"Braune Frauen": Frontmann teilt gegen Frauke Petry aus
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr fΓΌr Sie ΓΌber das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Er lieferte sich nicht nur einen Schlagabtausch mit der AfD, sondern ist auch Deutschlands neue ESC-Hoffnung. Aber wer genau ist Chris Harms? t-online hat ihn selbst gefragt.
In der Metal-Szene sind Lord of the Lost schon lange bekannt, feiern international Erfolge. Seit dem ESC-Vorentscheid bekommt auch die breite Masse Wind vom Gitarrenfeuer der Rocker. Chris Harms, der Frontmann der Gruppe, verdient dabei ein besonderes Augenmerk.
Denn der Mann irritiert. Es scheint alles nicht zusammenzupassen. HΓΆrt man Harms in seinen Songs schreien, denkt man zuerst nicht unbedingt an den schlanken, in Gold und Glitzer gekleidet Mann, der sich beim ESC-Vorentscheid mit blondem Pferdeschwanz prΓ€sentierte. Bei dem SΓ€nger handelt es sich um ein Gesamtkunstwerk, das vor allem eines nicht will: in eine Schublade passen.
"Ich bin das Gegenteil von dem, was man erwartet"
"Ich bin vermutlich in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von dem, was man erwartet, wenn man mich nur von der BΓΌhne oder von Videos und Fotos kennt", sagt Harms zu t-online ΓΌber sich selbst. Abseits der BΓΌhne sei er ein sehr ruhiger und besonnener Mensch. FleiΓig, pΓΌnktlich, er arbeite viel und gern. Wenn Harms etwas Freizeit habe, dann verbringe er die mit seinem Sohn. Er trinke nicht, nehme keine Drogen, mache gern Fitness oder Kampfsport, ernΓ€hre sich vegetarisch, phasenweise vegan. Der SΓ€nger will die Welt besser machen, versuche es jedenfalls jeden Tag.
Der 43-JΓ€hrige ist Musiker durch und durch, lernte im Alter von fΓΌnf Jahren sein erstes Instrument, das Violoncello. Er ist nicht nur SΓ€nger, sondern auch Musikproduzent und Songwriter, arbeitete unter anderem schon mit BlΓΌmchen, Nino de Angelo oder Ferris MC.
Wir benΓΆtigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen Instagram-Inhalt anzuzeigen. Sie kΓΆnnen diesen (und damit auch alle weiteren Instagram-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Ein prΓ€gendes Erlebnis erfuhr er allerdings nicht mit der Musik, sondern bei einer Promi-Party in Hamburg. Harms war einer von 1.500 GΓ€sten, die Opfer eines Anschlags mit einer Handgranate wurden. Mehrere Splitter trafen ihn in RΓΌcken und Beine. Ein Monat Krankenhaus und mehrere Operationen folgten. Vergessen ist diese Nacht noch lange nicht, auch wenn sie bereits 23 Jahre zurΓΌckliegt. "Ich zucke nach wie vor mehr zusammen als jemand anderes, wenn ein Luftballon explodiert oder an Silvester die BΓΆllerei losgeht", sagt Harms.
Auch seine Musik habe das beeinflusst, ihn aber auch nicht weniger erfolgreich werden lassen. Am Freitagabend wurden Lord of the Lost zu Deutschlands Beitrag fΓΌr den ESC gekΓΌrt. Nach dieser Nachricht gab es nicht nur Jubel. Eine, der das missfiel, war Ex-AfD-Chefin Frauke Petry. Auf Twitter schrieb sie: "Kann mir nicht vorstellen, dass normale BΓΌrger von diesen pinken Herren 'vertreten' werden wollen." AnschlieΓend lΓΆschte sie den Beitrag wieder. Mehr dazu lesen Sie hier.
"Pinke Herren lassen sich nicht von braunen Frauen Γ€rgern"
Harms lieΓ das nicht auf sich sitzen. Antwortete, dass die Band diese Art von BΓΌrger auch nicht vertreten wolle. "Pinke Herren lassen sich nicht von braunen Frauen Γ€rgern", sagt Harms jetzt zu t-online. "Und ihren stummen Schrei nach Liebe hat sie dann ja auch wieder selbst gelΓΆscht. Wenn sie auf diese Weise gern Werbung fΓΌr uns machen mΓΆchte, ist das kein Problem fΓΌr uns. Andere mΓΌssen fΓΌr so viel Reichweite sehr viel Geld bezahlen." Mit Petry wΓΌrde er sich sogar an einen Tisch setzen und ihr "vermutlich erst mal zuhΓΆren, denn sie hat ja offenkundig Mitteilungsdrang".
Die Gruppe rund um Harms muss sich nicht erst seit dem ESC-Vorentscheid mit Hass auseinandersetzen. Am hΓ€ufigsten begegne er hasserfΓΌllten Menschen im Internet. "Dass all diese Kommentare nur etwas ΓΌber ihre Verfasser aussagen, und nicht ΓΌber uns oder mich, das ist den meisten dieser Menschen gar nicht bewusst", sagt er. Ernst werde es, wenn er es mit "bewusst bΓΆsartigen" Kommentaren und Falschaussagen zu tun bekomme. "Denn das ist brandgefΓ€hrlich." Den GroΓteil ignoriere er allerdings.
Momentan kursieren GerΓΌchte ΓΌber Lord of the Lost, die behaupten, die Gruppe fΓΌhle sich dem Satanismus zugehΓΆrig. Das entbehre jeglicher Grundlage, so Harms. "Es hat schon fast etwas KomΓΆdiantisches, wenn ich als Agnostiker ganz christlich und offen den Dialog mit denen suche, die nicht das eigene 8. Gebot befolgen: 'Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen NΓ€chsten.'" Er und seine vier Mitmusiker seien bloΓ ein "Haufen bester Freunde, die sehr offen und mit viel Liebe" jeden bei Konzerten begrΓΌΓen wΓΌrden, "egal, welcher Herkunft, Hautfarbe, Religion, welchen Geschlechts oder sexueller Orientierung, von alt bis jung". Ihre Religion sei die Empathie, das sei auch die Kernaussage des ESC-Hits "Blood & Glitter": "We are all from the same blood" (auf Deutsch: "Wir sind alle vom selben Blut.")
Wir benΓΆtigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen Youtube-Inhalt anzuzeigen. Sie kΓΆnnen diesen (und damit auch alle weiteren Youtube-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Politisch sind die MΓ€nner um Lord of the Lost eigentlich schon. Beim ESC sind solche Aussagen allerdings nicht erwΓΌnscht. Es soll um die Musik gehen. "Politische Statements sind auch immer eine Interpretationsfrage", findet Harms. Der Song "Blood & Glitter" kΓΆnne demnach einfach nur ein Partysong sein. "Muss er aber nicht." Die EinschΓ€tzung von Lord of the Lost beim ESC von meinem Kollegen Sebastian Berning lesen Sie hier.
Embed
Ziele fΓΌr die Teilnahme beim ESC
Harms Ziele und WΓΌnsche fΓΌr den groΓen Auftritt beim ESC im Mai in Liverpool sind bescheiden: "Rein statistisch gesehen wΓ€re alles, was besser ist als ein vorletzter Platz, ja bereits ein Erfolg", findet er. Der Wettbewerb halte viele "starke Acts" mit "grandiosen Stimmen" bereit. Harms ist demΓΌtig, hat nicht einmal geglaubt, den Vorentscheid gewinnen zu kΓΆnnen.
"Wir sind beim ESC dieses Jahr eine eher exotische Ausnahme-Erscheinung, neben einigen wenigen anderen. Das kann Fluch oder Segen sein." Wichtig sei ihm vor allem eines: "Dass wir zu hundert Prozent authentisch und mit viel Spielfreude unseren Auftritt absolvieren, genau so unverbogen und unchoreografiert, wie wir eben sind."