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Campino von Die Toten Hosen: So reisten wir illegal durch die DDR


Campino über legendären Auftritt
"Dann wären wir direkt ins Gefängnis gewandert"

InterviewVon Sebastian Berning

Aktualisiert am 12.04.2022Lesedauer: 6 Min.
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Campino: Der Sänger der Toten Hosen hat seine ganz eigene Verbindung mit der DDR.Vergrößern des Bildes
Campino: Der Sänger der Toten Hosen hat seine ganz eigene Verbindung mit der DDR. (Quelle: IMAGO / Martin Hoffmann)

Punk heißt Auflehnung. Das haben auch Die Toten Hosen gewusst. Mit t-online spricht Sänger Campino über ihr berüchtigtes illegales Konzert in Ostberlin 1983 und über Erinnerungen an die deutsche Teilung.

Punkrock stammt mit Bands wie den Sex Pistols, The Damned oder den Buzzcocks eigentlich aus England. Westliche Musik, die dem Regime des Ostblocks mit ihrer "No future"-Attitüde so gar nicht geschmeckt haben dürfte. Und dennoch florierte hinter der deutschen Mauer eine Szene. Auch in Berlin lungerten in den frühen Achtzigerjahren Menschen mit Irokesen, Lederjacken oder anderen eher alternativen Merkmalen am Alexanderplatz. Irgendwie kam die West-Musik in die DDR und erfreute sich bei Jugendlichen großer Beliebtheit.

Besonders beliebt: Die Toten Hosen aus Düsseldorf. In der neuen ARD-Doku "Auswärtsspiel – die Toten Hosen in Ostberlin" (ab 10. April in der Mediathek, am 13. April um 22:50 Uhr in der ARD) steht ein Nachmittag in Ostberlin im Vordergrund. Campino und Co. setzten als Besucher an der Friedrichstraße in den Osten über. So weit, so gut, so legal. Doch die Band spielte ein geheimes Konzert in einer Kirche. Nur wenige wussten davon. Im Interview mit t-online spricht der Sänger über diesen außergewöhnlichen Tagestrip, den Ostblock und den Drang, Verbotenes zu tun.

t-online: Da spielen Die Toten Hosen ein Konzert in Ostberlin und es gibt bis auf ein Foto kein Andenken. Finden Sie das schade?

Campino: Nein, so war eben die Situation. Unser Konzert durfte auf keinen Fall der Stasi bekannt werden. Also haben alle Anwesenden vereinbart, dass keine Fotos gemacht werden. Es sollte niemand durch so eine Aufnahme in Schwierigkeiten kommen. Sicherlich hätten alle ein Bild gewollt, aber man hatte Angst. Dass dann Jahre später doch ein Foto aufgetaucht ist, ist kaum zu glauben.

Heute würde wohl jeder trotz des Verbots Fotos machen.

Bestimmt, aber das war einfach eine ganz andere Zeit. Ein Foto zu machen, bedeutete einen völlig anderen Aufstand – das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Anfang der Achtziger war ein Foto noch etwas Besonderes. Deshalb gab es damals deutlich weniger Schnappschüsse .

Wenn es schon keine Fotos gibt, wie gut erinnern Sie sich denn an diesen Ostberlin-Trip?

Es gibt Erlebnisse, die trägt man bis an sein Lebensende mit sich. Die eine oder andere Erinnerung ist etwas getrübt, aber die Kernmomente sind klar geblieben. Die Verabschiedung mit allen beim Übergang vom Osten in den Westen ist zum Beispiel etwas, das ich nie vergessen werde.

Wieso?

Dass wir Wessis ein Konzert in Ostberlin spielten, war natürlich gefährlich, aber mehr für unsere neuen Ostfreunde als für uns. Als die Show vorbei war, ist auch das Eis zwischen uns gebrochen. Alle waren richtig euphorisch.

Im frühen Hosen-Klassiker "Modestadt Düsseldorf" sangen Sie "Wir sind aus Düsseldorf, wo kein Mensch irgendwelche Sorgen hat". War das das Lebensgefühl der frühen Achtziger?

Wir haben uns eher über Düsseldorf lustig gemacht beziehungsweise die Vorurteile, die unserer Heimatstadt immer unterstellt werden. Gerade jetzt, wo Sie das Lied ansprechen, muss ich überrascht feststellen, dass ich auf der neuen Single "Scheiß Wessis" schon wieder behaupte, dass wir keine Sorgen haben (lacht).

Hatten Sie also keine?

Doch schon (lacht). Ich habe mich mehr über das Bild lustig gemacht, das andere von uns Düsseldorfern haben. Die Leute in der DDR dachten sicherlich auch, dass wir in der Bundesrepublik keine Probleme und Kohle ohne Ende hätten. Was unsere Stadt angeht: Düsseldorf besteht ja nicht nur aus der Kö, sondern ist auch durch wirklich harte Arbeiterstadtteile geprägt.

Von der Modestadt kamen Sie als Kind aber oft nach Westberlin, weil dort Ihre Großmutter lebte.

Es stimmt, dass sie dort lebte, ich bin dennoch erst als Zwölfjähriger zum ersten Mal dort gewesen. Damals habe ich meine Schwester, die in Berlin studiert hat, besucht. Ich kann mich noch gut an die Zugreisen erinnern. Die Fahrt von Düsseldorf nach Berlin hat immer zwischen acht und elf Stunden gedauert.

So lange dauert es noch heute manchmal …

Damals lag es allerdings an den Grenzübergängen und nicht an der Deutschen Bahn. Es gab wahnsinnige Wartezeiten, weil die Ostbeamten immer mit Hunden durch die Züge patrouillierten und unter den Wagen geprüft haben, ob jemand heimlich in den Westen ausreisen wollte. Den Kontrollwahn des Ostens hat man bei diesen Reisen aus nächster Nähe miterlebt.

Wie haben Sie als Junge die Teilung erlebt?

Mit meinen Eltern war ich in den Siebzigerjahren einmal in Leipzig. Dort hatten wir Bekannte, denen es gelang, uns über ein Wochenende einzuladen. Dafür mussten wir ein kompliziertes Visum beantragen. Was bei mir von dieser Reise hängengeblieben ist, sind diese riesigen Propagandaplakate mit sozialistischen Parolen, aber ich erinnere mich auch, dass die Leute sehr nett waren. Jedes Jahr zu Weihnachten hatten wir eine große Kiste mit Büchern in der Post, während wir im Gegenzug irgendwelche Westprodukte rübergeschickt haben. Das war ein klassischer Austausch, den viele deutsche Familien hatten.

Mit diesen Vorkenntnissen: Wie sahen Ihre Erwartungen an Ostberlin aus?

Man wusste natürlich ein bisschen über das Leben dort. Ich persönlich fand es sensationell, sich nach Ostberlin einzuschleichen und heimlich ein Konzert zu spielen. Dort haben wir gesehen, dass die Punks da deutlich mehr riskierten und härter lebten als wir.

Inwiefern?

Jede kritische Aussage gegen den Staat war extrem heikel. Wenn die Stasi solche Texte in die Hände bekommen hätte, wäre man direkt ins Gefängnis gewandert.

Hat Sie das auch an dem Konzert in der DDR gereizt?

Natürlich spielte das eine Rolle. Es war aufregend für uns, dort etwas zu tun, was verboten ist. Und es war ja auch nicht das letzte Mal (lacht).

Jetzt müssen Sie mir aber erzählen, was dem folgte!

In Ostberlin waren wir ja zunächst nur für ein Konzert, nach einem Nachmittag war alles vorbei und es ging wieder in den Westen. In Polen haben wir 1985 aber eine ganze Tournee gespielt. Die war auch illegal, weil wir nur eine Einreiseerlaubnis hatten für ein einziges Konzert in Warschau.

Das mussten Sie beantragen, oder?

Genau. Aber daraus wurde dann direkt eine ganze Tournee, die mit den Autoritäten nicht abgesprochen war (lacht). Unser Auto wurde immer schwarz betankt. Wir sind dann in irgendwelche Waldstücke gefahren und plötzlich kamen Leute mit Benzinkanistern zwischen den Bäumen hervor. Aus Zeitungspapier bauten sie eine Art Trichter, um den Sprit einzufüllen. So sind wir wirklich durch das Land gekommen.

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Wie haben Sie diese Reise denn organisiert?

Wir wurden von einer Untergrundstudentenbewegung in die verschiedenen Städte vermittelt, unter anderem nach Danzig und nach Lodz. Auf diese Art und Weise sind wir auch in Ungarn unterwegs gewesen. Wir haben es irgendwie geschafft, mit unseren Instrumenten über die Grenze zu kommen und auch da mehrere Konzerte zu spielen. Solche Abenteuer haben uns immer gereizt.

Und die Stasi oder Sowjets haben davon nie was mitbekommen?

Die Stasi schon, aber meistens zu spät (lacht). Als Ende der Achtziger einmal bekannt wurde, dass wir in der Tschechoslowakei spielen sollten, haben sich viele Punks aus der DDR auf den Weg gemacht, um dabei zu sein. Sie wurden von der Polizei zu Hunderten aus den Zügen geholt. Wir haben es immer halbwegs heil zurück in den Westen geschafft.

Wie haben Sie denn den Punk im Ostblock erlebt?

Was ich nie vergessen werde, ist, dass wir vor dem ersten Ostberlin-Konzert bei dieser Kirche ankamen und uns die Instrumente anschauten, die die Organisatoren mitgebracht hatten. So hingen wir da mit den Ostpunks eine halbe Stunde rum, aber es entstand kaum ein Gespräch, weil sie der Situation misstrauten. Es war eine gewisse Angst zu spüren.

Vor den Toten Hosen? Aber Sie sollten doch da spielen.

Die dachten, dass es nicht sein kann, dass wir, Die Toten Hosen, wirklich in Ostberlin neben ihnen stehen. Vielleicht vermuteten einige sogar, dass wir mit der Stasi zusammenarbeiteten. Sie waren sehr scheu, und intensive Gespräche kamen eigentlich erst auf, als nach dem Gig wieder alle Sachen eingepackt wurden und jeder ahnte, dass die Aktion geglückt war. Am Grenzübergang fielen wir uns dann alle in die Arme und versicherten uns "bis bald".

Aber die Jungs von Planlos haben Sie dann bis zu den Aufnahmen der Doku 39 Jahre später nie wieder gesehen, oder?

Nein, leider nicht. Es hat sich auch nach dem Mauerfall nie ergeben.

Sie wussten also auch nicht, ob die Jungs nicht später noch Ärger mit der Stasi hatten?

Nein, auch das erfuhren wir erst viel später. Nun haben wir uns nach 39 Jahren wiedergetroffen. Es war rührend zu sehen, was für tolle Menschen diese vier Musiker sind. Durch Einsicht in die Stasi-Unterlagen ist erwiesen, dass man damals versucht hat, jeden einzelnen aus der Band unter Druck zu setzen und zur Mitarbeit bei der Stasi zu bewegen. Aber sie haben sich nicht einschüchtern lassen und sind deshalb zur Strafe in die Armee gesteckt worden. Was für eine Courage! Mehr Punk zu sein als die Band Planlos, geht also eigentlich nicht (lacht).

Verwendete Quellen
  • Persönliches Interview mit Campino
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