Virtuelles Land Hier kauft Ihnen der Nachbar das Grundstück weg
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Grundstück am Gardasee oder lieber an der Ostküste Australiens? Während der Traum vom eigenen Stück Land im echten Leben immer teurer wird, ist es im Metaverse "NextEarth" erschwinglich. Das könnte sich bald ändern.
Im 2011 erschienen Film "Another Earth" nähert sich ein unbekannter Himmelskörper der Erde. Er sieht aus wie ein Spiegelbild unseres Planeten, weshalb Wissenschaftler ihm den Namen "Erde 2" geben. Science Fiction? Klar, den Planeten gibt es nicht. Aber es existiert ein solches Abbild unserer Erde – im Internet. Dort gibt es zwar kein Leben wie im Film, aber die gleichen Meere, Gebirge, Städte und Straßen wie bei uns. Und: die gleichen Grundstücke. Die werden zum Teil für viel Geld verkauft, versteigert und wiederverkauft.
Die Plattform, auf der die Grundstücke verkauft werden, heißt "NextEarth" und ist ein Metaversum. Der Begriff ist ein Kofferwort aus Meta – was so viel wie jenseits bedeutet – und dem Wort Universum. Das Metaversum ist also ein Ort, der sich auf einer übergeordneten Ebene unserer Realität befindet. So ähnlich wie die Erde im Film "Another Earth". Wir können sie sehen, aber nicht anfassen.
Im Grunde handelt es sich bei einem Metaversum um eine virtuelle Welt, die wie ein Videospiel von Entwicklern programmiert wird. Es gibt zahlreiche Unternehmen, die ihre Version eines Metaversums erschaffen. Die bekanntesten Firmen sind der Facebook-Konzern Meta und IT-Hersteller Microsoft.
Das Leben soll künftig vermehrt in digitalen Welten stattfinden
Diese Unternehmen sehen im Metaversum den nächsten Schritt in der Evolution des Internets. Sie wollen, dass unsere sozialen und beruflichen Interaktionen irgendwann in diesen digitalen Welten stattfinden. Dafür brauchen die Nutzer entsprechende Hardware wie eine Datenbrille, um sich dort zu treffen, gemeinsam zu spielen und sich zu unterhalten.
Und dann gibt es noch Firmen wie "NextEarth", die den Verkauf von Immobilien und Grundstücken zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben. Die Plattformen dieser Unternehmen nutzen Technologien wie die Blockchain von Ethereum, um Geldüberweisungen und den Verkauf von Objekten wie in einem Kassenbuch festzuhalten. Dafür verwenden die Firmen meist eigene sogenannte Token, die an die jeweilige Blockchain geknüpft sind und mit der die Nutzer ihre Immobilien wie mit echtem Geld kaufen können.
Dafür müssen die Nutzer die digitalen Token zuerst mit echtem Geld kaufen. Die bekannteste virtuelle Welt, die ihren eigenen Ethereum-Token erschaffen hat, ist "Decentraland". 2015 gestartet, verkauft das Unternehmen auf seiner Plattform gegen die eigene digitale Währung MANA ihre Grundstücke an Firmen und Staaten, die dort Galerien und Botschaften errichten.
4,3 Millionen US-Dollar für ein Stück Land im Metaversum
Beispiele? Im November vergangenen Jahres hatte die kanadische Kryptofirma Tokens.com ein Stück Land für 2,4 Millionen US-Dollar in "Decentraland" gekauft. Nur Tage zuvor hatte der Inselstaat Barbados in dem Metaverse seine Botschaft eröffnet. Auf einem anderen Metaversum, "The Sandbox", hat die in New York ansässige Firma Republic Realm ein Stück Land für 4,3 Millionen US-Dollar gekauft.
Im Gegensatz zu "Decentraland" und "The Sandbox" sind die Welten in "NextEarth" keine ausgedachten Länder. Im Gegenteil: Die Plattform bietet ein exaktes Abbild der Erde, fast wie im Film "Another Earth". Nur dass unser Planet bei "NextEarth" nicht am Himmel zu sehen ist, sondern als Satellitenbild wie in Google Earth auf einer Internetseite.
Auf der Plattform können Nutzer aber wie in der echten Welt Grundstücke zum Beispiel in Castrop-Rauxel, New York, Port-au-Prince oder auf Sylt kaufen. Die ganze Welt steht dort zum Verkauf. Dafür hat "NextEarth" die Weltkarte in Kacheln eingeteilt. Jede davon ist 10 mal 10 Meter groß. Bei "NextEarth" besteht unsere Welt also aus vielen 100 Quadratmeter großen Kästchen.
Grundstücke in Metropolen sind teilweise teuer
Eine Kachel kostet durchschnittlich 1,97 US-Dollar. Bezahlt wird mit der Kryptowährung Matic (Polygon). Ein 400 Quadratmeter großes Grundstück können Nutzer also für umgerechnet rund 8 US-Dollar kaufen. Vorausgesetzt, die Fläche gehört nicht schon einem anderen Besitzer. Dann können Nutzer dem Besitzer ein Angebot für die Fläche machen.
In Großstädten wie Berlin oder New York sind die meisten Sehenswürdigkeiten und Grundstücke in bekannten Stadtteilen wie Manhattan oder Berlin-Mitte bereits verkauft. Und teilweise teuer. Das Grundstück des World Trade Center Memorial zusammen mit dem Millennium Hilton in New York kostet 31.045 US-Dollar. Die Siegessäule in Berlin besteht aus mehreren Kacheln und kostet 2.469 US-Dollar.
Auch am Strand von Miami Beach in Florida stehen die Chancen auf günstige Grundstücke schlecht. Zahlreiche Firmen haben sich dort Kästchen am Meer gekauft und präsentieren vor dem beliebten Strand ihre Firmenlogos oder kleinen Kunstwerke darauf. Das geht laut "NextEarth" auch nur, wenn die Grundstücke außerhalb von Städten liegen oder es sich um Wasserbereiche handelt.
Die Blockchain ist wie ein Grundbuch
Woher wissen Nutzer, dass Ihnen ein Grundstück bei "NextEarth" gehört? Jede Kachel ist einem Teil auf der Ethereum-Blockchain von "NextEarth" zugeordnet. Bei diesem Teil handelt es sich um einen sogenannten NFT (Non-Fungible Token, auf Deutsch: nicht ersetzbarer Token). NFT sind Zertifikate für einzigartige digitale Objekte und bescheinigen dessen Besitz.
Wie in der echten Welt auch, kann eine Kachel oder ein NFT bei "NextEarth" somit nur einen Besitzer haben. Die Blockchain ist dabei wie ein Grundbuch, in dem steht, zu welchem Nutzer die jeweilige Kachel gehört. Oder mit welchem Konto die Kacheln gekauft wurden.
Wie funktioniert der Kauf? Zwar ist der Erwerb eines Grundstücks im Metaverse einfacher als im echten Leben. Es fallen keine Maklergebühren oder Notarkosten an. Auch eine Gebühr für den Eintrag ins Grundbuch fällt weg. Trotzdem gibt es für Nutzer einige Hürden.
Hürden beim Kauf von virtuellen Grundstücken
Zum einen benötigen Interessenten einen Account auf der Website des jeweiligen Anbieters. Bei "NextEarth" ist also eine Mitgliedschaft notwendig. Da das Unternehmen seine Kacheln auch auf der Bieterplattform für NFT-Kunst, OpenSea, verkauft, reicht auch ein Account dort aus.
Die größte Hürde für neue Nutzer dürfte aber die Umwandlung von echtem Geld in Kryptowährungen sein. Denn nur damit lassen sich die Grundstücke bei "NextEarth" und "Decentraland" erwerben. Der Kauf von Kryptowährungen wie Ethereum lässt sich auf Handelsplattformen wie Coinbase oder Binance bewerkstelligen.
Da "NextEarth" nur die Möglichkeit anbietet, Käufe mit Hilfe der Krypto-Wallet MetaMask zu tätigen, müssen Nutzer ihr digitales Geld auch erst an diese Wallet übertragen. Eine Wallet ist eine digitale Brieftasche, in der die Kryptowährung aufbewahrt wird.
"NextEarth" investiert in Spielestudio
Ist die Kryptowährung in der Wallet, steht dem Grundstückskauf im Metaversum nichts mehr im Weg. Was der Nutzer mit dem erworbenen Land macht? Zumindest ist bei "NextEarth" momentan nicht viel anderes als der Besitz und das Verändern der Kacheln mit Kunstwerken möglich. Aber das soll sich ändern. Das Unternehmen plant eine Integration von Virtual Reality, um das Land auch virtuell besuchen zu können.
Außerdem hat "NextEarth" in ein Spielstudio investiert, das sich auf die Entwicklung von Adventure- und Rollenspielen spezialisiert hat. Auch solche Inhalte sind künftig auf der Plattform denkbar und könnten neue Nutzer anziehen.
Und damit würde sich "NextEarth" stark von der "Erde 2" im Film "Another Earth" unterscheiden. In dem Film vermuten Wissenschaftler, dass sich das Leben auf der "Erde 2" parallel zu dem auf unserem Planeten entwickelt hat. Bei "NextEarth" schaffen die Entwickler dagegen völlig neue Inhalte. Nur die optische Ähnlichkeit zur echten Erde bleibt erhalten.
- Eigene Recherche