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Sparkasse verkauft Zertifikate an Rentnerin – diese verliert 10.000 Euro


Sparkasse verkauft Zertifikate
93-Jährige verliert halbes Vermögen mit Zockerpapieren

Von t-online, llb

Aktualisiert am 18.01.2024Lesedauer: 4 Min.
Rentnerin sitzt allein zu Hause und schaut aus dem FensterVergrößern des BildesRentnerin schaut aus dem Fenster (Symbolbild): Durch den Kauf einer riskanten Geldanlage verlor eine 93-Jährige die Hälfte ihrer Ersparnisse. (Quelle: Dmitry Berkut)
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Mit dem Verkauf von strukturierten Wertpapieren versuchen die Sparkassen, auf Kundenfang zu gehen. Das Risiko tragen allein die Kunden.

Ursprünglich war das Zertifikat, das die 93-jährige Gerda T. im Jahr 2021 bei ihrer Sparkasse kaufte, 20.000 Euro wert. Nach einem starken Kursrückgang zwei Jahre später lag der Verkaufswert nur noch bei 10.000 Euro. Dabei hatte die Beraterin ihr versichert, dass die Geldanalage sicher sei. Die Rentnerin verlor die Hälfte ihrer Ersparnisse bei einem Geldinstitut, dem sie ihr Leben lang treu war. Wie konnte das passieren?

Eine Wette auf die Zukunft

Zertifikate gehören zu den strukturierten Wertpapieren. Und deren Funktionsweise ist teilweise so komplex, dass selbst manche Profis sie nicht durchschauen. Dass Zertifikate keine geeigneten Geldanlagen für Sparer sind, zeigt ein Beitrag der "Wirtschaftswoche" am Beispiel von Gerda T.

Das Zertifikat, welches der Rentnerin Zinsen einbringen sollte, war eine Wette auf die Zukunft und funktionierte so: Sollte der Euribor-Zinssatz multipliziert mit dem Faktor vier weniger als zwei ergeben, dann zahlt der Zertifikateanbieter ihr Zinsen – und nur dann. Ist das Ergebnis der Rechnung größer als zwei, stellt der Anbieter die Zinszahlung nach zwei Jahren ein, berichtet die "Wirtschaftswoche" weiter.

Zur Erklärung: Der Euribor (Euro Interbank Offered Rate) ist der Zinssatz, zu dem sich europäische Banken untereinander Geld leihen. Derzeit beträgt der Euribor für eine 12-monatige Leihfrist 3,57 Prozent. Damals, im Jahr, als die Rentnerin das Zertifikat von der Sparkasse kaufte, rangierte der Interbankenzins dagegen noch im negativen Bereich.

Das Zertifikat wurde Gerda T. von der Hattinger Sparkasse empfohlen, einem Geldinstitut, das den Menschen eigentlich dabei helfen soll, Vermögen aufzubauen und zu sichern, anstatt es mit risikoreichen Wertpapieren zu vernichten. Die Rentnerin, die in einer Senioren-Wohngemeinschaft lebt, hatte ihrer Sparkasse seit den 1960er-Jahren vertraut – ein Vertrauen, das nun verloren gegangen ist.

Derivate sind für Sparer nicht geeignet

Strukturierte Wertpapiere sind Derivate. Sie basieren darauf, dass Anleger an der Wertentwicklung von Aktien, Fonds oder Anleihen teilnehmen können, ohne diese Basiswerte tatsächlich zu besitzen. Neben Zertifikaten gehören auch Optionen, Futures und Swaps zu Derivaten, die allerdings hauptsächlich von institutionellen Investoren gehandelt werden.

Zu den größten Derivateanbietern (Emittenten) in Deutschland mit einem Marktanteil von etwa 20 Prozent gehört die DekaBank. Sie ist das Wertpapierhaus der Sparkassen, entwirft also die Finanzprodukte, die die Sparkassen vor Ort an ihre Kunden verkaufen.

Nach der Deka reiht sich in die Liste der größten Derivateanbieter die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) mit 18,3 Prozent und der DZ Bank mit knapp 17 Prozent. Das Angebot an Zertifikaten ist groß und kaum zu überschauen.

Zertifikate sind komplexe Finanzinstrumente, die in allen Eigenschaften – also zum Beispiel bei Laufzeit, Zins und Rückzahlung – durch den jeweiligen Anbieter frei ausgestaltet werden können. Aus diesem Grund sind solche Produkte auch nicht für alle Sparer geeignet. Sie müssen mit hohen Kursschwankungen rechnen, und im schlimmsten Fall kann sogar der Totalverlust der Geldanlage drohen.

Mangelndes Fachwissen bei der Beratung

Am Ende bleibt die Frage, warum die Sparkasse einer Rentnerin im hohen Alter ein so risikoreiches Finanzprodukt der DekaBank verkauft hat? Zertifikate erlauben es zwar, in Märkte zu investieren, die für Privatanleger nicht oder nur schwer zugänglich sind. Aber war das im Interesse von Gerda T.?

Eine Antwort könnte sein, dass die Sparkassen selbst die gestiegenen Zinsen nicht an ihre Kunden weitergeben und nun versuchen, mit alternativen Produkten den Nachteil auszugleichen. Während es bei großen überregionalen Banken wie der ING, Comdirect oder Santander über drei Prozent Zinsen aufs Tagesgeld gibt, speisen Sparkassen ihre Kunden mit mickrigen 0,25 Prozent ab, manche Häuser geben gar nichts aufs Tagesgeldkonto.

Sparkassen-Präsident Peter Schneider hatte die zögerliche Weitergabe der Zinserhöhungen an Sparer verteidigt und auf die vielen Kredite aus der langen extremen Niedrigzinsphase verwiesen. Daher hätten die Sparkassen bei den Guthabenzinsen deutlich weniger Spielraum.

Überregionale Banken und Zertifikateanbieter wie die DekaBank, LBBW oder Helaba können höhere Zinsen zahlen als die Sparkassen selbst – längst kein Grund, Rentnerinnen wie Gerda T. Zinsversprechen zu machen, die mit einem hohen Risiko einhergehen.

Vertrauensverlust vorprogrammiert

Gerda T. war ursprünglich mit der Absicht zur Sparkasse gegangen, ihre 20.000 Euro sicher anzulegen – etwas Ähnliches wie ein Sparbuch mit Zinsen, sagt sie. Das Gegenteil ist eingetreten. Eine Geldanlage mit hohem Risiko wurde ihr als sicheres Investment verkauft. Dass die Rentnerin die Funktionsweise eines Zertifikats nicht verstehen konnte, musste der Beraterin klar gewesen sein.

Hinzu kommt das Alter. Für Menschen jenseits der 90 sollten sowohl spekulative Geldanlagen als auch Aktien oder Anleihen, die eine Rendite nur über einen langen Anlagezeitraum erwirtschaften, tabu sein – es sei denn, sie wissen zu 100 Prozent, worauf sie sich einlassen und wünschen es ausdrücklich.

Geldhäuser können riskante Produkte verkaufen, die sie als nahezu gefahrlos titulieren, kritisiert die "Wirtschaftswoche". Und sie können das trotz aller Gesetze, die Parlamente seit der Finanzkrise zum Schutz von Anlegern erlassen haben.

Zertifikate gehören zu den beratungsintensivsten Geldanlagen, sagt die Verbraucherzentrale Niedersachsen. Anleger tragen das Risiko eines Totalverlustes, wenn der Derivateanbieter zahlungsunfähig ist. Versäumt es der Berater, den Anleger bei Erwerb der Zertifikate ordnungsgemäß aufzuklären und/oder macht er bei der Produktauswahl Fehler, so haftet er.

Die Hattinger Sparkasse wollte laut "Wirtschaftswoche" zu den Vorwürfen "keine Stellungnahme abgeben." Die Sparkasse war außerdem nicht bereit, den Schaden, den die Rentnerin durch die falsche Anlageberatung erlitten hat, zu ersetzen. Gerda T. hat ihre Zertifikate mit Verlust verkauft und will vorerst ihr Geld nicht wieder anlegen – zu viel Vertrauen ist verloren gegangen.

Verwendete Quellen
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