Darum bleiben die Corona-Infektionszahlen derzeit stabil
Beim Infektionsgeschehen in Deutschland gab es zuletzt wenig Dynamik. So mancher mag nun schon das Ende der vierten Corona-Welle wittern. Was sagen Experten?
Seit etwa zwei Wochen sind die Corona-Infektionszahlen in Deutschland relativ stabil β zuletzt sind sie sogar leicht gesunken. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) von Mittwoch bei 77,9 (Vortag: 81,1; Vorwoche: 82,7).
Auch bei der Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten β die fΓΌr politische Entscheidungen besonders im Vordergrund stehen soll β tut sich wenig. Ist das nun schon wieder das Ende der vierten Welle, oder sollten wir uns auf einen anstrengenden Herbst einstellen?
Experten ziehen verschiedene Ursachen in Betracht
Aus Sicht des SaarbrΓΌcker Experten fΓΌr Corona-Prognosen Thorsten Lehr beruht die Entwicklung auf mehreren Effekten: Zum einen ebbe die Zahl der ReiserΓΌckkehrer langsam ab β und damit auch die eingeschleppter Infektionen.
Zum anderen seien in vielen BundeslΓ€ndern nach den Sommerferien zunΓ€chst die Infektionszahlen bei SchΓΌlern explosionsartig angestiegen. "Dieser Anstieg ist durch die DurchfΓΌhrungen von Tests in der Schule und dem Entdecken von in die Schule getragenen Infektionen zu erklΓ€ren und nicht durch unkontrollierte Infektionen in der Schule", betont der Experte. Wegen des kontinuierlichen Testens und der QuarantΓ€nemaΓnahmen bei Kontaktpersonen komme es vielerorts ein bis zwei Wochen nach dem Schulstart nun zu einer Stagnation oder sogar Abnahme der Zahlen in dieser Altersgruppe. "Es kehrt eine gewisse NormalitΓ€t ein."
Den Zusammenhang mit den ReiserΓΌckkehrern begrΓΌndet MobilitΓ€tsforscher Kai Nagel zunΓ€chst damit, dass eine Ansteckung in einem Zielland mit hΓΆheren Inzidenzen natΓΌrlich wahrscheinlicher sei als zu Hause. AuΓerdem wΓΌrden ReiserΓΌckkehrer systematischer getestet, sodass vermutlich auch mehr FΓ€lle entdeckt wΓΌrden.
Viola Priesemann, Leiterin einer Forschungsgruppe am GΓΆttinger Max-Planck-Institut fΓΌr Dynamik und Selbstorganisation, sieht zudem stagnierende Zahlen von Neuinfektionen in den NachbarlΓ€ndern als Grund. Aufgrund von Reisenden und auch Grenzpendlern sei es normal, dass sich die Inzidenzen in benachbarten Staaten oft anglichen.
Vierte Welle noch nicht gebrochen
Ist die vierte Pandemie-Welle in Deutschland also schon gebrochen? Nein, mahnt der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut fΓΌr PrΓ€ventionsforschung und Epidemiologie. "Von einem Ausbremsen der vierten Welle zu sprechen, ist sicher zu frΓΌh."
Auch Lehr warnt vor voreiligen SchlΓΌssen. "Dieses Verhalten der Inzidenzkurve haben wir fast auf den Tag genau im letzten Jahr beobachten kΓΆnnen." Damals sei die Inzidenz ebenfalls leicht abgesunken beziehungsweise auf konstantem Niveau verharrt, bevor sie Ende September stark angestiegen sei. "Bei der aktuellen Impfsituation und den gelockerten KontaktbeschrΓ€nkungen ist ein Γ€hnlicher Anstieg Ende September, Anfang Oktober wieder erwartbar", so Lehr.
Der befΓΌrchtete Anstieg dΓΌrfte aus Lehrs Sicht durch die sogenannte SaisonalitΓ€t, also den Einfluss der Jahreszeit, deutlich verstΓ€rkt werden. Habe die SaisonalitΓ€t im FrΓΌhjahr und Sommer noch als "RΓΌckenwind" bei der Reduktion der Infektionen gewirkt, werde sie ab Oktober wohl wieder zum "Gegenwind".
Anstieg der Infektionszahlen im Herbst wahrscheinlich
Auch MobilitΓ€tsforscher Nagel hΓ€lt einen deutlichen Anstieg der Infektionszahlen mit der herbstlichen Verlagerung von AktivitΓ€ten in InnenrΓ€ume fΓΌr wahrscheinlich. Ob dies zu einer Γberlastung der KrankenhΓ€user fΓΌhre, sei noch nicht vorhersagbar. "Empfehlenswert ist auf jeden Fall, dass bis auf Weiteres auch Geimpfte vor Begegnungen in InnenrΓ€umen einen Schnelltest machen, da auch sie das Virus ΓΌbertragen kΓΆnnen", betont Nagel.
"Wir haben auch in Deutschland noch das Potenzial, dass die Zahlen im Herbst wieder deutlich hochgehen. Und zwar so hoch, dass auch die KrankenhΓ€user wieder sehr belastet werden kΓΆnnen", warnt Expertin Priesemann. In vielen Altersgruppen seien noch deutlich mehr als zehn Prozent der Menschen nicht immunisiert.
Mit Blick auf die BevΓΆlkerung ΓΌber 50 sagt Priesemann: "Wenn immer noch ΓΌber zehn Prozent der relevanten Altersgruppe nicht immunisiert sind, dann haben diese zehn Prozent das Potenzial, die Masse, um die KrankenhΓ€user zu fΓΌllen." Im letzten Winter seien rund 10 bis 15 Prozent der Menschen infiziert worden, und schon das habe die KrankenhΓ€user ΓΌber Monate an die Grenzen gebracht. Deshalb mΓΌsse man moderate VorsichtsmaΓnahmen beibehalten β und weiterhin fΓΌr eine Impfung werben β, "damit wir ohne EngpΓ€sse ΓΌber den Winter kommen".
Experte: "Hoffnung ist berechtigt"
Epidemiologe Hajo Zeeb sieht in der Stagnation dennoch einen Grund fΓΌr vorsichtigen Optimismus. "Die Hoffnung ist berechtigt, dass insbesondere angesichts der niedrigen Hospitalisierungs- und Sterbezahlen der Verlauf dieses Jahr deutlich gΓΌnstiger wird β wenn nicht neue Varianten wie in der Vergangenheit diese Aussicht ins Wanken bringen."
In jedem Fall, so Lehr, hΓ€tten die Menschen in Deutschland die weitere Entwicklung selbst in der Hand. "Wir sollten diese Ruhephase vor einem potenziellen Sturm dringend zur Impfung nutzen und nicht mit Wundenlecken und politischen Diskussionen verstreichen lassen."
- Nachrichtenagentur dpa