Jugendexperte warnt Cannabis-Legalisierung: Gedealt wird auf dem Pausenhof

Über die Legalisierung von Cannabis wurde viel diskutiert. Welche Auswirkungen hat sie auf die Jugend? Ein Experte ist täglich mit den Folgen konfrontiert und übt harsche Kritik an der Politik.
Seit der teilweisen Legalisierung von Cannabis ist für Werner Gloss, den Leiter der Jugendsachbearbeitung bei der Kriminalpolizei Nürnberg, eines besonders deutlich geworden: Das Gesetz lässt sich in der Realität kaum umsetzen. Denn es erlaubt Erwachsenen den Besitz, Jugendlichen aber nicht.
Für ihn sei das, wie er sagt, eine "rein philosophische Vorstellung", die am Pausenhof nicht funktioniere. Im Gespräch mit t-online fragt er rhetorisch: "Wie wollen wir diese Grenze halten? Das ist unmöglich."
Gloss erlebt in seiner Arbeit mit jugendlichen Straftätern, wie sich an Schulen ein Markt etabliert habe, auf dem Jugendliche Cannabis kaufen, strecken und dann weiterverkaufen. Untereinander und das oft unter dem Radar der Behörden. Er erzählt von einem 17-Jährigen, der mit 450 Euro Bargeld und einer kleinen Menge Cannabis in der Tasche erwischt wurde. Nicht in einem Hinterhof, sondern mitten auf dem Schulhof.
Die Nachfrage sei da, sagt Gloss. Da für Jugendliche der Zugang über legale Wege versperrt ist, entsteht laut dem Experten ein Markt zwischen sozialen Milieus. Jugendliche schrecken nicht vor Handel zurück.
Hinter dem scheinbar kleinen Geschäft mit dem Gras stehen in manchen Fällen gewachsene Strukturen. Gloss und sein Team stoßen bei Ermittlungen regelmäßig auf Utensilien in den Wohnungen, auf Geld, auf Verbindungen zu älteren Jugendlichen – und mitunter zu kriminellen Netzwerken. Es gehe, sagt er, nicht um das einzelne Gramm, sondern um die Dynamik, die entsteht, wenn Jugendliche Teil eines Systems werden.
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In einem Fall sei ein Jugendlicher von anderen gefesselt worden, weil er Schulden hatte – wegen nicht zurückgegebenem Cannabis-Geld. Er wurde auf dem Kellerboden gedemütigt, ein Video davon kursierte in der Szene.
Gloss traf mit seinen Bedenken auf Unverständnis
Für den Jugendexperten ist die Teillegalisierung kein Fortschritt, sondern verstärkt die bestehenden Probleme. Im Kreis seiner Fachkollegen sei er mit seiner Kritik zunächst auf Unverständnis gestoßen, erklärt er im Interview. Als Mitglied im Fachverband der deutschen Jugendrichter und Jugendgerichtshilfen habe er frühzeitig vor den Folgen der Teillegalisierung gewarnt, schildert der 60-Jährige.
Die gesetzliche Trennung zwischen Erwachsenen- und Jugendkonsum hielt er nach eigener Aussage von Beginn an für unrealistisch. Er zieht dabei einen Vergleich zum Umgang mit Alkohol: "Der Bürgermeister sticht das Bierfass an – aber Jugendliche dürfen kein Bier trinken." Diese widersprüchliche Signalwirkung hält er für fatal.

Was das Gesetz erlaubt – und was nicht
Seit April 2024 ist der Besitz und Anbau von Cannabis für Erwachsene unter bestimmten Bedingungen erlaubt – Jugendliche unter 18 Jahren dürfen es jedoch weiterhin weder konsumieren noch besitzen. Für sie bleibt Cannabis vollständig verboten.
Seine Haltung ist deshalb eindeutig: Er fordert, das Gesetz wieder zurückzunehmen. Denn in der Praxis stoße es an seine Grenzen. Die Polarisierung zwischen dem legalen Konsum Erwachsener und einem vollständigem Verbot bei Jugendlichen hält er für eine gesetzgeberische Fehlentscheidung.
Was Gloss fordert, ist keine generelle Kriminalisierung. Er fordert ein Gesetz, das praktikabel ist. Eines, das Jugendliche wirklich schützt, statt sie in Strukturen zu treiben, die sich durch Kontrollmaßnahmen allein nicht auflösen lassen.
- Gespräch mit Werner Gloss