Zoff ums "Verbrenner-Verbot" immer noch nicht ganz vom Tisch

Ist das jetzt das "faktische Ende" des Verbrenner-Autos oder nicht? Es wurde mal wieder sehr spΓ€t, bis die Umweltminister der EU ihren Kompromiss fΓΌr einen klimaneutralen Autoverkehr ab 2035 vorlegten. Doch ein zentraler Punkt war auch in der Nacht zum Mittwoch offen. Die Minister stimmten zwar dem Auslauf von Neuzulassungen herkΓΆmmlich betriebener Benzin-, Diesel- und Gasautos ab Mitte des nΓ€chsten Jahrzehnts zu. Die BrΓΌsseler EU-Kommission soll aber nun die Frage analysieren, ob mit kΓΌnstlichem Γkosprit betriebene Motoren trotzdem auf der StraΓe bleiben dΓΌrfen.
Damit kΓΆnnte eine HintertΓΌr fΓΌr die Verbrenner offen bleiben. Der Position der Mitgliedstaaten muss noch das EU-Parlament zustimmen.
Wie so oft sehen die Politiker bereits einen Erfolg ihrer jeweiligen Position, wΓ€hrend Wirtschafts- und UmweltverbΓ€nde deftige Kritik Γ€uΓern oder weitere Γnderungen einfordern. FΓΌr Verbraucher und Unternehmen indes bringt der ungeklΓ€rte Umgang mit den sogenannten E-Fuels anhaltende Unsicherheit. Und die Meinungen darΓΌber, was mit erneuerbaren Energien hergestellte Synthetik-Kraftstoffe in Sachen CO2-Nettoreduktion brΓ€chten, gehen immer noch auseinander.
Bundeswirtschafts- und -klimaschutzminister Robert Habeck gab sich zufrieden. Zusammen mit den ebenfalls beratenen VorschlΓ€gen fΓΌr eine Reform des Emissionshandels und Milliardenentlastungen in der Energiewende stehe "das grΓΆΓte Klimaschutzpaket, das seit 15 Jahren in Europa geschmiedet wurde". Seine GrΓΌnen-Kollegin Steffi Lemke aus dem Umweltressort verteidigte den bisherigen Fahrplan. "Wir kΓΆnnen diese Diskussion, ist das ein Verbrenner-Aus oder ist das ein Verbrenner-Aus-Aus, noch eine Weile fΓΌhren. Aber fΓΌr mich ist entscheidend, was beschlossen wurde", sagte sie in Hannover.
Kritiker halten einen Einschluss von E-Fuels in die Klimaschutzregeln fΓΌr eine VerwΓ€sserung und einen nur halbherzigen Abschied von der Verbrenner-Γra. Das Verwirrende: Zwar stΓΌtzte die Ministerrunde das Ziel, von 2035 an nur noch Null-Emissions-Fahrzeuge neu verkaufen zu lassen. Im geltenden System der EU-Flottengrenzwerte mΓΌssen Autobauer bestimmte HΓΆchstschwellen fΓΌr den CO2-AusstoΓ ihrer Modellfamilien je gefahrenen Kilometer einhalten. Auch Lemke bekrΓ€ftigte die Position, "dass Pkw-Neuwagen ab 2035 vollstΓ€ndig CO2-frei fahren sollen".
Allerdings geht es in der Debatte um E-Fuels nicht nur um zulΓ€ssige Emissionen am Auspuff, sondern um eine bilanzielle Gesamtsicht. Obwohl moderne Motoren sauberer sind, ist eine isoliert betrachtete "Nullemission" mit Γkosprit im Tank unmΓΆglich. Auch da wird CO2 frei. Aber es soll ΓΌber den ganzen Nutzungszyklus nicht mehr sein, als vorher aus Bio- und AtmosphΓ€re gebunden wurde. Der Nettoeffekt zΓ€hlt.
Lemke betonte denn auch, die EU-Kommission sei gebeten worden zu prΓΌfen, "ob es Mittel und Wege gibt, fΓΌr diese Randbereiche noch andere MΓΆglichkeiten" zu schaffen. Also hΓΆchstens auΓerhalb des aktuellen Grenzwertsystems oder durch dessen Reform?
Bis 2026 hat die Kommission Zeit. Offen ist aber, was sie vorschlΓ€gt - und ob das fΓΌr Wagen fΓΌr den Individualverkehr gelten wΓΌrde. Ihr Vizechef Frans Timmermans zeigte sich skeptisch: "Bisher scheinen E-Fuels keine realistische LΓΆsung, da sie viel zu teuer sind." Die Hersteller hΓ€tten nun eine Chance, vom Gegenteil zu ΓΌberzeugen. "Die Kommission wird das dann bewerten und eine Schlussfolgerung ziehen."
BefΓΌrworter argumentieren, der Synthetiksprit biete die Chance, schon parallel zum Hochlauf von Batterieautos klassische Verbrenner weniger klimaschΓ€dlich zu machen. "WΓΌrde man fossilen Kraftstoffen dauerhaft fΓΌnf Prozent beimischen, hΓ€tte dies den gleichen Klimaeffekt, als wΓ€ren alle Neuwagen in einem Zulassungsjahrgang emissionsfrei", so das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in KΓΆln. Die Chefin des Autoverbands VDA, Hildegard MΓΌller, bemΓ€ngelt "eine Entscheidung gegen technologieoffene Industriepolitik". ADAC, der Industrieverband BDI, das Kfz-Gewerbe und die Importeure Γ€uΓerten sich teils Γ€hnlich.
"Power to Fuel"-Verfahren gewinnen den Γkosprit nicht aus chemischer Veredelung von RohΓΆl, das Jahrmillionen im Boden lagerte und bei der Verbrennung den Kohlenstoffgehalt der AtmosphΓ€re dann kurzfristig erhΓΆht. Quasi umgekehrt bauen sie Kohlenwasserstoff-Ketten etwa aus Wasserstoff (H2) und CO2 zusammen. DafΓΌr braucht man jedoch H2 in Reinform, wozu Wasser energieintensiv gespalten werden muss. Wenn - und nur wenn - dabei Γkostrom ohne ergΓ€nzende CO2-Last zum Einsatz kommt, kann der Kunstsprit geeignete Motoren klimaneutral antreiben.
Jedoch, so fΓΌhren Skeptiker an, komme die Effizienz der E-Fuels nicht an Pkw-Batterieantriebe heran. Γber alle Energieumwandlungsstufen sei ihr Wirkungsgrad nicht mit dem der Akkus vergleichbar. Aus Γ€hnlichen sowie aus KostengrΓΌnden sollten auch Brennstoffzellen nach Ansicht vieler Ingenieure eher in Lkw, Bussen und Schiffen eingesetzt werden.
Γkonomen verweisen zudem auf Jobeffekte, wenn optimierte Motortechnik eine Weile weiterleben kΓΆnnte. "In den ΓΆstlichen EU-Staaten mit ihren Γ€lteren Flotten wird der Verbrenner lΓ€nger Standard bleiben", glaubt das IW. Unionsweit kommt ein FΓΌnftel des CO2 aus dem StraΓenverkehr.
Die finale Einigung muss mit dem EU-Parlament ausgehandelt werden, es ist mehrheitlich fΓΌr ein Komplett-Aus der Verbrenner. Die FDP mit Finanzminister Christian Lindner und Verkehrsminister Volker Wissing pochte darauf, dass mit E-Fuels betankte Neuwagen im Nachhinein doch nicht auf die Verbotsliste kommen - zum Γrger der Umwelt-Community.
BUND-GeschΓ€ftsfΓΌhrerin Antje von Broock bezeichnete Γkosprit-Sorten als "ScheinlΓΆsung": "Sie sind ineffizient, nicht automatisch klimaneutral und werden auf absehbare Zeit teuer sowie begrenzt verfΓΌgbar bleiben." Martin Kaiser von Greenpeace sprach von einem "Luftschloss", das Verbraucher irreleite und den Klimaschutz zurΓΌckwerfe. Beim ΓΆkologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland (VCD) schimpfte Bundeschefin Kerstin Haarmann gar: "Deutschland hat seine GlaubwΓΌrdigkeit als Klimaschutzvorreiter in Europa verloren."