Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Jette Nietzard Pauschalierend und empathielos

Jugendorganisationen von Parteien sind meist radikaler. Und die Grüne Jugend darf auch rebellieren. Ihre Noch-Vorsitzende hat aber nicht begriffen, dass dumpfes Provozieren nicht ausreicht.
Nachtreten ist kein feiner Stil. Nicht aufarbeiten und keine Lehre ziehen, ist für Parteien allerdings gefährlich. Die untergegangene FDP und die unterzugehen drohende SPD können ein Lied davon singen. Deshalb sollten sich die Grünen und insbesondere die Grüne Jugend noch mal intensiv mit Jette Nietzard beschäftigen. Und somit damit, wie man es auf keinen Fall (wieder) machen sollte.

Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf X – wo sie über 120.000 Fans hat. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz". Mehr
Nietzards Ankündigung, nicht mehr als Vorsitzende der Grünen Jugendorganisation kandidieren zu wollen, ist die seit Langem beste Nachricht für die Partei. Warum? Weil Nietzard in ihrer kurzen Amtszeit einen Fehler nach dem anderen gemacht und ihrer Partei dadurch einen Bärendienst erwiesen hat. Wäre ich Mitglied einer Konkurrenzpartei der Grünen, hätte ich Nietzard in meine Gebete eingeschlossen. Oder ihr zumindest regelmäßig einen Präsentkorb zukommen lassen. Allerdings auch nur dann, wenn ich ein skrupelloses Mitglied einer anderen Partei und maximal desinteressiert wäre an der politischen Kultur in diesem Lande.
Kein Bedauern geäußert
An Silvester zum Beispiel hatte die 26-Jährige in den sozialen Medien gepostet: "Männer, die ihre Hand beim Böllern verlieren, können zumindest keine Frauen mehr schlagen." Pauschalierend, empathielos – niveaulos. Es dauerte nicht lange, da stand Nietzard in der Kritik. Sie löschte. Als Christian Lindners FDP aus dem Bundestag flog und er sein politisches Aus verkündete, wieder ein Fehltritt: "Ich freue mich, dass der Mann von @francalehfeldt jetzt kürzer tritt, um ihr Karriere und Kind zu ermöglichen", so Nietzard auf X, früher Twitter. Auch das: daneben. Unter politischen Wettbewerbern derer, die sich zur Mitte zählen, fällt das nicht unter guten Stil. Wieder gab’s Ärger, unter anderem von der Ur-Grünen Renate Künast, die kommentierte: "Jette, das ist unsouverän und macht Dich sehr klein." Auf den Punkt.
Weiter: Als sich herausstellte, dass der Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar um sein Bundestagsmandat gebracht worden war aufgrund von Belästigungsvorwürfen, die zu einem ganz entscheidenden Teil auf den Aussagen einer ausgedachten Frau basieren und sich herausstellte, dass auch die Gremien der Grünen versagt hatten, erklärte Nietzard, die Unschuldsvermutung gelte zwar vor Gericht. "Aber wir sind eine Organisation, und wir sind kein Gericht." Da wurde eine Karriere zerstört – und statt Bedauern zu äußern, erklärte Nietzard quasi, dass ihre Partei über dem Gesetz stehe und Feminismus im Zweifel vor Wahrheit gehe. Wahnsinn.
Populistisch und parteischädigend
Anfang Juni dann ein weiterer unfassbarer Patzer. Da setzte Nietzard den Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 gleich mit der Reaktion der israelischen Regierung und Armee, indem sie in einem Video sagte, seit dem 7. Oktober seien "über 50.000 PalästinenserInnen und 1.200 Israelis bei militärischen Operationen" umgekommen. Sie entschuldigte sich und löschte abermals.
Kurz zuvor, im Mai, hatte sie sich auf ihrem privaten Instagram-Kanal mit einem Pullover gezeigt, auf dem das Kürzel "ACAB" zu lesen war. Es steht für "All Cops Are Bastards" (deutsch: Alle Polizisten sind Bastarde). Wieder riesige Aufregung, wieder viel Kritik, auch aus der eigenen Partei, und wieder eine Entschuldigung von Nietzard. Allerdings nicht mal eine richtige, sondern unter anderem die billige Ausrede, es sei ja ihr privater Account gewesen.
Raushauen, zurückrudern, entschuldigen, löschen – wer da von strategisch-gezielter Provokation spricht, oder wie Nietzard jetzt davon, immer nach oben treten zu wollen, redet sich ein kommunikatives Desaster im Nachhinein schön, um intelligenter dazustehen, als man gehandelt hat. Tatsächlich nämlich ist dieses ganze Gebaren unüberlegt. Provokant um der Provokation willen und oberflächlich. Nicht interessiert an Inhalten. Nietzards digitale Fehltritte lesen sich wie die Kurzbiografie eines Aufmerksamkeit heischenden, beratungsresistenten Teenies. Nicht wie gezielt pointierte Denkanstöße einer jungen Funktionärin. Das ist populistisch und parteischädigend. Und muss der Grünen Jugend eine Lehre sein.
Ihr Prinzip hat nie funktioniert
Natürlich muss die Grüne Jugend rebellieren. Jugendorganisationen sind immer radikaler als ihre Mutterparteien. Das ist ja auch völlig in Ordnung, solange sie sich auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegt – und solange sie den Grat erwischt zwischen dumpfem, substanzlosem Auffallenwollen und einem pointierten Angang von drängenden Themen. Letzteres hat in den vergangenen Monaten nicht funktioniert. Das Prinzip Jette Nietzard hat nicht funktioniert.
Deshalb ist ihr Rückzug gut. Was auch noch mal sehr deutlich wird an der Art und Weise, wie sie diesen nun in einem weiteren Video auf Instagram begründet: "Ich habe die letzten neun Monate versucht, eine linke Hoffnung, eine linke Stimme in den Grünen zu sein. Mal wurde ich in Fraktionssitzungen ausgebuht, mal wurde ich von Realo-Spitzenpersonal angeschrien oder von Ministerpräsidenten oder solchen, die es werden wollten, wurde mein Rücktritt gefordert", so Nietzard mit Blick auf Baden-Württembergs Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und Cem Özdemir, der ihm nachfolgen will. "Ganz ehrlich, das sollte nicht der Alltag von der Grünen-Jugend-Sprecherin sein."
Es ist das einzig Richtige
Seit einiger Zeit sei klar, dass sie "in diesem Bundesvorstand" der Partei keine Zukunft haben könne. "Bei ständigen Anfeindungen kann einfach keine gute Politik entstehen und wenn die Parteispitze es nicht schafft, dass diese Anfeindungen enden, dann ziehe ich eben die Konsequenzen für meinen Jugendverband."
Die anderen sind an allem schuld. Sie selbst hat keine Fehler gemacht. So versteht Jette Nietzard die Gemengelage. Und das zeigt: Sie hat einiges nicht verstanden. Dieser Abgang rundet das Bild ab. Und ist deshalb das einzig Richtige.
- Eigene Meinung