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Das Coronavirus in sozialen Netzwerken: Wie viel Panikmache ist gesund?


Netz-Reaktionen
Coronavirus: Wie viel Panikmache ist gesund?

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

Aktualisiert am 11.03.2020Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Darstellung von Coronaviren: Im Netz verbreiten sich gefährliche Falschmeldungen zu dem weltweiten Ausbruch.Vergrößern des Bildes
Darstellung von Coronaviren: Im Netz verbreiten sich gefährliche Falschmeldungen zu dem weltweiten Ausbruch. (Quelle: T-Online-bilder)

Statt die zahlreichen seriösen Quellen zum Coronavirus zu nutzen, tauschen Pseudoexperten im Netz lieber eigene Gesundheitstipps aus – oder belächeln die Angst anderer. Unsere Digitalkolumnistin meint: Da läuft etwas schief.

Corona, Corona, Corona: Die Nachrichten kreisen nur noch um ein Thema. Zutiefst menschliche Reflexe werden offenbar: der Hang zur Panik, der Hang zum Irrationalen und der Hang, sich besser – in diesem Fall furchtloser und klüger – als die anderen zu präsentieren. Auch hier spielt Social Media mal wieder keine glanzvolle Rolle. Im Gegenteil: Es bedeutet sogar eine zusätzliche Gefahr. Ein paar Beispiele.

Medizinstudium? Ach was, es gibt doch das Internet!

Es begab sich zu einer Zeit, da trug sich folgender Dialog zu. Ich: "Was ist das Anstrengendste daran, schwanger zu sein?" Freundin Marie: "Die anderen Leute, die alles wissen. Vor allem die im Netz." Marie hatte früh Komplikationen (keine Sorge, das Kind ist inzwischen vier und erfreut sich – bis auf die obligatorische Rotznase – bester Gesundheit) und musste deshalb viel liegen. Heißt: Sie hatte viel Zeit und verbrachte sie natürlich auch im Internet, noch schlimmer: in Foren. Ein böser Fehler. Ihr Menschenbild hat sich bis heute nicht vollständig davon erholt. Maries Lieblingsanekdote: Eine Schwangere schilderte ein Problem und schloss ab mit den Worten: "Das rät mein Arzt. Meine Hebamme stimmt ihm zu. Was meint ihr?"

Vertrauen zu Wildfremden in komplexen Fragen, die bestimmt einiges mitbringen. Wenn es gut läuft: Mitgefühl, Zeit, sich des Problems anzunehmen – und immer irgendeinen Nachbarn oder Schwippschwager dritten Grades, dessen "Arbeitskollege ihm seine Cousine" auch schon mal so etwas Ähnliches hatte. Diesen Menschen wird eher vertraut als medizinischem Fachpersonal. Selbst wenn es – Jackpot! – übereinstimmend antwortet.

Dasselbe Muster läuft nun bei Corona ab. Die krudesten, teils gefährlichsten "Heilmittel" oder "Therapien" werden in Betracht gezogen. Bei der Weltgesundheitsorganisation kümmert sich im Moment ein eigenes Team darum, solchem Wahnsinn entgegenzuwirken. Die Pandemie ist zu einer "Infodemie" geworden. Und nein, hier werden jetzt keine Beispiele aufgelistet. Denn es findet sich immer jemand, der sie für bare Münze nimmt.

Hamstern? Nur was für Weicheier!

Seit Guido Barilla 2013 sagte: "Ich würde niemals einen Werbespot mit einer homosexuellen Familie drehen, nicht aus Mangel an Respekt, sondern weil wir ihnen nicht zustimmen", gab es wohl nicht mehr so viel Wirbel um Nudeln. Barilla wurde daraufhin von vielen erst mal nicht mehr gekauft. Das ist spätestens jetzt vorbei: Nudeln sind in vielen Supermärkten aus. Auch die aus der Produktion des homophoben Guido.

Das MUSS für die Nachwelt festgehalten werden. Auf allen Kanälen – und zwar von ALLEN. Es scheint da neuerdings ein Gesetz zu geben. Wer jetzt noch kein Foto von einem gähnend leeren Nudelregal in seinem Supermarkt gepostet hat, gehört nicht dazu.

Aber auch Fotos von prall gefüllten Regalen werden gepostet. "Schaut her", steht da zwischen den lässig aus der Hüfte geschriebenen Zeilen, ich wohne nicht umsonst hier. Wir sind die Coolen.

Beide Gruppen eint: Niemand, wirklich niemand aus ihren Reihen hat selbst schon gehamstert. Nur alle anderen. Na klar.

Panik? Ich doch nicht!

Und so sind es natürlich auch die anderen, die Angst haben. Ja, es gibt Risikogruppen. Ja, es gibt Risikogebiete. Ja, die Mortalitätsrate liegt bei den unter 60-Jährigen sehr, sehr niedrig. Und ja: Es gibt – Stand jetzt – keinen Anlass zur Panik. Aber: Sie ist nun mal da, die Panik. Nicht bei vielen, aber bei ein paar schon. Und wieder ein paar mehr haben Angst. Man kann das befremdlich finden und wenig nachvollziehbar – und, je nach Temperament und Ausprägung der individuellen Menschenfreundlichkeit, auch total lächerlich. Nur: Das kann man für sich behalten. Häme und Herablassung sind ja kontrollierbarer als Angst. Zumal im Netz. Da kann man sich nämlich immer noch entscheiden, nicht auf "Posten", "Gefällt mir" oder "Twittern" zu tippen. Aber Nachsicht? Verständnis? Pfff. Bei Social Media liegt die Betonung auf "Media". Und zwar immer.

Informieren? Ja, wo denn?

Was gegen die Angst helfen könnte: Durchblick, soweit möglich. Auf der Seite des Gesundheitsministeriums gibt es Infos. Und auch die Regierungserklärung des zuständigen Ministers ist dort noch mal zu sehen. Jeden Tag informiert außerdem das Robert Koch-Institut, das selbstverständlich ebenfalls über eine Internetpräsenz verfügt und, oho, auch über einen Twitter-Account.

Nicole Diekmann ist Journalistin in Berlin. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Twitter folgen.

Der Chefvirologe der Berliner Charité bietet täglich ein Update via Podcast. Nur: Entweder besteht bei vielen Menschen das dringende Bedürfnis, 24 Stunden nonstop auf dem Laufenden gehalten zu werden – oder aber ihnen steht nur für circa fünf Minuten pro Tag das Internet zur Verfügung. Und diese Leute haben sich dergestalt priorisiert, dass sie ihre kostbare Zeit lieber dafür nutzen, um zu posten, man würde hierzulande ja überhaupt nicht informiert.

Zusammengefasst ist das Netz also ein Ort, an dem man sich durchaus seine Fragen beantworten lassen und sich mindestens resistenter machen könnte gegen die Angst. Gleichzeitig kann man im Netz aber auch bestens behaupten, dass man genau dafür keine Möglichkeit hat. Sie wundern sich? Das sind Sie nicht oder noch nicht lange in den sozialen Medien unterwegs. Oder mit anderen Worten: Da staunt der Laie und nickt der Fachmann.

Was auch Expertinnen und Experten zum Coronavirus immer wieder sagen: Es gibt noch offene Fragen. Das muss man aushalten. Das ist schwierig für uns Menschen. Ein beliebtes Gegenmittel: Verschwörungstheorien. "Die da oben verschweigen uns was!!!!!" Ein Knaller auf den Plattformen. Immer.

Zwischendurch ertappte ich mich schon bei dem Gedanken, es wäre vielleicht heilsam, wenn wir kollektiv in Quarantäne geschickt würden. Um Zeit zu haben, Muße. In der wir in Ruhe darüber reflektieren können, was für einem Irrsinn wir da teilweise in den Netzwerken ausgesetzt sind. Von diesem Gedanken musste ich mich aber müde über mich selbst lächelnd gleich wieder verabschieden. Denn die Gleichung lautet: Je mehr Zeit, desto mehr Social Media, desto mehr absurde Auswüchse. Immer.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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