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Dashcam-Urteil: Überwachung wird zur schlechten Gewohnheit


Die Windschutzscheiben-Spione sind nutzlos und gefährlich

Von Laura Stresing

16.05.2018Lesedauer: 4 Min.
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Dashcam: Kleben nach dem Urteil des BGH bald in jedem Auto private Überwachungskameras?Vergrößern des Bildes
Dashcam: Kleben nach dem Urteil des BGH bald in jedem Auto private Überwachungskameras? (Quelle: Jochen Tack/imago-images-bilder)

Dashcams sind zwar im Auto verboten, als Beweismittel vor Gericht aber sind sie laut BGH zulässig. Ja, was denn nun? t-online.de-Redakteurin Laura Stresing meint: Es wäre besser für alle, wenn die Deutschen die Finger von den Windschutzscheiben-Spionen lassen.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs sind Dashcam-Videos als Beweismittel vor Gericht zulässig. Dabei sind die Aufnahmen an sich illegal. Das klingt widersinnig – und ist es auch. Unter Juristen ist das Urteil aus gutem Grund umstritten.

Die Bevölkerung aber deutet die Entscheidung vom Dienstag als höchstrichterlichen Segen für die umstrittene Technologie. Das Interesse an den Geräten ist jedenfalls so groß wie nie. Das bestätigt auch ein Sprecher des Versandhändlers „Otto.de“. Demnach sehen sich deutlich mehr Kunden die Geräte-Auswahl im Online-Shop an. Beim Verkauf mache sich aber noch Zurückhaltung bemerkbar. "Das ist meistens ein Anzeichen dafür, dass sich viele Kunden zum ersten Mal überhaupt mit dem Thema beschäftigen", sagt der Sprecher. In den nächsten Tagen werde sich zeigen, ob sich das BGH-Urteil auch auf die Verkaufszahlen auswirke.

Little Brother is watching you

Werden Autofahrer alle rechtlichen Zweifel beiseite wischen und überall kleine Spione befestigen? Das wäre ein großer Fehler. Denn die Hoffnungen, die manche Autofahrer an die Dashcams knüpfen, beruhen auf einer Reihe von Irrtümern. Dem gegenüber stehen die Grundrechte anderer Verkehrsteilnehmer, die geopfert werden sollen.

Durch das BGH-Urteil steigt zunächst die Motivation, sich eine Dashcam anzuschaffen. Denn: Wer in einen Unfall verwickelt wird, sichert sich mit dem Videobeweis einen vermeintlichen Vorteil. Das wiederum erhöht den Druck auf andere Verkehrsteilnehmer, sich ebenfalls abzusichern. In dem Versuch, Waffengleichheit herzustellen, rüsten alle auf. Und ehe wir uns versehen überwacht jeder jeden. Little brother is watching you.

Werden Menschen vor der Kamera zu besseren Autofahrern?

Die Dashcam-Befürworter hoffen, dass sich das positiv auf die Verkehrssicherheit auswirkt. Stichwort: soziale Kontrolle. Wer sich im Straßenverkehr beobachtet fühlt, hält sich eher an die Regeln, so die These. Ich befürchte, das Gegenteil ist der Fall: Dashcams animieren zum Rowdytum. Auf Video-Plattformen wie YouTube ist ein ganz eigenes Genre für actionreiche Straßenszenen entstanden, die mit Dashcams oder GoPro-Kameras gedreht wurden. Viele dieser Videos sind zufälliges Beiwerk aus dem Ausland, zum Beispiel Aufnahmen von Polizeieinsätzen aus den USA.

Es gibt aber auch in Deutschland eine lebendige Szene von Adrenalin-Junkies, die ihr eigenes und das Leben anderer im Straßenverkehr aufs Spiel setzen und sich dabei filmen. Vor allem Motorradfahrer lassen sich für ihre halsbrecherischen Stunts und Beinahe-Unfälle im Netz feiern. In Bremen verursachte einer dieser Raser einen tödlichen Unfall. Er war mit 150 Sachen durch die Innenstadt geheizt.

Spektakuläre Clips zur Unterhaltung in den sozialen Medien

Ich will nicht behaupten, dass jeder Dashcam-Nutzer die Gefahr sucht. Dennoch werden die Kameras mit Sicherheit nicht nur Unfälle aufzeichnen, sondern auch allerhand kurioses Beiwerk. Wir wissen alle wie das ausgeht: Die Clips werden in den sozialen Medien zur Unterhaltung des Publikums hochgeladen, ohne Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen. Das ist zwar illegal. Doch bis ein Gericht darüber entschieden hat und die Plattformen zum Löschen zwingt, wurden längst ein paar Millionen Klicks abgestaubt.

Boulevard-Redakteure reiben sich bereits die Hände und bereiten den großen Leseraufruf vor: „Schicken Sie uns Ihre spektakulärsten Dashcam-Aufnahmen!“ Man muss nicht einmal selbst betroffen sein. Es reicht schon, zum Zeugen eines Vorfalls zu werden und die Dashcam-Aufnahmen rechtzeitig zu sichern. Smartphones und Leser-Reporter-Aktionen haben uns viel mehr Autobahngaffer beschert, die Hilfskräfte bei ihrer Arbeit behindern. Dashcams werden Action-Suchende zur Jagd nach spektakulären Bildern ausschwärmen lassen.

Wer kann "datenschutzkonforme" Kameras im Vorbeifahren erkennen?

Nun lässt sich einwenden, dass nur bestimmte Dashcams überhaupt zugelassen sind. Das anlasslose Filmen bleibt nämlich weiterhin verboten. "Datenschutzkonforme" Dashcams nehmen dementsprechend nur kurze Clips auf, die nach einiger Zeit überschrieben werden. Mal abgesehen davon, dass sich diese Einstellungen mit Sicherheit umgehen lassen: Woher soll ein Passant wissen, ob er gerade datenschutzkonform gefilmt wurde? Im Vorbeifahren lässt sich selten das Modell identifizieren, geschweige denn nachprüfen, ob es in Deutschland zugelassen ist.

Das Bitterste aber ist, dass die Grundrechte anderer Verkehrsteilnehmer völlig unnötig geopfert werden, damit sich Autofahrer einen vermeintlichen Vorteil verschaffen. In vielen Fällen könnten sich die Dashcam-Aufnahmen nämlich als völlig nutzlos erweisen. Nur weil der BGH in diesem einen Fall entschieden hat, das Video als Beweismittel anzunehmen, müssen andere Gerichte diese Sichtweise nicht teilen. Außerdem garantiert der Videobeweis noch lange keinen erfolgreichen Prozess.

Die Auto-Nation steht vor einer Entscheidung

Wer behauptet, Dashcams würden zur Aufklärung von Unfällen beitragen, liegt grundsätzlich falsch: Schließlich gibt es keine Pflicht, die Aufnahmen als Beweis vorzulegen. Unfallverursacher und Autofahrer, denen zumindest eine Teilschuld zukommt – was meistens der Fall ist – werden die belastenden Clips schleunigst löschen.

Meine Prognose: Es wird sich bald herausstellen, dass Dashcams sehr viel weniger effektiv zur Aufklärung beitragen als gedacht. Und was dann? Die Kameras werden nicht aus den Cockpits verschwinden. Die totale Überwachung ist längst zur Gewohnheit geworden. Dafür kann man auf YouTube witzige oder spektakuläre Videos bewundern. Und ab und zu wird eine Erfolgsstory erzählt, von einem, der vor dem BGH sein Recht auf Schadenersatz für sein Auto erkämpft hat. Wir sollten uns fragen, ob das die Sache wirklich wert ist.

Verwendete Quellen
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