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Kliniken vor der Triage: Darf man Ungeimpfte nicht behandeln?


Kliniken vor der Triage
Darf man Ungeimpften die Behandlung verweigern?


01.12.2021Lesedauer: 3 Min.
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Intensivstation in Gießen: Dürfen Mediziner die Behandlung Ungeimpfter vernachlässigen?Vergrößern des Bildes
Intensivstation in Gießen: Dürfen Mediziner die Behandlung Ungeimpfter vernachlässigen? (Quelle: picture alliance/dpa | Boris Roessler/dpa)

Die Corona-Lage in den Krankenhäusern spitzt sich zu, die Intensivstation werden immer voller. Nun fordern erste Experten, die Behandlung der Patienten vom Impfstatus abhängig zu machen.

Kaum etwas schlägt derzeit so hohe Wellen wie die Spaltung des Landes in Geimpfte und Ungeimpfte. Klar ist: Wäre die Impfquote höher, würden die Krankenhäuser nicht an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Durch Maßnahmen wie 2G und Ausgangssperren soll der Druck auf Ungeimpfte erhöht werden. Nun fordern erste Experten eine politische Klärung der Frage, ob Geimpfte in einer Triage-Situation Ungeimpften vorgezogen werden sollen.

"Triage" leitet sich von dem französischen Wort "trier" ab, das "sortieren" oder auch "aussortieren" bedeutet. Unter Triage wird in der Notfall- und Katastrophenmedizin die Einteilung von Verletzten oder Erkrankten im Fall eines Massenaufkommens von Patienten verstanden. Die Entscheidung darüber, wer behandelt wird, richtet sich dabei nach dem Schweregrad der Verletzungen und der Dringlichkeit der Behandlung.

Die Medizinethikerin Annette Dufner erklärte in der "Rheinischen Post": "Unter dem Strich glaube ich, dass sich die Beachtung des Impfstatus in einer überfüllten Intensivstation durchaus argumentieren ließe." Auch andere Experten äußerten sich ähnlich.

Ihnen widersprach die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) mit anderen Fachgesellschaften und stellte klar: Der Impfstatus eines schwer erkrankten Covid-Patienten darf bei der Entscheidung über die weitere Behandlung keine Rolle spielen. Der Medizinethiker Dr. Georg Marckmann hat die Fachgesellschaften beraten. t-online sprach mit ihm.

Herr Marckmann, rund um das Thema der Corona-Impfung ist die Stimmung extrem aufgeheizt. Nehmen Sie das auch so wahr?

Ja, die Debatte wird leider sehr emotional geführt.

Nun müssen vielerorts Operationen und Eingriffe verschoben werden, weil die Bettenkapazitäten erschöpft sind. Unter den betroffenen Geimpften sorgt das augenscheinlich für viel Unverständnis und Wut ...

Zunächst muss man dazu sagen: Bei der Verschiebung von Operationen wird nach dem Kriterium der Dringlichkeit priorisiert. Es werden nur solche Eingriffe verschoben, bei denen sich innerhalb der nächsten drei Monate die Überlebenswahrscheinlichkeit der Patienten nicht erhöht.

Dr. Georg Marckmann
Dr. Georg Marckmann (Quelle: privat/ Fotograf: Yves Krier)


Dr. Georg Marckmann ist Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Aber klar ist: Wäre die Impfquote höher, wären wir jetzt nicht in dieser Situation ...

Richtig. Und man merkt daran ja auch mal wieder, dass eine Impfung eben doch keine reine Privatsache ist. Die Entscheidung darüber bleibt eine individuelle, hat aber mögliche negative Auswirkungen auf andere. Und das scheint bei einigen die Überlegung zu triggern, Geimpfte bei akuter Knappheit bevorzugt zu behandeln. Kurz: Wer nicht geimpft ist, wird nicht behandelt.

Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen?

Zum einen: Die ärztlichen Hilfspflichten gelten unabhängig davon, ob der Betroffene schuldhaft in diese Situation gekommen ist. Nehmen Sie die Bergmediziner. Sie retten auch Personen, die durch Leichtsinn ihren Unfall selbst verursacht haben. Eine Nichtbehandlung in lebensbedrohlichen Situationen widerspricht dem ärztlichen Ethos.

Zum anderen: Aus gutem Grund werden die Leistungsansprüche in unserem Gesundheitssystem nicht durch ein mögliches Selbstverschulden eingeschränkt. Von diesem Grundsatz können wir jetzt mitten in einer Pandemie nicht plötzlich abweichen, ohne dass es hierfür eine entsprechende gesetzliche Legitimation gibt.

Nun bereiten sich einige Kliniken auf eine mögliche Triage vor ...

Durch die Orientierung am Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht sollen möglichst viele Menschen gerettet und die Tragik der Entscheidungen minimiert werden. Es zählt damit allein die Überlebenswahrscheinlichkeit und nicht die Frage, ob jemand geimpft oder nicht geimpft ist.

Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin hat den Vorstoß gemacht, Ungeimpfte sollten an den Behandlungskosten beteiligt werden.

Intuitiv scheint sich das für viele Menschen zunächst einmal richtig anzuhören. Man muss das aber auch zu Ende denken. Wo müsste dieser Grundsatz dann noch zum Einsatz kommen? Wir müssen uns klar machen: Im Regelfall sind Gesundheitsstörungen nicht klar und eindeutig auf das Verhalten des Betroffenen zurückzuführen. Und es ist nicht immer klar, ob das gesundheitsschädigende Verhalten auf einer wohlinformierten, selbstbestimmten Entscheidung des Betroffenen beruht. Auch der Impfverzicht kann beispielsweise durch Falschinformationen bedingt sein.

Abschließend gefragt: Was ist Ihre Prognose, wie kommen wir aus der vierten Welle heraus? Eine Impfpflicht hilft uns ja kurzfristig nicht weiter.

Ich befürchte nicht. Stattdessen sollten wir die drei Millionen über 60-Jährigen umgehend impfen und alle in dieser Altersgruppe boostern. Zusammen mit Vorerkrankten sind das die Risikogruppen für schwere Krankheitsverläufe. Es war ein Fehler, die dritte Impfung erst so spät anzubieten. Diese Risikopatienten müssen jetzt aktiv angesprochen werden, per Termin vom Hausarzt einbestellt oder zu Hause aufgesucht werden. Für sie sind die Impfungen am wichtigsten, auch mit Blick auf eine weitere Infektionswelle durch eine Variante.

Herr Marckmann, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Georg Marckmann
  • Nachrichtenagentur dpa
  • Eigene Recherche
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