlung: ein letztes Blättern in den Akten, Warten, der Blick auf die Uhr.

Zu den wenigen Persönlichkeiten, die an diesen tristen Ort Farbe und positive Schwingungen bringen, gehört Ekaterina Krastev. Elegant gekleidet betritt sie den Saal. Die grünen Augen blitzen – erst recht, als sie mit verschwörerischer Stimme eines der Audiogeräte testet, das gleich bei ihrer Arbeit als Dolmetscherin zum Einsatz kommen soll: "Adler, Adler? Hier ist Falke!". Für einen Moment zumindest zeigt sich ein Lächeln in den vorher so ernsten Gesichtern der Robenträger.

"Gute Laune muss sein", sagt Ekaterina Krastev. Schließlich wird sie gleich auf einen Menschen treffen, der ganz auf sie baut, weil er – ob schuldig oder unschuldig – in einem Land vor Gericht sitzt, dessen Sprache er nicht versteht. Sobald der Angeklagte in den Raum geführt wird, gilt ihm ihre ganze Aufmerksamkeit.

"Die Leute, für die ich übersetze, sind mir wichtig", sagt sie. Das gilt auch auf der Polizeiwache oder im Strafprozess. "Ich hatte nie das Gefühl: Ich spreche hier für jemanden, der etwas Schlimmes gemacht hat. Ich verteidige nicht, ich verurteile nicht, ich kommentiere nicht die Vorwürfe. Dafür sind die Anwälte da. Ich übersetze einfach die Worte richtig. Es ist mir wichtig, dass die Leute alles verstehen. Wenn ich denke, dass das nicht der Fall ist, frage ich nach, ob ich etwas erklären darf. Zum Beispiel, warum Fotos gemacht werden, warum Fingerabdrücke genommen werden oder warum jemand ein Protokoll unterschreiben muss."

Wer akzentfrei spricht, wird akzeptiert

Russisch und Bulgarisch, das sind ihre Sprachen. In Moskau geboren, zog sie mit ihren Eltern während des Kalten Krieges nach Bulgarien. "Alle hassten damals die Russen", merkte sie als 14-Jährige schnell. Sie selbst war ihrerseits auch nicht begeistert von der neuen Umgebung: "Es war für mich ein Schock. Alles war dort so klein. In Moskau waren wir in einer sehr schönen Umgebung, ich war dort behütet, meine Großeltern waren da. In Bulgarien habe ich erst einmal jeden Tag meinen Koffer gepackt." Aber irgendwann habe sie nicht nur die Schönheiten des Landes entdeckt, sondern auch die integrative Kraft der Sprache: "Wenn man akzentfrei spricht, wird man akzeptiert."

Sprache, das ist bis heute ihr Schlüssel zu den Menschen. Ekaterina Krastev dolmetscht und übersetzt – und zwar als beeidigte Dolmetscherin in gerichtlichen Angelegenheiten. Mal steht sie Zeugen zur Seite oder Menschen, die Hilfe mit den Behörden brauchen. Vielfach aber sind es Menschen, die im Zusammenhang mit Straftaten vor Gericht stehen.

Sprecherwechsel: Bei Gericht so unbeliebt wie bei Serien

Bevor sie sich ganz dem Übersetzen und Dolmetschen verschrieben hat, arbeitete sie als Journalistin für die Deutsche Welle und synchronisierte nebenher Filme. Ihre Erfahrungen als Synchronsprecherin blitzen gelegentlich auch im Gericht noch durch. Regt sich der Angeklagte auf, wird auch ihre Stimme lauter und energischer. Ist er still und verhalten, übersetzt sie in ruhiger Tonlage.

Der Wechsel eines Dolmetschers während des laufenden Verfahrens ist unter Juristen ähnlich unbeliebt wie der Wechsel des Synchronsprechers einer populären Serienfigur. Deswegen ist es für Krastev eine Ehrensache, jede Anstrengung zu unternehmen, um alle Prozesstage wahrzunehmen, wenn sie einmal in eine Verhandlung eingestiegen ist: "Die Beteiligten sind ja dann an mich gewöhnt."

"Mein Handy ist 24 Stunden am Tag an"

Viele Termine kommen spontan. Flexibel müsse man in ihrem Beruf sein, sagt Ekaterina Krastev, außerdem diszipliniert und sehr zuverlässig: "Mein Handy ist 24 Stunden am Tag an. Meine Tochter ist damit groß geworden, dass immer wieder das Handy klingelt, weil der Haftrichter anruft, und Einladungen zu Partys musste ich wegen der Arbeit oft kurzfristig absagen. Gute Freunde verstehen das, aber ein Privatleben habe ich kaum."

Umso mehr freut es sie, Anerkennung von denen zu bekommen, die in einer Notlage auf ihre Dienste angewiesen sind: "Wenn die Leute sich bedanken für die Art und Weise, wie ich sie behandelt habe; wenn sie sagen, dass sie alles verstanden haben oder mir sogar Weihnachten eine Karte schicken: Das ist die größte Belohnung, das ist besser als alles andere."

Die menschliche Seite ihrer Rolle ist komplex. Als Dolmetscherin erlebt sie Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, nicht nur vor Gericht, sondern begleitet auch überwachte Haftbesuche. Dadurch wird sie mitunter für Angehörige zur Vertrauensperson, denn nicht jeder spricht gerne im privaten Umfeld davon, wenn jemand aus der Familie in Haft sitzt: "Dann bin ich manchmal die einzige Person, mit der sie sich dazu austauschen können. Ich rede mit ihnen nicht über den Fall, das darf ich auch nicht. Aber sie erzählen mir, wie es ihnen damit geht, und viele Mütter sagen auch, wie gut ihr Junge ist, was für ein Mensch er eigentlich ist."

Im Gerichtssaal lernt sie manche allerdings auch von einer Seite kennen, die gar nicht zum positiven Bild der Mütter passt. Wie erträgt sie es, bei brutalen Straftaten wörtlich zu übersetzen und somit ganz nah an der Psyche der Täter zu sein? Man lernt, es von sich wegzuhalten, sagt sie: "Ich trage die Geschichten nicht nach Hause. Wenn ich aus dem Saal raus bin, weiß ich oft schon nicht mehr, wie das Strafmaß war, obwohl ich es gerade übersetzt habe."

"Sie flehte den Richter auf Knien an"

Es gibt aber auch Fälle, die in Erinnerung bleiben. Zum Beispiel der von einem Polen und zwei Russen, die in betrunkenem Zustand so sehr in Streit gerieten, dass zwei der Männer den dritten mit einer Schere kastrierten. "Danach sagte die Gutachterin zu mir: Ich kenne dich jetzt schon so lange, aber heute habe ich zum ersten Mal erlebt, dass du zur Seite gesprungen bist!", erinnert sie sich.

Oder der von der jungen Zwangsprostituierten, die abgeschoben werden sollte. Wenn Ekaterina davon erzählt, stehen noch heute Tränen in ihren Augen. Zuhälter hatten vor den Augen mehrerer Mädchen eines von ihnen zerstückelt und gesagt: 'Jede, die sich widersetze, würde das gleiche Schicksal nehmen.' Mit der Hilfe eines Freiers war es einem der Mädchen gelungen, vor ihren Peinigern zu fliehen.

"Als sie erzählte, haben alle geheult. Ich habe geheult, die Anwältin, die Polizistin – alle. Im Gerichtssaal lag sie auf den Knien und flehte den Richter an: 'Bitte, schieben Sie mich nicht ab, dann holen mich diese Männer wieder! Ich putze Ihre Toilette, ich kümmere mich um Ihre Kinder, ich mache alles umsonst – nur bitte nicht zurück!' Trotzdem wurde sie abgeschoben. Menschlich tat mir das leid. Aber das sind die Gesetze, da kann man nichts machen.“ Dolmetscher können die Worte nur wiedergeben.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Ekaterina Krastev
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