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Jugendliche Gewalt in Nürnberg: Wie gefährlich sind junge Intensivtäter?


Zunahme jugendlicher Gewalt
Er behält die gefährlichsten Jugendlichen im Blick


09.08.2025 - 08:00 UhrLesedauer: 4 Min.
Werner Gloss hat seine Erfahrungen auch in einem Buch niedergeschrieben.Vergrößern des Bildes
Werner Gloss hat seine Erfahrungen in dem Buch "Auf Abwegen: Wenn Jugendliche kriminell werden" niedergeschrieben. (Quelle: Meike Kreil/t-online)
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Immer öfter stechen Jugendliche zu. Sie verletzen und töten gar. Warum Jugendliche immer brutaler werden und wieso es oft um Männlichkeit geht, erklärt ein Experte.

Der Junge liegt auf dem Kellerboden. Gefesselt, erniedrigt. Jemand filmt. Das Video kursiert in der Szene, die Polizei bekommt Wind davon. Der Grund für den Gewaltakt: 54 Euro.

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"Er hatte Cannabis verkauft", schildert Werner Gloss diesen eindrücklichen Fall aus seiner Arbeit. Er ist Experte für jugendliche Intensivtäter bei der Kriminalpolizei Nürnberg. Der Junge hatte das eingenommene Geld nicht rechtzeitig zurückgegeben. Dann standen drei Vermummte bei seiner Mutter vor der Tür.

Zuletzt vermehrte Jugendgewalt mit Messern

Jugendliche mit Messern, Gruppenangriffe, tödliche Auseinandersetzungen:
In Nürnberg und Umgebung kam es in den vergangenen Monaten zu mehreren brutalen Vorfällen. Ende Juni etwa geriet eine Tat am Brombachsee in die Schlagzeilen: Eine 19-Jährige erstach dort einen 15-Jährigen. Auslöser war wohl ein Streit zwischen zwei Gruppen. Und erst diese Woche tötete ein 18-Jähriger offenbar seinen Schwager im Familienstreit mit einem Messer.

Werner Gloss leitet als Kriminalhauptkommissar die Jugendsachbearbeitung in Nürnberg – und blickt auf die Hintergründe solcher Taten. Er greift ein, bevor Jugendliche zu Tätern werden. In den meisten Fällen schafft er das auch.

Im Gespräch mit t-online rechnet der 60-Jährige vor: Zehn Prozent der Bevölkerung seien zwischen zehn und 21 Jahre alt. Das macht in Nürnberg rund 50.000 Jugendliche. Davon seien 5.000 polizeilich auffällig. 500 problematisch. Und 50 gefährlich. Weil sie Räume einnehmen, weil sie gezielt Strukturen aufbauen.

Nicht jeder, der zuschlägt, ist gefährlich

Gloss unterscheidet: zwischen Affekttaten und systematischer Brutalität. Zwischen einem Jungen, der im Streit das Messer zieht und demjenigen, der mit einer "fast satanischen Freude quält". Als Beispiel nennt er: "Das Ausdrücken einer Zigarette auf der Haut eines anderen, ist für mich ein deutlich anderes Signal, als in einer Angstsituation falsch zu reagieren." Da stecke eine ganz andere kriminelle Energie dahinter. Die Aufgabe der Polizei: Diese Jugendlichen zu identifizieren – und gegenzusteuern.

Ein Gefängnisgitter: Nach nur zwei Stunden in Freiheit landete ein 23-jähriger wieder im Gefängnis. (Symbolbild)
Ein Gefängnisgitter (Symbolbild). (Quelle: imago-images-bilder)

Was ist ein Intensivtäter?

Als jugendliche Intensivtäter gelten Personen, die wiederholt und schwer straffällig werden – oft mit hoher Gewaltbereitschaft oder als Teil von Gruppierungen. Es gibt keine feste gesetzliche Definition, aber Polizei und Justiz arbeiten mit internen Kriterien, um besonders gefährliche Jugendliche früh zu erkennen und gezielt zu begleiten.

Die Herkunft spiele dabei keine Rolle, betont der Experte. Die jugendlichen Intensivtäter kommen nicht nur aus den Brennpunkten, sondern auch aus Fürth oder Schwabach, und auch aus den guten Gegenden Nürnbergs. Aber auch aus Wohnungen, in denen drei Kinder sich ein Zimmer teilen. Aus Familien, in denen der Vater trinkt, das Geld verspielt und die Mutter aufgibt. Am Tag zuvor sei Gloss erst bei einem Hausbesuch gewesen, "da hat alles geklebt".

"Das Jugendstrafrecht gibt ganz viel her"

Die Abteilung besteht aus sechs Sachbearbeitern, zwei Polizeiangestellten und dem Chef. Der Alltag umfasst klassische Ermittlungsarbeit: Das sind mal Gespräche mit den Eltern oder auch mal ein Abendessen bei der Familie der Freundin. Gloss erklärt anschaulich: "Wenn wir hören, das war diese eine Gruppe, dann suchen wir so lange, bis wir jemanden finden, der früher mal dabei war – und jetzt reden kann." Dann werde aus einer einfachen Körperverletzung ein Bandendelikt. Und aus einem Einzelfall ein Muster. Dann könne die Justiz darauf reagieren. Er sagt: "Das Jugendstrafrecht gibt ganz viel her. Wenn man es klug nutzt."

Aber nicht alles, was nach Jugendgewalt aussieht, sei gleich ein Fall für das Strafrecht. Gloss beschreibt einen Fall, bei dem ein Junge die Schultoilette beschädigt hat. "Die Mutter war alleinerziehend. Der Schaden so groß, dass der Urlaub im Bayerischen Wald abgesagt werden musste." Man habe sich dann geeinigt, dass der Junge zwei Wochen lang mit dem Hausmeister den Schulhof kehrt. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren dann schnell eingestellt.

So verändert sich die Szene

Früher sei die Szene übersichtlicher gewesen, sagt er weiter. Treffpunkte wie der Plärrer in Nürnberg: Da sei man zweimal herumgelaufen – und dann hatte man, wen man suchte. Heute sei das anders, die Szene sei zerfasert. Die Gruppen wechselten die Orte. Deshalb endet Gloss' Zuständigkeitsbereich auch nicht an der Stadtgrenze. Das zahle sich aus – meistens.

Er erklärt: "Eine Jugendgruppe ist anfällig. Wenn man sie stört, löst sie sich oft auf. Aber dazu muss man erst wissen, dass es sie gibt." Problematisch werde es, wenn die Gruppen sich festigen. Wenn Namen, Ränge und interne Regeln entstehen. "Dann entscheiden Jugendliche, wer in Fürth am Rathaus Drogen verkaufen darf. Und wer nicht."

Was Messer mit Männlichkeit zu tun haben

Viele Jugendliche tragen Messer – nicht, weil sie angreifen wollen. Sondern aus Angst, wie der Beamte betont.

Ein Beispiel: Ein Junge ist mit seinem Date auf dem Weg ins Kino und steigt aus der U-Bahn aus. Am Bahnhof wartet schon eine Truppe, die Streit sucht. Sie beobachtet, testet aus. Sie wollen sehen, wie der Junge reagiert – ob er vor seinem Mädchen "Schwäche" zeigt. Lässt sich der Junge dann provozieren, stehen plötzlich zehn Jugendliche um ihn herum. Sie attackieren und filmen.

Gloss fasst zusammen: "Das Messer hat also nicht derjenige eingesteckt, der unten wartet. Sondern der, der auf dem Weg zum ersten Date ist."

Nicht alle schaffen den Absprung

Was hilft? Nicht provozieren lassen. Und: Mädchen, sagt Gloss. Neue Beziehungen, denn die bringen oft geordnete Strukturen mit sich. Doch nicht alle schaffen den Absprung.

Er erinnert sich zum Beispiel an einen Jungen, der an einer Überdosis starb. Allein, mit einer Spritze im Arm, die Tür mit dem eigenen Körper blockiert. Aber auch von dem anderen jungen Mann, der ihn mal auf der Straße ansprach. Es war ein früherer Schützling von ihm, der stolz sagte: "Ich bin jetzt Vorarbeiter. Ich hab' eine Eigentumswohnung, Frau und Kinder. Das hätten Sie nicht gedacht, oder?"

Verwendete Quellen
  • Interview mit Werner Gloss
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