Rolf Becker wird 85: Sehnsucht nach einer besseren Welt

Hamburg (dpa) - "Die SchΓΆnheit erweckt im Menschen die Sehnsucht nach der ErlΓΆsung der Welt. Vor allem die KΓΌnste vermΓΆgen Vorstellungen hervorzurufen, wie die Welt sein kΓΆnnte", sagt der Schauspieler Rolf Becker, den Millionen aus "Derrick" oder "In aller Freundschaft" kennen. "Deshalb weinen wir, wenn wir eine gut gespielte Sonate von Schubert hΓΆren."
Solche Worte von einem TV-Star zu vernehmen, der auch durch langjΓ€hrigen Einsatz fΓΌr linke Politik bekannt ist, mag erstaunen. Denn ist die Idee klassischer SchΓΆnheit in seinen Kreisen nicht lΓ€ngst als reaktionΓ€r verpΓΆnt? "Das liegt daran, dass wir 68er nicht in der Lage waren, den Begriff auf das zurΓΌckzufΓΌhren, was er wirklich beinhaltet." Der 68er Rolf Becker wird am 31. MΓ€rz 85.
In seinem Hamburger Stammbistro fΓΌhrt er den Gedanken zu Ende: "Von der SchΓΆnheit geht ein Impuls aus, mit den Klischees zu brechen, mit denen wir aufwachsen. Von daher ist die Kunst fΓΌr mich immer wichtig geblieben - auch wenn ich mich inzwischen lieber direkt engagiere, als mit Hilfe des Theaters die Welt zu verΓ€ndern. Denn die kulturellen Institutionen haben in meinen Augen einiges von ihrem Mut verloren, den sie in den 60ern und 70ern bewiesen." So besuchte Becker 2019 ein FlΓΌchtlingslager in Griechenland und setzt sich dafΓΌr ein, den Menschen in ihrer Heimat zu helfen.
In Leipzig geboren, lebt Becker seit fast 50 Jahren in Hamburg. Eben ist er aus Berlin zurΓΌckgekehrt, wo er fΓΌr einen "Tatort" mit seiner Tochter Meret (51, Ermittlerin Nina Rubin) vor der Kamera gestanden hat. Zugewandt und unprΓ€tentiΓΆs wirkt der hagere Star mit strahlend blauen Augen, dabei dynamisch und nachdenklich.
Doch er erklΓ€rt im Interview der Nachrichtenagentur dpa: "Ich bin in der Zielgeraden, da darf man sich nichts vormachen. Man stellt sich darauf ein und fragt sich: Was hast du noch vor? Ist das noch machbar?" Eine Bilanz seines bisherigen Lebens mag der Schauspieler, der aus erster Ehe auch noch Vater von SchauspielgrΓΆΓe Ben (55, "Werk ohne Autor") ist, nicht ziehen. "Es ist, wie es ist", zitiert er gelassen den Lyriker Erich Fried.
Zum prΓ€genden Erlebnis gerieten fΓΌr Becker die Kriegsjahre. Im Dorf Osterstedt in Holstein, bei seinen GroΓeltern, sah der kleine Rolf nachts in 60 Kilometer Entfernung Hamburg brennen. TagsΓΌber war der Himmel so schwarz, dass die Sonne kaum durchkam. Sein Vater, ein ΓΌberzeugter hoher MilitΓ€r, fiel 1943 in Russland. Zuvor hatte der sich mit seinem Schwiegervater, einem AnhΓ€nger der Bremer RΓ€terepublik, heiΓe politische Diskussionen geliefert, deren Ohrenzeuge der Junge wurde. Nach 1945 besuchte Becker das konservative Alte Gymnasium im zerbombten Bremen. Und musste, wie viele, Kohlen und GemΓΌse von Bahnwaggons stehlen, um zu ΓΌberleben.
Orientierung fand er dann in den KΓΌnsten. "Ich bin dauernd in Konzerte gegangen, sah 1947 'Die RΓ€uber' in der Concordia, einem Behelfstheater in Bremen", erinnert sich der Schauspieler. "Denn in der Kunst wurde auf eine Weise reflektiert, was sich abspielte, wie sie sonst kaum irgendwo stattfand." Mit seinem spΓ€teren Kollegen Gerd Baltus (1932-2019) machte er SchΓΌlertheater, bekam durch ihn Kontakt zum Bremer Theater. Las dabei Autoren wie Kafka und Camus.
An der MΓΌnchner Otto-Falckenberg-Schule lieΓ sich Becker zum Schauspieler ausbilden. Er wurde in Darmstadt, Ulm sowie sechs Jahre in Bremen beim Intendanten Kurt HΓΌbner engagiert. Der entlieΓ den durch die Studentenbewegung politisierten Schauspieler jedoch fristlos, als der die Macht der Regisseure brechen wollte. Nach Hamburg holte Becker dann 1971 der Schauspielhaus-Chef Ivan Nagel.
Sehr bedeutsam waren fΓΌr ihn damals auch TV-Arbeiten: "Die beste Zeit des deutschen Fernsehens waren die Jahre von Mitte der 60er bis etwa 1973. Die politischen Auseinandersetzungen wurden verhandelt, in Filmen wie 'Bratkartoffeln inbegriffen' nach Arnold Wesker und durch Regisseure wie Fritz Umgelter."
Mittlerweile macht Becker - seit 30 Jahren in zweiter Ehe verheiratet mit seiner Kollegin Sylvia Wempner, Vater dreier weiterer Kinder und GroΓvater von drei Enkeln - durchaus gern TV-"ZugestΓ€ndnisse", wie er es nennt. Dreht Pilcher- und LindstrΓΆm-Filme, immer wieder auch Krimi-Folgen. Und natΓΌrlich, bereits seit 2006, als Rentner Otto Stein die ARD-Serie "In aller Freundschaft". Da gefΓ€llt ihm besonders "das wunderbare Ensemble. Ich fahre mit Begeisterung zur Arbeit."
Im Mai will er in Hamburgs Hauptkirche St. Michaelis "Die Offenbarung des Johannes" aus der Bibel lesen. Doch auch mit dem "Kommunistischen Manifest" tritt er auf. Darin sieht er keinen Widerspruch. "Es geht in beiden FΓ€llen um eine menschlichere Welt."