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Köln: Markus Reinhardt sieht sich als "stolzen Zigeuner"


Rassismus-Debatte
Kölner Musiker sieht sich als "stolzen Zigeuner"

InterviewVon Frank Überall

10.04.2021Lesedauer: 4 Min.
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Markus Reinhardt bei einem Auftritt in Köln: Der Musiker bezeichnet sich selbst als "Zigeuner"Vergrößern des Bildes
Markus Reinhardt bei einem Auftritt in Köln: Der Musiker bezeichnet sich selbst als "Zigeuner" (Quelle: Jan Krauthäuser)

Aus dem Kölner Karneval sollten Begriffe wie "Zigeuner" verschwinden, forderten kürzlich die Jusos. Der Musiker Markus Reinhardt nennt sich hingegen selbst einen "stolzen Zigeuner". Im Interview erklärt er, warum – und weshalb er findet, dass Begriffe wie "Sinti und Roma" keine Probleme lösen.

Die Kölner Jusos haben eine Debatte über Rassismus in Karneval und Kultur losgetreten. Im Interview mit t-online kritisierte die Kölner Juso-Vorsitzende Lena Snelting unter anderem, dass sich beispielsweise Karnevalsgesellschaften immer noch mit dem Begriff "Zigeuner" schmückten. Das sei eine anmaßende "kulturelle Aneignung", das Wort "Zigeuner" solle man vermeiden, so Snelting.

Ganz anders sieht das der Kölner Musiker Markus Reinhardt. Er bezeichnet sich als "stolzen Zigeuner" und will auch weiterhin Veranstaltungen mit dem Begriff bewerben.

t-online: Der Kölner SPD-Nachwuchs fordert, den Begriff "Zigeuner" zu vermeiden, weil er diskriminierend sei. So solle die Karnevalsgesellschaft "Ihrefelder Zigeuner" umbenannt werden. Warum halten Sie das für falsch?

Markus Reinhardt: Ich bin stolzer Zigeuner! Das ist doch kein Schimpfwort. Das ist einfach das deutschsprachige Wort für uns. Im Dritten Reich wurde der Begriff von den Nazis negativ besetzt.

Vorher war das anders?

Absolut. Unsere Ahnen wurden früher dafür gelobt, dass sie die Kultur in die Mehrheitsgesellschaft gebracht haben. Ich stamme selbst aus einer Musikerfamilie. Auch unsere Vorfahren sind über die Dörfer gezogen und haben in den Kneipen Zigeunermusik gespielt: Zu einer Zeit, als es noch keine Schallplatten und keine Philharmonie gab. Wir haben klassische Musik zu den Bauern gebracht, etwa die Operette "Zigeunerbaron" aufgeführt. Im 15. Jahrhundert hat König Sigismund deshalb erstmals das Wort Zigeuner im deutschsprachigen Raum benutzt – nicht negativ, sondern ganz klar als Lob verstanden.

Deshalb wollen Sie an der Bezeichnung weiterhin festhalten?

Ja, schließlich steht sie auch dafür, was wir deutschen und europäischen Zigeuner der Mehrheitsgesellschaft an Kultur eingebracht haben. Weil wir so viel im Land herumgezogen sind, hat man uns nicht nur als Musiker verehrt. Zeitweise hatten wir sogar Diplomatenausweise. Denn wir waren es, die auch Nachrichten von Ort zu Ort transportiert haben.

Wenn man bei offiziellen Verbänden der Sinti und Roma, beispielsweise deren Zentralrat, nachfragt, ist es zu dem Thema oft still. Manche Funktionäre haben in der Vergangenheit wie die Jusos verlangt, den Begriff "Zigeuner" nicht mehr zu verwenden.

Es gibt nicht nur Sinti und Roma, sondern viele Zigeunerstämme. Wollen wir die alle nicht mehr erwähnen? Wir wurden nicht gefragt, wie wir genannt werden wollen. Das haben immer andere über unsere Köpfe hinweg entschieden, nach dem Motto: "Wir wissen ganz genau, was gut für euch ist." Das soll wahrscheinlich deren eigenes Gewissen beruhigen. Das stört mich. In einem Projekt haben wir Interviews mit Zeitzeugen aus Konzentrationslagern gemacht. Da haben alle dieses Wort selbstverständlich gebraucht. Für die war das ganz normal. Nur für einen befragten Verbandsfunktionär nicht …

Gibt es eine Unsicherheit, diese Diskussion offen zu führen?

Ja, daher kommt ja dieses Schweigen der Verbände. Wir hatten mal eine Tournee in Österreich. Da stand auf Plakaten "Sinti und Roma raus!" Daran sieht man, dass nicht das Wort das Problem ist, sondern die Einstellung, die dahintersteckt. Für mich steht Zigeuner für unsere Identität, für ein Kulturgut, für die Werte und den Stolz, die wir in uns haben. Mein Sohn wächst auch damit auf. Und er hört auch Forderungen wie die der Jusos. Letztens hat er zu seinem Opa gesagt: "Dürfen wir jetzt nicht mehr Zigeuner sagen?" Wie schräg ist das denn?

Sie haben jahrelang "Zigeunermusik"-Festivals in Köln organisiert. Durch Corona haben Sie damit aktuell Pause. Wird es denn weitergehen, und werden Sie an der umstrittenen Bezeichnung festhalten?

Ja, natürlich. Mitglieder meiner Familie sind in Konzentrationslagern umgekommen. Deshalb werden wir nach der Pandemie eine besondere Aktion starten, um auf diese historische Wahrheit aufmerksam zu machen: Es wird Zigeunerfestivals geben, die ganz bewusst auch so heißen!

Was bedeutet das konkret?

Die Überlebenden meiner Familie mussten nach der Befreiung zu Fuß vom Konzentrationslager nach Köln gehen. Wir haben den Weg rekonstruiert. Mit einem historischen Wagen werden wir – hoffentlich 2023 – in Auschwitz starten und nach Köln gehen. Auf dem Weg werden wir in verschiedenen Städten Kulturveranstaltungen organisieren: mit Lesungen, Kunst, Stadtführungen und natürlich Musik. Es soll keine Reise der Anklage werden, sondern der Versöhnung. Bei unserer Ankunft in Köln soll es dann ein Riesen-Festival geben. Das wird selbstverständlich wieder Zigeunerfestival heißen!

Trotz aller Kritik?

Ja, natürlich. Die Nazis haben uns die Zigeunerwagen weggenommen. Auch meine Familie hatte kein Zuhause mehr. Wir wollen mit einem solchen historischen Wagen symbolisch zeigen, dass wir uns wiederangekommen fühlen in unserem Zuhause Köln. Mit dem, was wir historisch in die Gesellschaft eingebracht haben und auf das wir stolz sind: Zigeunermusik! Viele junge Menschen machen heute Musik in der Tradition von Django Reinhardt. Denen wollen wir bei unseren Festivals eine Bühne bieten. Viele Leute haben mich in der letzten Zeit schon gefragt, wann es wieder losgeht. Zigeunernächte und Festivals sind hier in Köln längst Kult.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Markus Reinhardt
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