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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Finale der Europa League Der Verlierer liegt endgültig am Boden

Hinter Manchester United und Tottenham Hotspur liegt eine Saison zum Vergessen. Das Finale in der Europa League ist gleichermaßen Chance und Gefahr – für beide Teams.
Im englischen Fußball wird seit Jahrzehnten gerne von den "Big Six" gesprochen, wenn es um die erfolgreichsten Klubs des Landes geht. Typischerweise duellieren sich eben jene Vereine in der Premier League um die vorderen sechs Plätze – oder haben zumindest den Anspruch, dies zu tun. Die "Big Six", das sind die beiden Rekordmeister Manchester United und der FC Liverpool sowie Uniteds Stadtrivale Manchester City und die drei Londoner Klubs FC Chelsea, FC Arsenal und Tottenham Hotspur.
Finale
Mittwoch, 21.05.
Während sich Liverpool, Arsenal, City und Chelsea in dieser Spielzeit beim Erreichen ihrer Ziele durchaus im Soll befinden, sich also nach aktuellem Stand allesamt für die Teilnahme an der Champions League in der kommenden Saison qualifizieren, ist die Lage bei den zwei weiteren Topklubs deutlich verzwickter. Manchester United und Tottenham Hotspur spielen nämlich in der heimischen Liga beide eine historisch schlechte Saison.
Die "Red Devils" sind mit gerade einmal 39 Zählern 16. der Tabelle. Es ist schon jetzt das mit Abstand schwächste Abschneiden des Klubs in der Geschichte der Premier League. Die bisher niedrigste Platzierung in der Liga war Rang acht in der vergangenen Saison. Die wenigsten Punkte wiederum erzielte United 2022 unter Ralf Rangnick, nämlich 58.
Noch einen Platz schlechter stehen aktuell die "Spurs" da. Mit gerade einmal 38 Zählern, die sich maximal noch auf 41 steigern können, wird auch der Hauptstadtklub die Spielzeit mit der für ihn schlechtesten Punkteausbeute seit Einführung der Premier League 1992/1993 abschließen. 44 Zähler 1998 waren bisher das Minimum für Tottenham.
Dennoch gibt es für beide Teams aberwitziger Weise noch die Möglichkeit, in der kommenden Saison in der Champions League anzutreten, denn international wussten sie zu überzeugen. So treffen United und Tottenham am Mittwochabend im Finale der Europa League aufeinander (ab 21 Uhr im Liveticker bei t-online). Der Sieger des Endspiels darf in der Königsklasse antreten. Heißt: Ein Team kann ein verkorkstes Jahr noch retten. Der Verlierer liegt wiederum wohl endgültig am Boden.
Von einer unbefriedigenden Saison in die nächste
Dementsprechend hart würde eine Pleite beide Vereine treffen. Dabei spielen wiederum mehrere Faktoren eine Rolle: neben der aktuellen Lage nämlich auch die Situation in den vergangenen Jahren sowie der Blick in die Zukunft. So schreibt das Anspruchsdenken bei Manchester United dem Klub eigentlich vor, sportlich zur Weltspitze zu gehören. Doch die Entwicklung geht seit dem Abschied von Trainerlegende Sir Alex Ferguson stetig bergab.
Der knorrige Schotte hatte seinem Herzensklub 2013 den Rücken gekehrt. Unter seiner Regie war United sensationelle 13-mal englischer Meister geworden. Doch nach "Fergies" Abgang kam kein einziger Ligatitel mehr dazu.
Vielmehr schleppt sich United seither von einer unbefriedigenden Saison in die nächste. Ein fehlendes Konzept für den Aufbau einer nachhaltig funktionierenden Mannschaft wird versucht, durch völlig überteuerte Millionentransfers zu kompensieren – mit überschaubarem Erfolg.
Vor der aktuellen Katastrophensaison investierte United fast 250 Millionen Euro in neue Spieler. In der vergangenen Spielzeit waren es etwas mehr als 200 Millionen Euro, davor ebenfalls fast 250 Millionen. Heißt: Rund 700 Millionen Euro zahlte der Klub allein in den vergangenen drei Jahren an Ablösen.
Die magere Ausbeute der horrenden Investitionen: der eher unbedeutende Sieg im Ligapokal 2023 und ein glücklicher Erfolg im FA Cup 2024. Im Halbfinale war United damals mit Ach und Krach im Elfmeterschießen gegen den Zweitligisten Coventry ins Endspiel eingezogen, gewann dort gegen ein eigentlich überlegenes Manchester City überraschend mit 2:1. Mit der Meisterschaft oder einem Angriff auf den Champions-League-Titel hatte United zuletzt wiederum rein gar nichts zu tun.
Die chronischen Verlierer
Ähnlich düster sah es auf der Jagd nach Trophäen zuletzt bei Tottenham aus. Der Ex-Klub von Bayern-Star Harry Kane ist in England schon seit einer ganzen Weile als "Bottlers" verschrien. Der Begriff bezeichnet insbesondere unter Fans Mannschaften, denen es trotz guter Erfolgsaussichten nicht gelingt, einen Vorsprung zu nutzen oder ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen. Tottenham wird auf der Insel also im Grunde das zugeschrieben, was auch Bayer Leverkusen bis zur Doublesaison im vergangenen Jahr in Deutschland angedichtet wurde: ein chronischer Zweiter zu sein. Oder noch extremer: ein chronischer Verlierer.
Dazu passt: Die Nordlondoner haben seit 17 Jahren keinen Titel mehr gewonnen. Damals reichte es lediglich zum Ligapokal. Chancen auf eine weitere Trophäe vergab der Klub seitdem aber in gewisser Regelmäßigkeit. 2019 setzte es beispielsweise ein 0:2-Niederlage im Champions-League-Finale gegen Liverpool. Als eines der größten Versagen des Klubs gilt auch die Saison 2015/2016, in der Tottenham sich an der Tabellenspitze lange mit Leicester City um den Meistertitel duellierte, nur um dann doch vom Überraschungsteam abgehängt zu werden und am Ende sogar noch hinter Erzrivale Arsenal auf Rang drei zu landen. Das FA-Cup-Finale erreichte Tottenham übrigens seit dem letzten Sieg 1991 kein einziges Mal mehr.
Die Anhänger des Vereins lechzen dementsprechend nach einem großen Titel. Wohl auch, weil Tottenham wie Manchester United in den vergangenen Jahren die Hoffnungen auf einen solchen mit Millionenausgaben auf dem Transfermarkt schürte, seine Fans aber dann mit den Leistungen auf dem Spielfeld immer wieder enttäuschte. Zum Verständnis: Über 270 Millionen Euro gab der Klub im Laufe der vergangenen Saison aus, rund 175 Millionen Euro folgten in dieser Spielzeit. Zahlen, die insbesondere dem sportlichen Ergebnis in der Premier League nicht gerecht werden.
In Manchester kann wieder etwas entstehen
Die Enttäuschungen der vergangenen Jahre und die blamable aktuelle Ligasaison machen wiederum den gemeinsamen Einzug von United und Tottenham ins diesjährige Finale der Europa League überaus bemerkenswert. Fakt ist dabei: International zeigten beide in diesem Jahr ein anderes Gesicht. United hat in der Europa League keine einzige Partie verloren, Tottenham von den 14 absolvierten lediglich zwei. Eine starke Statistik für beide Teams.
Dass vor allem in Manchester grundsätzlich wieder etwas entstehen kann, zeigte die Mannschaft eindrucksvoll im Viertelfinale des Wettbewerbs. Gegen Lyon schien das Aus beim Stand von 2:4 in der Verlängerung schon besiegelt. Dann gelangen United in irrwitzigen acht Minuten drei Tore.
Trainer Rúben Amorim, der erst im Laufe der Saison Erik ten Hag an der Seitenlinie ersetzt hatte, erklärte damals nach dem Spiel: "Solche Momente können den Spielern in einer Saison wie dieser sehr helfen." Und weiter: "Sie können eine Verbindung zwischen den Fans und den Spielern schaffen, und wir können für ein paar Minuten vergessen, was für eine Saison wir gerade hinter uns haben."
Der 40-Jährige machte damit deutlich, wie wichtig die Europa League für United in diesem Jahr ist – und welchen Effekt ein Gewinn des Wettbewerbs auf die Zukunft des Klubs haben könnte. United würde damit nämlich für einen versöhnlichen Ausklang nach einer für den Verein eigentlich indiskutablen Runde sorgen. Amorim dürfte sich mit dem Titel zusätzlich wohl einiges an Kredit bei Verantwortlichen und Fans erarbeiten. Ein Sieg gegen Tottenham könnte ihm also die nötige Zeit verschaffen, eine Mannschaft nachhaltig nach seinen Vorstellungen zu formen und Manchester United auch langfristig wieder in die Erfolgsspur zu führen. Eine Niederlage würde jedoch all das torpedieren.
Zwischen Ende des Titelfluchs und einem Scherbenhaufen
Bei Tottenham ist die Situation zumindest im Ansatz vergleichbar, wobei Trainer Ange Postecoglou auf der Kippe stehen soll – ob er die Europa League am Ende gewinnt oder nicht. Auf der Pressekonferenz am Dienstag betonte der schwer in der Kritik stehende Australier aber, es gebe nun "die Möglichkeit, zumindest die Hauptaufgabe zu erfüllen, die mir gegeben wurde, nämlich Trophäen in den Klub zu bringen."
Gelingt dieses Vorhaben, würde Postecoglou sich wohl trotz der Katastrophensaison seiner Mannschaft bei zahlreichen Tottenham-Fans zumindest einen gewissen Legendenstatus erarbeiten – als der Trainer, der den Titelfluch des Klubs endlich brechen konnte.
Verliert das Team aber das Finale gegen Manchester United, geht die Amtszeit des 59-Jährigen wohl als eines der dunkelsten Kapitel in die Geschichte des Vereins ein – und Tottenham stünde endgültig vor einem wohl schwer zusammenzukehrenden Scherbenhaufen.
- transfermarkt.de: Profile von Manchester United und Tottenham Hotspur
- bbc.com: "'Three games from glory, Man Utd begin to show never-say-die DNA'" (Englisch)
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagentur SID