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Harte Kritik von Bundesliga-Trainer Baumgart: "Wir bauen eine Scheinwelt auf"


Steffen Baumgart
Harte Kritik von Bundesliga-Trainer: "Das ist doch eine Schande"

  • Dominik Sliskovic
InterviewVon Dominik Sliskovic

Aktualisiert am 20.11.2019Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Deutliche Worte: Steffen Baumgart findet längst nicht alles im aktuellen Profifußball gut.Vergrößern des Bildes
Deutliche Worte: Steffen Baumgart findet längst nicht alles im aktuellen Profifußball gut. (Quelle: imago-images-bilder)

Im Interview mit t-online.de spricht der Chefcoach von Aufsteiger SC Paderborn über Neuerungen im Fußball, die Preise in Stadien und sein Image als Pragmatiker.

Seit über zweieinhalb Jahren ist Steffen Baumgart der Trainer des SC Paderborn – eine halbe Ewigkeit im modernen Profi-Fußball. Doch wer solche Erfolge vorweisen kann wie der gebürtige Rostocker, der muss sich auch in dieser sprunghaften Branche keine Sorgen um seinen Job machen: Seit seinem Amtsantritt im April 2017 führte Baumgart die Ostwestfalen aus der Dritten Liga – in der sie nur dank des Lizenzentzugs und des damit verbundenen Zwangsabstiegs 1860 Münchens blieben – zu zwei Aufstiegen und damit zurück in die Bundesliga.

Dort läuft es aktuell nicht sonderlich gut für den Außenseiter. Nach elf Spielen steht der SC Paderborn mit gerade einmal vier Punkten auf dem letzten Tabellenplatz. Baumgart drückt sich jedoch auch in der sportlichen Krise nicht vor der Öffentlichkeit und spricht im Interview mit t-online.de über Emotionen am Spielfeldrand, mögliche Neuerungen beim Videobeweis und warum ein Stadionbesuch bald nicht mehr zum Familienausflug taugen könnte.

t-online.de: Steffen Baumgart, Ihr Gladbacher Trainer-Kollege Marco Rose monierte die Einführung der Gelben und Roten Karten für Trainer und sagte, sie würden die Kommunikation einschränken. Denken Sie seit dieser Saison beim Coachen an der Seitenlinie auch an die möglichen Konsequenzen?

Steffen Baumgart: Diese Gelbe und Rote Karte für Trainer ist eine reine Showgeschichte. Die bringt niemandem etwas und sie bringt den Fußball auch nicht nach vorne. Natürlich müssen auch wir Trainer Disziplin an den Tag legen, aber da gibt es sicher andere, bessere Möglichkeiten, diese zu gewährleisten.

Hemmen Sie die Karten als Trainer?

Rose, Kohfeldt, Baumgart – Sie können alle Trainer der deutschen Profiligen aufzählen: Diese neuen Gelben und Roten Karten sind einfach nur Unsinn. Wofür haben wir denn bereits den vierten Offiziellen? Der ist doch dafür da, die Trainer auch mal herunterzufahren. Gerade bei mir hat das bisher immer sehr gut funktioniert, da ich die Kommunikation mit ihm suche und schätze. Und wenn dann doch etwas Außergewöhnliches passiert, dann sind das nun einmal Emotionen. Sehen Sie: Meine Meinung ist dieselbe wie Marco Roses: der größte Schwachsinn, den es im Fußball gibt.

Was ist Ihre Meinung zum Videobeweis?

Ich bin ein großer Befürworter des Videobeweises, denn ihm geht es um Gerechtigkeit. Das Problem ist nicht der Videobeweis, sondern seine Ausführung. Man muss es hinbekommen, dass die Prüfung und Entscheidungsfindung zügiger geht. Ich habe den Videobeweis etwa in unserer Pokalpartie gegen Leverkusen vermisst. Wir fliegen aus dem Pokal, weil Bayer ein Tor aus Abseitsposition schießt. Solche Situationen sollten doch überprüft werden.

Nun ist der Videobeweis im DFB-Pokal erst ab dem Viertelfinale aktiv. Aber auch in der Bundesliga kommt es immer wieder zu Situationen, in der der Videoassistent hätte eingreifen können, es aber nicht tut. Inwiefern wünschen Sie sich da für Trainer die Möglichkeit einer Challenge, wie wir sie aus dem American Football kennen?

Nein, diese Möglichkeit wünsche ich mir überhaupt nicht. Wir sind hier nicht in Amerika. Ich finde unser System aus Videoassistent und Torlinientechnik gut, da es die entscheidenden Situationen im Blick hat. Dass die Entwicklung noch nicht zu Ende ist, ist klar. Aber wir verbessern diese Systeme Jahr für Jahr ein gutes Stück. So wie wir uns zu Beginn mit der Rückpassregel schwergetan haben und sie nun ganz normal ist, so werden wir irgendwann auch vollkommen positiv auf die Einführung des Videobeweises blicken.

Nichtsdestotrotz sind es auch diese Entwicklungen, die zur Entfremdung einiger Fans vom Fußball beitragen.

Diese Entfremdung, die Sie ansprechen, die kommt doch daher, dass wir eine Scheinwelt aufbauen. Warum sprechen wir kaum darüber, dass so viele Regionalligisten in ihrer Existenz bedroht sind? Weil sich die Klubs an der Spitze das ganze Geld einsacken und das damit rechtfertigen, dass sie die Champions League gewinnen wollen. Nur, was interessiert es TuRa Elsen (Paderborner Stadtteilverein, Anm. d. Red.), dass die Bayern die Champions League gewinnen wollen? Die brauchen Geld, um ihre Jugendtrainer bezahlen zu können, neue Ausstattung zu kaufen.

Es entfremdet die Leute, dass Einzelne sich Millionen einsacken – was aber nun einmal gerechtfertigt ist, da es die Verträge hergeben – während die Kleinen ums Überleben kämpfen. Wenn dann doch so ein Kleiner wie Paderborn in die Bundesliga aufsteigt, wird er bereits durch die Verteilung der Gelder wettbewerbsunfähig gemacht. Das ist doch nicht fair. Es entfremdet die Leute, dass uns nahezu täglich Fußballspiele gezeigt werden.

Was in England bereits zu Protest durch Jürgen Klopp führte …

Wenn ich mir ansehe, dass Liverpool innerhalb von 24 Stunden in zwei Wettbewerben antreten soll, dann hat Jürgen Klopp doch recht, wenn er dagegen protestiert. Das ist doch eine Schande! Du kannst doch nicht innerhalb von 24 Stunden zwei Spiele haben, zwischen deren Austragungsorten 5.000 Kilometer liegen und alles was die Verantwortlichen sagen, ist "Mach!" Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, was das für eine Belastung bedeutet. Spätestens da merkt man doch, dass es nicht mehr um den Sport geht.

Es geht nur noch um Prestige und Geld. Da ist es doch nicht verwunderlich, dass Fans von Manchester United, angewidert von diesen Riesenverträgen, ihren eigenen Klub gründen. Die wollen einfach nur den ehrlichen Sport zurück, auch wenn das bedeutet, dass er nicht immer wunderschön anzusehen ist. Das ist doch die Geschichte, die gerade läuft. Dass Leute keine 50, 60 Euro mehr für eine Tribünenkarte zahlen wollen.

Wobei selbst ein Verein wie Paderborn solche Preise aufruft.

Weil 50 Euro leider schon zum normalen Kartenpreis geworden sind. Aber überlegen Sie sich doch einmal, was das für eine vierköpfige Familie bedeutet! Vier Tickets, drei, vier Bratwürste, schon sind 250 Euro weg. Für Normalsterbliche wird der Stadionbesuch langsam einfach zu teuer. Ich weiß nicht, ob die Fans diese Entwicklung auf Dauer noch mitmachen.

Besonders, da die meisten Bundesliga-Vereine den Großteil ihres Umsatzes nicht mehr durch Kartenverkäufe machen. Braucht es da einen mutigen Akteur, der vorstößt und Tickets für maximal 20 Euro anbietet?

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Ich weiß nicht, ob das möglich ist. Ich bin auch nicht in der Position, solche Entscheidungen zu treffen. Ich sehe die Entfremdung vom Profifußball eher als Spiegelbild eines gesamtgesellschaftlichen Problems: Die Schere geht immer weiter auseinander. Die einen haben so viel Geld, dass sie nicht wissen, wie sie es unter die Leute bekommen, während die anderen kaum genug zum Überleben haben. Da dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Leute lieber für drei Euro zum Kunstrasenplatz um die Ecke gehen.

Sie gelten als Fußball-Pragmatiker, der nicht viel von neumodischen Begriffen und Hightech-Training hält. Wie vermitteln Sie Ihren Spielern, dass Sie auf solche Dinge verzichten und dennoch erfolgreichen Fußball spielen lassen wollen?

Auch wir in Paderborn arbeiten mit modernsten Mitteln. Auch wir nutzen Videoanalysen, auch wir agieren in verschiedenen Trainingskonstellationen. Es ist absolut nicht so, dass ich wie vor 20 Jahren trainieren lasse und mich gegenüber Neuerungen verschließe. Die Trainingsformationen, die ich vor zwei Jahren genutzt habe, nach denen trainieren wir beispielsweise längst nicht mehr. Wir entwickeln uns was die Trainingsmethoden und -steuerung angeht, täglich weiter.

Ich habe das Glück, ein tolles, innovatives Trainerteam hinter mir zu haben, mit dem ich gemeinsam unsere ganz eigenen Methodiken entwickle. Wir müssen gar nicht auf die Konkurrenz oder den DFB mit seinem Virtual-Reality-Training schielen. Was ich anders mache, und was mir wahrscheinlich auch den Ruf als Pragmatiker eingebracht hat, ist, dass ich keine großen Reden über unser modernes Training schwinge. Ich bin ein Freund klarer Ansagen und so vermittle ich das auch unseren Spielern.

Das bedeutet, sie stellen Ihre Trainingsmethoden ständig auf den Prüfstand?

Nein, so ist das nicht gemeint. Ich zweifle nicht an meinem Training. Es geht eher darum, immer wieder die richtigen Schlüsse aus den Ergebnissen zu ziehen.

Wenn Hoffenheim uns etwa in der ersten Halbzeit haushoch überlegen ist, meine Jungs nach 90 Minuten dennoch wieder 119 Kilometer gelaufen sind, kann ja nicht alles schlecht sein. Dann sind wir als Trainerteam jedoch gefordert, mit neuen Lösungen an die Spieler heranzutreten, die uns nicht noch einmal in eine solche Situation bringen. Denn wer das Spiel gegen Hoffenheim gesehen hat, kann nicht behaupten, dass unsere Jungs nicht gewillt waren. Den Ursachen, weshalb es dann dennoch zu einem solch klaren Ergebnis kam, gehen wir dann in der Analyse auf den Grund.

Es scheint, als setzen sie besonders auf die direkte Kommunikation mit Ihren Spielern. Wie wichtig ist es Ihnen da, dass Spieler Deutsch sprechen?

Dass der ganze Kader Deutsch spricht, ist im modernen Fußball gar nicht mehr möglich. Das können wir von den Jungs auch gar nicht verlangen. Da sehe ich eher mich in der Pflicht, mein kaum vorhandenes Englisch aufzubessern.


Zum Glück habe ich mit Danilo einen Co-Trainer an der Seite, dessen Englisch sehr gut ist und der insgesamt fünf Sprachen fließend spricht. Wir zwei ergänzen uns auf dem Trainingsplatz hervorragend. Meine Ansagen kommen in der Übersetzung dann auch genauso herüber, wie ich sie von der gesamten Ansprache haben will. Darüber hinaus zeigen wir den Spielern auch vieles ganz konkret, sodass auch die Spieler, die der Sprache nicht mächtig sind, sich abgeholt fühlen.

Trotz Übersetzers: Wie wichtig ist Ihre Aura als Cheftrainer für die Spieler?

Die Spieler wissen, dass ich als Trainer – aber auch das gesamte Team – hinter ihnen stehe. Wo andere sagen würden, "Zu viele Fehler", sind wir da und sagen ihnen, "Nein, das gehört zu unserer Entwicklung dazu." Deshalb sehen Sie in Paderborn keine niedergeschlagenen Gesichter und hängende Köpfe. Was wir sehen sind Spieler, die immer Vollgas geben und erhobenen Hauptes auftreten.

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