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Umstrittenes Corona-Papier: Mediziner kritisieren Kassenärzte-Chef Gassen


Umstrittenes Corona-Papier
Mediziner distanzieren sich von Kassenärzte-Chef Gassen

  • Lars Wienand
Von Nicole Sagener, Lars Wienand

Aktualisiert am 29.10.2020Lesedauer: 4 Min.
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Dr. Andreas Gassen: Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, hier in der Zentrale der KBV in Berlin-Tiergarten.Vergrößern des Bildes
Dr. Andreas Gassen: Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, hier in der Zentrale der KBV in Berlin-Tiergarten. (Quelle: Tagesspiegel/imago-images-bilder)

In einem Papier fordern die Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit sowie der Kassenärzte-Verband eine Abkehr von Corona-Verboten und Lockdown. Doch Ärzte üben daran heftige Kritik – auch, weil sie ungefragt als "Unterstützer" genannt werden.

Kein erneuter Lockdown, keine Verbote, Schluss mit der generellen individuellen Kontaktnachverfolgung von Corona-Infizierten – das sind einige der Forderungen zum künftigen Umgang mit der Corona-Pandemie, die die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in einem neuen Positionspapier formuliert hat.

Vorgestellt wurde das Papier des Dachverbands der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland am Mittwoch – kurz vor der Entscheidung zu einem erneuten deutschlandweiten Lockdown und einen Tag, nachdem sich führende deutsche Wissenschaftsorganisationen für strenge Kontaktbeschränkungen ausgesprochen hatten. Mitunterzeichner des KBV-Papieres: die beiden Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit.

Doch viele Ärzte und medizinische Berufsverbände sind irritiert und verärgert über die Stellungnahme mit dem Titel "Gemeinsame Position von Ärzteschaft und Wissenschaft", die am Mittwoch auf einer Pressekonferenz von KBV-Chef Andreas Gassen, Hendrik Streeck, Jonas Schmidt-Chanasit und dem stellvertretenden KBV-Vorsitzenden Stephan Hofmeister vorgestellt wurde.

Kassenärztliche Bundesvereinigung gegen Lockdown

In dem Papier sprechen sich die Autoren strikt gegen ein Herunterfahren des Alltagslebens aus. "Eine pauschale Lockdownregelung ist weder zielführend noch umsetzbar", sagte KBV-Chef Gassen bei der Vorstellung des Papiers. Nur die Zahl der Corona-Neuinfektionen würde einen solchen Schritt nicht rechtfertigen. Der Virologe Schmidt-Chanasit erklärte, die AHA-L-A-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmasken, Lüften, App) sollten die zentrale Maßnahme zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sein. Statt Verboten müsse Deutschland mehr auf Gebote setzen, um die Unterstützung der Bevölkerung zu halten, so die Meinung der Verfasser des Papiers. Zudem sei die Strategie der breiten Kontaktnachverfolgung von Infizierten im aktuellen Pandemiegeschehen nicht mehr machbar.

Nun mehren sich zu dieser Positionierung Stimmen verärgerter Ärzte und Berufsverbände, die den darin vertretenen Standpunkt als Verharmlosung der Lage sehen. Viele unterstützen stattdessen die am Dienstag von mehreren wichtigen Forschungsorganisationen wie der Leopoldina ausgesprochene Stellungnahme mit dem Titel "Es ist ernst" . Darin mahnen die Autoren, "dass es gegenwärtig ein Hauptinstrument gibt, um die Kontrolle über die Pandemie zurückzugewinnen: Die Anzahl der Kontakte zwischen Personen ohne adäquate Vorsichtsmaßnahmen muss konsequent reduziert werden."

Anästhesisten-Verband: Position des KBV steigert Verunsicherung

Der Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA), der mehr als 20.000 Mitglieder hat, übte in einer Pressemitteilung scharfe Kritik an der Aussage der KBV, wonach ein Lockdown in Teilen nicht das richtige Mittel gegen die Corona-Pandemie sei. Es gebe zu einer deutlichen Einschränkung von Kontakten und damit der Ausbreitungsmöglichkeit der Infektion derzeit keine Alternative. Alle anderen Schritte seien bislang nicht genügend wirksam gewesen, sagte BDA-Präsident Götz Geldner.

"Eine solche Stellungnahme zum jetzigen Zeitpunkt erachtet der BDA als grundsätzlich nicht zielführend. Sie trägt nur zu einer weiteren unnötigen Verunsicherung der Bevölkerung bei." Diese Auffassung teile auch die Schwestergesellschaft des BDA, die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) mit mehr als 15.000 anästhesiologischen Mitgliedern.

Ärzteverbände wurden ungefragt als Unterstützer genannt

Ein weiterer Aufreger: In dem KBV-Positionspapier werden mehr als 20 Ärztevereinigungen und Verbände als "Unterstützer" aufgeführt. Doch ein Teil der genannten "Unterstützer" widerspricht nach der Veröffentlichung des Papiers nicht nur dessen Positionen.

Wie der BDA schreibt, sei man in der KBV-Stellungnahme über die Mitgliedschaft im Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) als Unterstützer genannt worden, unterstütze das Papier inhaltlich jedoch gar nicht – und habe "im Vorfeld keinerlei Kenntnis über dieses Papier" gehabt. Verwunderung zeigte auch der Berufsverband Deutscher Internisten e.V. (BDI) mit 21.000 Mitgliedern. Das Präsidium habe sich gegenüber der KBV gar nicht zu dem Papier geäußert, teilt der Verband auf Twitter mit. In einer neuen Version des "gemeinsamen Positionspapiers" werden die SpiFa-Mitgliedsverbände nicht mehr einzeln aufgeführt.

Vorwurf von Ärzten: KBV-Chef missbraucht seine Stellung

In den sozialen Medien mehren sich derweil Beiträge von Medizinern, die sich als KBV-Mitglieder klar von dessen Positionspapier distanzieren.

"Die Ärzteschaft" kritisiere mitnichten die neuen Maßnahmen zur Eindämmung der COVID19-Pandemie, schreibt etwa Prof. Dr. med. Leif Erik Sander, Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie an der Berliner Charité auf Twitter. "Diese Erklärung wird von keiner medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaft und auch nicht von Klinikärzt*innen unterstützt", kritisiert Sander. Das Positionspapier suggeriere, dass es eine generelle Position "der Ärzteschaft" widergebe. "Die 'gemeinsame Position von Wissenschaft und Ärzteschaft' ist dies sicher nicht!"

Auch Marc Hanefeld, Hausarzt und Facharzt für Allgemeinmedizin sowie für Anästhesie, Notfall- und Intensivmedizin, äußerte auf Twitter seinen Ärger: "Von meiner Seite aus keinerlei Rückhalt. Es ist eine ganz perfide Sache, diskutable Fakten in einem solchen Kontext, zu einem solchen Zeitpunkt und mit einem derartigen Tenor herauszubringen. Herr Gassen spricht nicht für die Ärzteschaft."

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Rainer Röver, Allgemeinmediziner aus Überlingen, scheibt auf Twitter: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gassen bei einer Mehrheit der Niedergelassenen Rückhalt findet. Wir Hausärzte sind zusammen mit den Intensivmedizinern diejenigen die die steigenden Infektionszahlen bewältigen müssen – und das unter teils täglich wechselnden Rahmenbedingungen."

"Ich verstehe auch nicht, wie Herr Gassen sich so eindeutig in einer so kontroversen Frage positionieren kann, und dabei auch noch seine Rolle als Vertreter der Kassenärzt*innen missbraucht", moniert auch der Schwabinger Facharzt für Allgemeinmedizin und Infektiologe, Ulrich Kastenbauer. "Meine Position vertritt er hier nicht."

Der Stuttgarter Hautarzt Armin Philipp kündigte den Austritt aus dem Berufsverband der Deutschen Dermatologen an, für den er im Landesvorstand Baden-Württemberg selbst tätig war. Ein paar Funktionäre missbrauchten aus seiner Sicht ihre Position, um "massiv in eine gesellschaftliche und politische Diskussion einzugreifen! Sie berufen sich hierbei auf Mitglieder, die aber zumindest in großen Teilen dem nicht zustimmen."

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Auf eine Anfrage an den KVB zu den genannten Unterstützern des Positionspapiers lag t-online zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes keine Antwort vor.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Twitter
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