Reaktionen auf geplatzte Richterwahl CDU-Abgeordneter kritisiert Spahn: "Ungutes Störgefühl"

Nach dem Scheitern der Richterwahl für das Verfassungsgericht geht der Streit weiter. Es gibt viel Kritik, die Union versucht, zu beruhigen.
Nachdem sich Union und SPD im Vorfeld der Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht nicht einigen konnten, gibt es heftige Kritik. Insbesondere das Vorgehen der Union steht dabei im Fokus. Zunächst hatte die CDU/CSU-Fraktion die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf mitgetragen, kurz vor der Wahl dann aber einen Rückzieher gemacht. Die Union verteidigt das Vorgehen hingegen und mahnt zur Ruhe – doch es gibt auch interne Vorwürfe..
Auch eine fehlende Absprache mit der Linken steht in der Kritik, da eine notwendige Zweidrittelmehrheit für den CDU-Kandidaten Gerhard Spinner nur mit der Linkspartei oder der AfD hätte erreicht werden können – vorausgesetzt alle Abgeordneten wären im Plenum erschienen.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt zeigte sich nun prinzipiell offen, in außergewöhnlichen Situationen erneut das Gespräch auch mit der Linken zu suchen, so wie nach der im ersten Anlauf gescheiterten Kanzlerwahl. "Ich hätte auch in einem weiteren Fall, wenn es notwendig wäre, nicht das Problem, zum Telefon zu greifen und jemanden bei der Linkspartei anzurufen", sagte er im Deutschlandfunk. Zudem räumte er ein, "dass man sich einen anderen Prozess oder ein anderes Ergebnis im Prozess gewünscht hätte".
Heidi Reichinnek nahm die prinzipielle Offenheit von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt für Gespräche mit ihrer Partei nach den Vorgängen am Freitag reserviert auf. Das sei zwar "interessant", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Mit Blick auf die geplatzte Wahl dreier neuer Bundesverfassungsrichter fügte sie aber hinzu: "Alexander Dobrindt versucht doch mit dieser Aussage offensichtlich davon abzulenken, was gestern im Bundestag passiert ist."
Reichinnek warf der Union vor, sich "an einer rechten Hetzkampagne gegen eine angesehene Juristin beteiligt" zu haben. "Sie hat auch für ihren eigenen Kandidaten keine demokratischen Mehrheiten gesucht, sondern war bereit, ihn mit den Stimmen der gesichert rechtsextremen AfD wählen zu lassen."
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede begrüßte im Fernsehsender Welt, "dass Frau Professorin Frauke Brosius-Gersdorf auch bereit wäre, sich bei der Unionsfraktion persönlich vorzustellen, um eben Zweifel auszuräumen".
Die SPD will an Brosius-Gersdorf festhalten, wie Eichwede bekräftigte. Die Abgeordnete ist selbst Richterin mit einem seit dem Einzug in den Bundestag ruhenden Richteramt. "Wir haben einen guten Vorschlag, eine herausragende Wissenschaftlerin, die in Karlsruhe sehr gut arbeiten kann", sagte sie. Kritikerinnen und Kritikern warf Eichwede vor, Brosius-Gersdorf bestimmte Positionen zuzuschreiben und teils falsch darzustellen. "So kann man in einer Demokratie nicht miteinander umgehen."
"Jetzt sollten alle erst mal runterkommen"
"Jetzt sollten erst mal alle etwas runterkommen und dann besprechen wir in Ruhe mit der SPD das weitere Verfahren", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer, Steffen Bilger, der Deutschen Presse-Agentur. Damit reagierte der CDU-Politiker auf den Vorschlag aus der SPD, dass sich deren umstrittene Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, nun persönlich den Fragen der Unionsabgeordneten stellen sollte.
Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann rief dazu auf, bei der Suche nach einer Lösung nichts zu überstürzen. "Wir stehen als Koalition in der Verantwortung, uns auf ein gemeinsames Kandidaten-Paket für das Bundesverfassungsgericht zu verständigen. Dazu gehört, dass wir uns jetzt Zeit nehmen und uns nicht verrennen", sagte der Vorsitzende der CSU-Bundestagsabgeordneten der dpa. "Das gebietet der Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht, der Respekt vor den Kandidaten und der Respekt vor den Abgeordneten, die am Ende diese Wahlentscheidung treffen." Man werde nun innerhalb der Koalition Gespräche über eine Lösung führen.
Kritischer zeigte sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß. "Die plötzlich auftauchenden Plagiatsvorwürfe lösten bei mir ein ganz ungutes Störgefühl aus“, sagte er dem "Tagesspiegel". Um die Kandidatin als Person zu schützen, hätte er sich daher von seiner Partei und der Fraktionsführung, obwohl er "die Kritik an Frau Brosius-Gersdorfs Positionierungen durchaus teile, in der Frage der Plagiatsvorwürfe etwas mehr Zurückhaltung gewünscht. Gerade an uns Christdemokraten habe ich in solchen Fragen einen hohen Anspruch".
"Ist in dieser Woche nicht gut gelaufen für uns"
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) stärkte dem unter Druck geratenen Unionsfraktionschef Jens Spahn den Rücken. "Natürlich ist das in dieser Woche nicht gut gelaufen für uns als Union und für die Koalition in Berlin insgesamt", räumte Wüst beim NRW-Tag der Jungen Union in Gummersbach ein. "Es spricht aber für Jens Spahns Charakter, dass er offensiv damit umgeht und nach Lösungen sucht", betonte Wüst. "Jens hat Demut gezeigt und Verantwortung übernommen. Auch das ist politische Führung."
Wüst stellte sich auf die Seite Spahns: "Jens Spahn hat recht: Wir dürfen nicht akzeptieren, dass das Eintreten für Lebensschutz von einigen als rechtsextrem diffamiert wird. Volle Solidarität mit Jens und allen anderen, die unsere Werte verteidigen!"
Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) zeigte sich gegenüber der "Neuen Osnabrücker Zeitung" optimistisch: "Ich bin sicher, dass die Koalitionsfraktionen über den Sommer eine tragfähige Lösung finden werden.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Tilman Kuban legte Brosius-Gersdorf den Rückzug nahe. Kuban sagte dem "Tagesspiegel": "Wenn ich in der Lage von Frauke Brosius-Gersdorf wäre, würde ich mir die Frage stellen, ob ich meine Kandidatur aufrechterhalte. Es liegt auch in ihrer Verantwortung, weiteren Schaden vom Bundesverfassungsgericht abzuwenden." Weiter sagte er, er glaube, "dass auch Frauke Brosius-Gersdorf eine Verantwortung hat und sich selbst hinterfragen sollte".
Kuban attestierte der SPD "Uneinsichtigkeit und Kompromisslosigkeit". Der Koalitionspartner habe berechtigte Bedenken ignoriert. Aber auch die Union habe Fehler gemacht: "Wir als Union hätten bei der Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf nicht zustimmen dürfen, aber dann auch früher die Reißleine ziehen müssen, ohne Zweifel."
Der frühere Verfassungsrichter und Ex-CDU-Politiker Peter Müller übte nach der gescheiterten Richterwahl im Bundestag scharfe Kritik an Unionsfraktionschef Spahn. Der Vorgang zeige "ein eklatantes Führungsversagen der Union", sagte Müller der "Süddeutschen Zeitung" vom Samstag. "So etwas darf nicht passieren." Müller war von 2011 bis 2023 Richter am Bundesverfassungsgericht. Davor war er Ministerpräsident des Saarlands. Müller äußerte die Sorge, "dass die politische Mitte in Deutschland nur noch begrenzt handlungsfähig ist".
Der Grünen-Vorsitzende Felix Banaszak sprach der Union die staatstragende Rolle ab. "Mit Staatstragenheit hatte das, was die da gestern aufgeführt haben, nichts zu tun", sagte er. Die Union habe sich dem Druck von rechts gebeugt. Den Staat zu tragen, heiße, ihn in einer Zeit, in der er von rechten Populisten angegriffen werde, in seinem demokratischen Kern zu schützen. "Und sich nicht zur Demontage eines Verfassungsorgans treiben zu lassen, weil die Resilienz gegen diese Angriffe fehlt", sagte Banaszak beim Landesparteitag der Grünen in Hamburg.
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters