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Telegram: Abschaltung? "Faesers Drohungen gehen ins Leere"


Hass im Netz
Faesers Drohungen gehen ins Leere

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

Aktualisiert am 13.01.2022Lesedauer: 4 Min.
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Telegram: Dem Messenger werden Faesers Drohungen egal sein.Vergrößern des Bildes
Telegram: Dem Messenger werden Faesers Drohungen egal sein. (Quelle: t-online)

Nancy Faeser argumentiert an der Realität vorbei, wenn sie Telegram mit der Abschaltung droht. Den Betreibern der Plattform dürften die Aussagen der Innenministerin ziemlich egal sein.

Neulich in meiner Küche. Nachbarskind Matilda – erst vier Jahre alt, vom Durchsetzungswillen her bereits komplett ausgewachsen – steht mit geschwollener Ader auf der Stirn vor mir. "Wenn du mir keine Schokolade gibst, dann sag ich's meiner Mama!" Gemessen an Matildas Repertoire an Drohpotenzial schöpft sie dieses gerade voll aus. Übersetzt ist sie kurz davor, mir den Dschihad zu erklären.

Ich weiß, wie klug Matilda ist. Ich glaube außerdem an respektvolle Pädagogik. Und darüber hinaus verfüge ich an dem Tag über die Information, dass Matilda wegen Bauchschmerzen nicht in der Kita war. Also verkneife ich mir erstens ein Lachen, behalte zweitens die Schokolade im Schrank und erkläre Matilda drittens, warum. Und schließe meinen kurzen Vortrag mit den Worten: "Matilda, man muss im Leben immer wissen, wer am längeren Hebel sitzt. Das ist total wichtig."

Nancy Faeser beweist gerade: Sie weiß das entweder nicht oder aber sie setzt auf die Leute da draußen, die das nicht wissen. Die SPD-Politikerin und neue Innenministerin suggeriert nämlich in einem Interview mit der "Zeit", die Politik wäre Telegram überlegen. Und das ist, bei allen guten Motiven Faesers muss ich das mal so hart formulieren, totaler Quatsch.

Soziale Netzwerke sind selten kooperationsbereit

Telegram, kurz noch mal zur Erinnerung, ist ein Zwitter aus einem Messengerdienst wie WhatsApp und einem sozialen Netzwerk wie Facebook. Nun sind schon Facebook und WhatsApp, die beide zum Meta-Konzern von Mark Zuckerberg gehören, nicht der Hort des Glücks und der Liebenswürdigkeit. Und leider auch nicht der Kooperationsbereitschaft mit Strafverfolgungsbehörden.

Dabei liefern sowohl manche Nutzer von WhatsApp als auch Facebook genug Stoff, um vor dem Richter zu landen. Und doch greift Meta hin und wieder ein, wenn es zu bunt wird. Das Unternehmen gibt Daten weiter an Staatsanwälte und sperrt Konten.

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politik-Berichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie bereits Zehntausende Fans hat. In ihrer Kolumne auf t-online filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr neues Buch "Die Shitstorm-Republik" ist jetzt überall erhältlich.

Und da kommt Telegram ins Spiel. Wer bei den anderen rausfliegt, kann sich sicher sein: Bei Telegram kann er gegen Juden hetzen, zum Mord an Wissenschaftlern aufrufen, Fackelmärsche vor die Privathäuser von Politikerinnen organisieren – gar kein Problem. Das Recherche- und Analysezentrum Cemas erklärt hier sehr gut, warum Telegram unter anderem bei Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen so beliebt ist.

Denn das Unternehmen wirbt explizit damit, nicht mit Behörden zusammenzuarbeiten. Bei Telegram wissen sie ebenso wie anderswo, dass Hass ein super Geschäftsmodell ist. Anders als anderswo versucht man hier gar nicht erst, drum herumzureden.

Telegram ist außerhalb jeglicher Reichweite

Ist auch einfach, wenn die Server in Dubai stehen, kein Handelsregistereintrag existiert und man sich so bisher äußerst erfolgreich allen Begehrlichkeiten und Gesetzen entziehen konnte. Sagen wir, wie es ist: Telegram befindet sich außerhalb jeder Reichweite politischer, strafrechtlicher als auch moralischer Handhabe. Weil es die Telegram-Entwickler nicht juckt.

Das ist, auch da möchte ich klar verstanden werden, das Allerletzte. Nur: Wenn Faeser jetzt im Interview sagt, es brauche "mehr Richter, mehr Staatsanwältinnen und mehr Polizeibeamte" – dann ist das zwar richtig und sollte auch so schnell wie möglich und bitte endlich, endlich passieren – nur ist das Telegram-Chef Pawel Durow ziemlich egal.

Ob der sich Sorgen machen müsse, wird Faeser gefragt, und sagt darauf einigermaßen unbeholfen und Pawels Wertegerüst ganz offensichtlich verkennend: "Er sollte sich vor allem darüber Sorgen machen, dass auf seiner Plattform zu Hass und Gewalt aufgerufen wird."

An der Realität vorbei

Zuvor antwortet sie auf die Frage, ob auch das Abschalten von Telegram eine Option wäre, wenn man nicht mit Gesetzen gegen den Hass auf allen Plattformen ankommt: Das könne man nicht per se ausschließen.

All das ist circa im selben Maß am Empfänger und Telegram-Gründer Pawel Durow und der Realität vorbeiargumentiert, wie Matilda mit ihrer Drohung bei mir eher Amüsement auslöst. Beides ist eine kolossale Verkennung eines Machtgefälles.

Über Matilda habe ich nicht gelacht, weil ich sie sehr gern habe und nicht verunsichern möchte. Über Faeser lache ich nicht, weil die Sache so ernst ist und Faesers Anliegen ebenso wichtig wie ehrenhaft.

Ob Pawel Durow, sollte er überhaupt mitbekommen, geschweige denn sich dafür interessieren, was eine Innenministerin in Deutschland sagt, darüber lacht – weiß ich nicht. Er kann es aber definitiv. Denn die Hebel, über die die Politik derzeit verfügt, entsprechen exakt der möglichen Petzerei Matildas an ihre Mama.

EU-Gesetz über digitale Dienste

Die Lage ist nicht hoffnungslos; wir können alle sehr gespannt sein und hoffen auf den Digital Services Act: Die EU versucht gerade, gemeinsam eine realistische Drohkulisse aufzubauen. Ihn erwähnt Faeser interessanterweise gar nicht namentlich. Vielleicht weiß sie, dass er hierzulande kaum öffentlich diskutiert wird Digital Services Act – auch ein Fehler der Politik. Oder sie weiß auch, dass es noch dauern kann, bis er überhaupt in Kraft tritt.

So oder so: Es wird noch dauern. In der Zwischenzeit wäre es prima, wenn wenigstens tatsächlich schleunigst mehr Personal in Amt und Würden käme, wie von Faeser angestrebt. Und, nicht zu vergessen und ähnlich wichtig, dass das schon bestehende endlich geschult wird; nicht nur konkret im Umgang mit Anzeigen bezogen auf Inhalte aus dem Netz, sondern auch darin, endlich zu begreifen: Was dort passiert, ist genauso wichtig wie das, was außerhalb des Netzes passiert.

Eine Straftat ist eine Straftat ist eine Straftat. Doch so lange Politikerinnen hierzulande immer noch argumentieren, als hätten sie weiterhin keine Ahnung von der Materie – so lange sie vielleicht tatsächlich noch keine Ahnung von der Materie haben, wird sich am Mindset in den Behörden wohl auch wenig ändern. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Sowohl in der deutschen Politik als auch bei Telegram selbst.

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