Sprecher der eritreischen Vereine in Stuttgart "Wir sind die Opfer, nicht die Täter"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Krawalle bei einer Eritrea-Veranstaltung in Stuttgart liegen knapp eine Woche zurück. Ein neues Fest am Wochenende wurde abgesagt. Johannes Russom vom Dachverband der eritreischen Vereine spricht im Interview mit t-online über die Absage, die Gewalt und seine Haltung zum Regime in Eritrea.
Nach den schweren Ausschreitungen während einer Eritrea-Veranstaltung in Stuttgart am vergangenen Samstag (16. September) haben eritreische Vereine ein für dieses Wochenende geplantes Fest abgesagt. Sie wollen damit zur Beruhigung der Lage beitragen, fühlen sich aber auch ungerecht behandelt.
Johannes Russom, der Sprecher des Dachverbands der eritreischen Vereine in Stuttgart, erklärt im Interview, was hinter den Veranstaltungen steckt, wie er zu dem umstrittenen Regime in Eritrea steht und warum er den Verantwortlichen Vorwürfe macht.
Nach den Krawallen habe sich die Einstellung der Menschen in Stuttgart zu den Eritrea-Vereinen stark geändert, zuvor sei mit ihnen gemeinsam gefeiert worden, berichtet Russom. Für ihn habe sich eine bittere Erkenntnis durchgesetzt: Integration und Inklusion seien nur Lippenbekenntnisse.
t-online: Herr Russom, Politik, Polizei, aber auch die Bürger haben sich zufrieden über die Absage einer neuen, an diesem Wochenende geplanten Eritrea-Veranstaltung gezeigt. Sind Sie auch zufrieden?
Johannes Russom: Wir haben das geplante Fest im Einvernehmen mit der Stadt abgesagt, weil wir den Sorgen der Bürger und der gesamten Öffentlichkeit Rechnung tragen und zu einer Deeskalation beitragen wollen. Die Stimmung ist sehr aufgeheizt.
Es fühlt sich dennoch für uns nicht richtig an. Es ist fast so, als wären wir die Täter gewesen. Dies ist ein Paradebeispiel für eine Täter-Opfer-Umkehr. Wir waren die Opfer dieser unfassbaren Gewalt mitten in Stuttgart. Es gibt bei G7-Gipfeln Krawalle, bei heiklen Fußballspielen. Aber da käme doch nie jemand auf die Idee zu sagen, wir veranstalten so etwas nicht mehr. Wir dagegen sind ein kleiner Verein, der keine große Lobby hat – und da macht man das.
In den sozialen Medien schreiben viele Stuttgarter, dass sie "solche Veranstaltungen" nicht in ihrer Stadt haben wollen. Um was für eine Veranstaltung handelte es sich eigentlich am 16. September?
Leider gibt es dazu viele falsche Informationen. Wir hatten als Dachverband der Eritrea-Vereine in Stuttgart an diesem Tag zu einem Seminar eingeladen. Ironischerweise war ein zentrales Thema dabei die Frage, wie wir nach den Ausschreitungen in Gießen, in Stockholm, den USA und in Tel Aviv mit der Gewalt gegen unsere Vereine umgehen. Aus der Theorie wurde dann eine bittere Praxis mit den Gewaltszenen direkt vor der Veranstaltungshalle. Auch mindestens zehn Besucher wurden verletzt und viele waren in Gefahr. Das ist schrecklich. Es ging aber nicht von uns aus.
Welche Veranstaltung hatten Sie für das kommende Wochenende in Stuttgart geplant?
Der 1. September 1961 war der Tag, an dem der Eritreische Unabhängigkeitskrieg begann, in dem es um die Unabhängigkeit der ehemaligen italienischen Kolonie Eritrea von Äthiopien ging. Alle Eritreer und viele eritreische Vereine auf der ganzen Welt nehmen dieses Datum zum Anlass, Feste im September zu organisieren. Auch unser Fest am 23. September sollte an den Tag erinnern.
Man wirft Ihnen vor, dass Sie Befürworter des Regimes in Eritrea sind, deshalb gibt es auch regelmäßig Demonstrationen gegen solche Feste. Unterstützen Sie das Regime in Eritrea, dem viele Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden?
Ich trete für einen souveränen Staat Eritrea ein, in dem das Volk das Schicksal und die Zukunft des Landes bestimmt. Ich glaube, bei solchen politischen Fragen gibt es aber keine neutrale Position. Auch ich bin bei dieser Frage nicht neutral und habe meine eigene Meinung. Ich finde viele Dinge gut, die die Regierung in Eritrea macht, das stimmt. Aber es gibt auch Dinge, die ich nicht gut finde und kritisiere.
So hat jeder bei uns in den Vereinen eine eigene Sicht auf die Dinge. Unabhängig davon gilt die Meinungsfreiheit in Deutschland als ein sehr hohes Gut. Und genau diese wurde mit den Ausschreitungen in Stuttgart angegriffen. Das ist doch der zentrale Punkt. Und nicht die Frage, wie ich persönlich über die Regierung in Eritrea denke.
Haben Sie die neue Veranstaltung auch abgesagt, weil Sie Befürchtungen hatten, dass die Polizei die Teilnehmer nicht ausreichend schützen kann?
Der Polizei wurden konkrete Hinweise auf drohende schwere Gewalt durch die sogenannte Brigade N'Hamedu rechtzeitig vor dem vergangenen Samstag überreicht. Das hat aber offenkundig nicht dazu geführt, dass die Polizei dem ein suffizientes Aufgebot entgegensetzte – was eine lebensbedrohliche Lage nicht nur für uns, sondern genauso für die anfänglich nach eigenen Angaben lediglich 20 Beamten verursachte.
Den Polizisten möchte ich von Herzen für ihren Einsatz danken, und denjenigen, die dabei verletzt wurden, wünsche ich beste und baldige Genesung. Aber ich kritisiere diejenigen, die entschieden haben, dass nicht mehr Beamte zur Absicherung eingesetzt wurden. Es wurde auf vielen Ebenen versagt.
Wie wurden die Eritrea-Vereine bislang in der Stadt wahrgenommen und hat sich die Stimmung nach den Krawallen geändert?
Die Vereine leisten einen wichtigen Beitrag zur Integration sowie Inklusion und haben bisher ein positives Image gehabt. Unsere Eritrea-Vereine in Stuttgart und Umgebung nehmen schon seit langer Zeit an verschiedenen Stadtfesten, unter anderem an dem jährlichen Forum der Kulturen im Rathaus der Stadt Stuttgart, teil. Das war immer ein tolles Fest und die Menschen kamen zu uns, haben mit uns gefeiert und unsere landestypischen Speisen genossen. Die Stimmung hat sich nun total gewandelt, selbst gute Freunde rufen bei mir an und fragen mich, wie so etwas nur passieren konnte. Wie ich anfangs schon sagte: Wir werden nun als Täter wahrgenommen, nicht als Opfer.
Wie lange gibt es Ihren Dachverband schon?
In den 1980er-Jahren kamen viele Flüchtlinge aus Eritrea nach Deutschland. Sie haben hier ihre Wurzeln geschlagen und Familien gegründet. In dieser Zeit wurden auch die ersten Eritrea-Vereine aus der Taufe gehoben. Wir sind deutschlandweit gut vernetzt. Ich kam auch in dieser Zeit nach Deutschland und identifiziere mich mit diesem Land.
Werden Sie in Zukunft wieder Veranstaltungen in Stuttgart organisieren?
Es gibt acht Eritrea-Vereine in Stuttgart, nicht alle sind bei uns im Dachverband Mitglied. In all diesen Vereinen finden monatlich viele kleinere Veranstaltungen statt. Das wird auch weiterhin so sein. Größere Veranstaltungen wird es in diesem Jahr aber wahrscheinlich nicht mehr geben. Das hat aber nichts mit den Vorfällen zu tun.
Was ist Ihr persönliches Fazit zu den Vorfällen?
Teilhabe, Integration, Inklusion – das wird hier nicht wirklich gelebt, das sind nur Lippenbekenntnisse von Politikern. Das ist mir jetzt deutlich geworden. Leider. Ich mache mir um das Ansehen, die Anliegen und die Lobby der Geflüchteten und Migranten insgesamt die größten Sorgen. Diese werden durch die furchtbare Gewalt verraten.
Ziel der Gewalttäter ist die mediale Berichterstattung über sie, als eine "eritreische Opposition", die sie in der Größe niemals erhalten würden, wenn sie nicht gewalttätig sein würden. Gewalt ist niemals ein legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele. Und ich habe die Bitte, sehr genau hinzuschauen, durch wen diese ausgeht.
- Telefonisches Interview mit Johannes Russom am 21.9.2023