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Vor 84 Jahren: Wie Jesse Owens sechs Weltrekorde an einem Tag knackte


Größter Tag der Leichtathletik-Geschichte
Wie die "Pistolenkugel von Ohio" sechs Weltrekorde innerhalb von 45 Minuten knackte


Aktualisiert am 25.05.2019Lesedauer: 4 Min.
In Sprint, Hürdenlauf und Weitsprung: Jesse Owens startete als Student für die Ohio State Universität.Vergrößern des Bildes
In Sprint, Hürdenlauf und Weitsprung: Jesse Owens startete als Student für die Ohio State Universität. (Quelle: imago-images-bilder)
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Heute vor 84 Jahren setzt sich Jesse Owens ein Denkmal für die Ewigkeit. In nur 45 Minuten stellt er die Leichtathletik-Welt komplett auf den Kopf. Dabei kann er sich vor Schmerzen kaum selber anziehen.

Der wohl spektakulärste Tag der Leichtathletik-Geschichte beginnt für seinen Protagonisten mit Schmerzen. Starken Schmerzen – in den Beinen. Diese hindern den 21-jährigen Jesse Owens an diesem sommerlichen 25. Mai 1935 daran, sich vor den Wettkämpfen im Uni-Städtchen Ann Arbor aufzuwärmen.

"Wenn es nicht geht, bleibst du am Start sitzen"

Zuvor ist der afroamerikanische Student der Ohio State Universität bei einer Rauferei mit Kommilitonen die Treppe heruntergefallen und hat sich am Rücken verletzt. Der Start des Kapitäns der Ohio State Buckeyes bei der Leichtathletik-Meisterschaft der "Big Ten Conference", dem größten Uni-Wettbewerb im Mittleren Westen der USA, ist gefährdet. Doch der Sohn eines Farmers aus Alabama gibt nicht auf und wird für die eintägige Reise in den Klappsitz des Autos seines Coaches Larry Snyder hinein- und herausgehoben.

"Wenn es nicht geht, bleibst du am Start sitzen oder hörst nach wenigen Minuten auf", bläut Snyder seinem Schützling, dem er zuvor beim Anziehen von Schuhen und Trainingsanzug geholfen hat, ein – obwohl er natürlich weiß, dass sich sein hoffnungsvollstes Talent monatelang auf diesen Tag vorbereitet hat. Die Vorzeichen sind denkbar ungünstig. Doch dann habe ihm Trainingskollege Charlie Beetham auf die Schulter geklopft und gesagt "Junge, du bist in Ordnung", beschreibt Owens in seinem Buch "Schwarze Gedanken“ den entscheidenden Moment. Der Rest ist Geschichte: Owens beißt auf die Zähne und setzt sich mit sechs Weltrekorden innerhalb von nicht einmal einer Stunde ein Denkmal.

Das Protokoll:

Los geht es um etwa 15.15 Uhr. Gelaufen wird – wie in den USA damals üblich – die 100-Yards-Distanz (etwa 91,44 Meter). Und hier setzt Owens gleich ein Ausrufezeichen: Er zieht der Konkurrenz unwiderstehlich davon, gewinnt mit fünf Metern Vorsprung. Drei der sechs Zeitnehmer stoppen 9,3 Sekunden, was einem neuen Weltrekord entsprochen hätte. Da allerdings die langsamsten Zeiten gelten, werden letztendlich 9,4 Sekunden in die Siegerlisten eingetragen – was immerhin die Einstellung des aktuellen Weltrekords bedeutet.

Um etwa 15.25 Uhr folgt der Weitsprung. Dafür denkt sich Owens etwas Besonderes aus: "Ich legte mein Handtuch bei 7,98 Metern hin, dem Weltrekord von Nambu (Chuhei, damals Weltrekordler aus Japan, Anm. d. Red.), und hatte so einen optischen Anreiz." Und das wirkt. Er macht nur einen Sprung und landet dabei nach 8,13 Metern in der Sandgrube – eine Weite, die erst ein Vierteljahrhundert später geknackt wird. Hürdenläufer Francis Cretzmeyer ist wie alle Beobachter verdutzt: "Dass er nur diesen einzigen Versuch tat, setzte jedermann in Erstaunen. Jesse sprang sehr hoch, höher als der Kopf des an der Grube sitzenden Kampfrichters."

Nur wenige Minuten danach, um etwa 15.34 Uhr, steht der 220-Yards-Lauf (201,168 Meter) an. Dafür schaufelt sich Owens zwei Startlöcher in die Aschenbahn – denn Starblöcke gibt es noch nicht. Auch hier ist der Ausnahmeathlet nicht zu halten und unterbietet den Weltrekord mit 20,3 Sekunden um drei Zehntelsekunden. Und es kommt noch besser für Owens: Da die über diese Strecke gelaufenen Rekorde auch als offizielle 200-Meter-Rekorde gewertet wurden, stellt er mit einem Lauf sogar zwei Weltrekorde auf.

Diese Zählweise gilt auch beim Hürdenrennen über 220 Yards, das um 16 Uhr startet. Und auch hier schwebt Owens förmlich über die Bahn und bleibt am Ende als erster Läufer unter der 23-Sekunden-Marke. Offiziell werden 22,6 Sekunden in die Ergebnisliste notiert, doch zwei der sechs Zeitnehmer stoppen sogar 22,4 Sekunden.

Sechs Weltrekorde – und kaum jemand berichtet darüber

Fünf neue Weltrekorde auf- und einen bestehenden eingestellt und das in nicht einmal einer Stunde – so etwas hat es in der Leichtathletik-Geschichte danach nicht einmal annähernd gegeben. "Jesse schien über die Piste zu schweben. Er streichelte sie geradezu. Von den Hüften an aufwärts bewegte er den Körper praktisch nicht – er hätte eine volle Kaffeetasse auf dem Kopf balancieren können und nichts davon verschüttet", schwärmt Coach Snyder. Dieser behauptet später sogar, dass Owens – bei entsprechender Konkurrenz – sogar noch schneller gelaufen wäre und über die 100 Yards die Neun-Sekunden-Marke geschafft hätte.

Umso erstaunlicher ist es aus heutiger Sicht, dass diese Höchstleistungen in den US-Zeitungen kaum Erwähnung finden. In der Zeit der Rassentrennung schenken diese den Leistungen eines Afroamerikaners wenig Beachtung. Dies ändert sich erst gut ein Jahr später, als Owens mit vier Goldmedaillen zum Superstar der Olympischen Spiele in Berlin avanciert – und die Nazis mit ihrer Rassenideologie auf ganzer Linie blamiert. "Bei Olympia das Rennen über 100 Meter zu gewinnen, das war mein Traum, seit ich ein kleiner Junge von 13 Jahren war. Das Big Ten war ein Startschuss, weil ich zum ersten Mal gemerkt habe, dass ich auch gegen die besten Athleten gewinnen kann. Aber die Olympischen Spiele waren das Größte", resümiert Owens später.


Nicht nur deshalb gerät dieser sonnige Samstagnachmittag im Mai1935 in Ann Arbor oft in den Hintergrund, wenn über Owens' Erfolge gesprochen wird. Zu Unrecht. Denn was der Mann mit dem Spitznahmen "The Buckeye Bullet", was übersetzt sinngemäß "Die Pistolenkugel von Ohio" heißt, dort geleistet hat, ist und bleibt eine Jahrhundertleistung.

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