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Feuerwehrmann hilft in Charkiw: "Wir dürfen nicht die Augen vor dem Schrecken verschließen"


Nürnberger Feuerwehrmann in der Ukraine
"Wir dürfen nicht die Augen verschließen"

Von Annik Schalck

Aktualisiert am 09.07.2022Lesedauer: 3 Min.
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"Hatte am Strand ein schlechtes Gewissen": Nils Thal tauschte Thailand gegen die Ukraine. (Quelle: Reuters)

Aus der ganzen Welt kommen Helfer in die Ukraine. Auch ein Feuerwehrbeamter aus Nürnberg war in Charkiw – und will wieder zurück.

In der Nacht auf Mittwoch zerstören russische Raketen in Charkiw eine Universität und ein Verwaltungsgebäude, nach ukrainischen Angaben werden mehrere Menschen verletzt, darunter ein Kleinkind. Zu den Einsatzorten rücken nicht nur ukrainische Rettungskräfte aus: Auch Ausländer helfen vor Ort – so zum Beispiel Nils Thal.

Normalerweise ist der 35-Jährige Feuerwehreinsatzbeamter bei der Stadt Nürnberg, löscht Brände und rettet Katzen von Hausdächern. Als der Krieg ausbricht, ist er gerade in einem Sabbatical. Er reist – soweit Corona es zulässt – durch die Welt. Als Russland im Februar 2022 in die Ukraine einfällt, ist Thal gerade in Thailand. Schon bald steht für ihn steht fest: Er muss in die Ukraine und dort helfen, wo er als Feuerwehrmann helfen kann. Dort, wo es wirklich nötig ist.

Doch auch wenn die Situation im Kriegsgebiet dramatisch ist, so leicht kommt man in diesen Tagen als Helfer gar nicht in die Ukraine. Thal erinnert sich: "Ich habe über 100 Mails an Hilfsorganisationen geschickt, doch wegen des großen bürokratischen Aufwands hat das alles zu nichts geführt." Und weiter: "Dann hieß es, ich könne nur zum Helfen in die Ukraine, wenn ich einen Kurs mitmache – der nächste Termin sei im Sommer."

"Wenn wir den ersten Einschlag hörten, machten wir uns langsam bereit, auszurücken"

Nachdem fast eineinhalb Monate ohne Bewegung vergangen waren, entschied der verbeamtete Berufsfeuerwehrmann, auf eigene Faust loszuziehen: "Natürlich hätte ich irgendwo im NATO-Gebiet jemandem helfen können, über die Grenze zu humpeln – ich wollte aber direkt in der Ukraine dabei helfen, dass Menschen vielleicht gar nicht erst über die Grenze humpeln müssen, weil die Wunde zum Beispiel eigentlich nur desinfiziert und keimarm verbunden werden müsste".

Anfang Mai ging es also nach Charkiw. "Diese riesige Stadt stand im Fokus von Russland – aber ihr gingen die Einsatzkräfte aus. Die Ortskräfte erzählten mir, dass das Militär deshalb bei normalen Einsätzen helfen musste", schildert er. Genau das habe er abfangen wollen.

Jeden Tag rückte Thal in der zweitgrößten Stadt der Ukraine aus, meist nachts und in der Regel zu Schulen, Lebensmittellagern, Elektrizitätswerken oder Krankenhäusern, wie er erzählt. "Wenn wir den ersten Einschlag hörten, machten wir uns langsam bereit, auszurücken. Die ukrainischen Einsatzkräfte erzählten mir, dass die russische Armee manchmal fünf bis zehn Minuten später nochmal schießt – wahrscheinlich um die Rettungskräfte zu treffen."

Feuerwehrmann in Charkiw: Russland fokussiert vor allem zivile Infrastruktur

Besonders sein erster Einsatz sei ihm im Gedächtnis geblieben. "Wir rückten zu einem gigantischen Brand an einer Lagerhalle aus, in die eine Kalibr-Lenkwaffe eingeschlagen war. Ich wunderte mich darüber, dass diese wertvolle Waffe in diese Bruchbude gesteuert wurde. Als ich unseren Standort per Handy ansah, entdeckte ich knapp 100 Meter entfernt eine Schule – vermutlich hatten sie eigentlich die treffen wollen."

Während der Einsätze half er vor allem bei der Brandbekämpfung, im Umgang mit unbekannten Gerätschaften und vermittelte Einsatzstandards aus Deutschland – und er hielt mögliche Kriegsverbrechen für die Vereinten Nationen fest, erzählt er. Auch seinen ersten Einsatz übermittelte er an die deutsche Botschaft in Kiew.

"Ich hatte Sorge, dass die Toten zu schnell wegtransportiert werden, bevor die gesendeten Investigationsteams das aufnehmen können." Deshalb habe er seine Beobachtungen dokumentiert, die Toten und Verletzten, die Einschläge um sie herum.

All das hat Thal nach eigenen Angaben ohne Vergütung in seiner Freizeit gemacht: "Gelebter Altruismus ist wichtiger für eine Gesellschaft als durch Geld oder Glauben motivierte Handlungen", sagt er.

Ukrainische Politiker feiern Freiwilligen – Thal muss zurück nach Nürnberg

Seit Donnerstagmorgen ist Thal jetzt wieder in Nürnberg, tritt am Samstag wieder seinen normalen Dienst an – schweren Herzens.

In den ukrainischen Medien wird der Feuerwehrmann aus Nürnberg für seine Hilfe gefeiert: "Nils könnte ruhig in Europa in Sicherheit sitzen und den Krieg auf dem Fernsehbildschirm verfolgen. Stattdessen ist er in Charkiw und hilft in seiner Freizeit", lobte sogar die Verkhovna Rada, das ukrainische Parlament, auf seinem Telegram-Account den 35-Jährigen.

Auf seinem Instagram-Account teilt er derweil weiterhin seine Eindrücke aus der Ukraine, um zu zeigen, wie es vor Ort wirklich ist. Das Profil habe er erst ins Leben gerufen, als die mediale Aufmerksamkeit über ihn hereinbrach, erzählt der Berufsfeuerwehrmann – damit ihm kein Propagandist zuvorkommen und sich selbst einen Hintergrund für ihn ausdenken kann, wie er sagt.

Angst vor einer Rückkehr ins Kriegsgebiet hat Thal nicht – der Feuerwehrmann will unbedingt zurück nach Charkiw. Er ist sich sicher, dort am besten helfen zu können: "Wir dürfen nicht die Augen vor dem Schrecken verschließen." Ob Thal wieder los darf, steht aber noch in den Sternen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Nils Thal
  • Telegram-Profil des ukrainischen Parlaments
  • Eigene Recherche
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