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Corona vor dem Ende? Experte: Wir haben schon Herdenimmunität


Corona vor dem Ende?
Experte: Wir haben schon Herdenimmunität


29.04.2022Lesedauer: 4 Min.
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Menschen in der Kölner Innenstadt (Archivbild): Wie weit ist die Durchseuchung mit dem Coronavirus bereits fortgeschritten?Vergrößern des Bildes
Menschen in der Kölner Innenstadt (Archivbild): Wie weit ist die Durchseuchung mit dem Coronavirus bereits fortgeschritten? (Quelle: imago-images-bilder)

Immer mehr Anti-Corona-Maßnahmen werden aufgehoben. Ist die Pandemie zumindest hierzulande damit besiegt? Ein Experte schätzt die Lage ein und erklärt, welchen Schutz wir noch brauchen.

Am Mittwoch verkündete die EU-Kommission, sie sehe Europa am Ende der "akuten" Phase der Corona-Pandemie angelangt. "Wir treten in eine neue Phase der Pandemie ein, indem wir aus dem Notfallmodus in ein tragfähigeres Management von Corona übergehen", erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Es sei jedoch weiterhin Vorsicht geboten. "Wir müssen mehr impfen, boostern und gezielt testen."

Gleichzeitig bereitet Niedersachsen als erstes Bundesland die vierte Impfung für alle ab Herbst vor. Wo stehen wir im Kampf gegen Corona und welchen Schutz brauchen wir weiterhin? t-online fragte den Immunologen Andreas Radbruch.

t-online: Herr Radbruch, sind Sie schon zum vierten Mal geimpft?

Andreas Radbruch: Nein, und ich würde dazu raten, dies auch erst im Herbst zu tun, wenn überhaupt.

Warum, welche Vorteile hat das?

Zum einen würde man dann den Schutz der Schleimhäute vor Infektion erneuern, der ja bekanntlich nur kurzfristig ist. Zum anderen könnte man dann mit angepassten Impfstoffen besser auf eventuell auftauchende ganz neue Varianten reagieren.

Für den Fall, dass Omikron dann immer noch dominant ist, könnte man sich eventuell aber auch mit einem auf Omikron modifizierten Vakzin impfen lassen, falls es dann eins gibt, das besser ist als die bisherigen Impfstoffe.

Generell muss man sagen: Man sollte dem Immunsystem auch einfach mal Zeit geben, seine Fähigkeiten zu entwickeln. Sechs Monate sind besser als drei zwischen der dritten und der vierten Impfung.

Mal abgesehen davon, ob es überhaupt viel bringt: Wird man immer wieder in kurzen Zeitabständen mit dem gleichen Impfstoff geimpft, reagiert das Immunsystem letztlich gar nicht mehr. Gott sei Dank, dass es im Normalfall so ist und es nicht zu überschießenden Immunreaktionen kommt.

Andreas Radbruch
Andreas Radbruch (Quelle: Gero Breloer)


Dr. Andreas Radbruch ist Immunologe und Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums Berlin. Er berät u. a. auch den Gesundheitsausschuss des Bundestages.

Nun hat Pfizer eine Studie veröffentlicht, nach der der Schutz der dritten Impfung mit dem Biontech-Vakzin offenbar rapide abnehmen soll. Nach drei Monaten sinke die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen Krankenhauseinweisungen aufgrund von Omikron-Infektionen von 85 auf nur noch 55 Prozent. Klingt nach einer Schocknachricht, was steckt dahinter?

Zunächst mal geben die Daten das so gar nicht her. Die Studie hat diverse Einschränkungen. Zum einen ist nicht klar definiert, aufgrund welcher Krankheitssymptome eine "Hospitalisierung" erfolgte, und ob diese Kriterien in den unterschiedlichen Gruppen gleichermaßen erfüllt waren. Es ist also unklar, ob die Krankheitslast bei Geimpften und Ungeimpften gleich war.

Zudem sind die statistischen Daten mit großen Unsicherheiten behaftet. Und vor allem gibt es keine Daten darüber, ob denn eine vierte Impfung die Situation ändern würde.

Was vermuten Sie: Was ist der Hintergrund dieser Studie?

Mir kommt das eher so vor, als gehe es um eine Marketingkampagne fürs Boostern. Englische Wissenschaftler kommen zu anderen Ergebnissen. Sie haben nicht nur die Einweisungen ins Krankenhaus untersucht, sondern auch das klare Kriterium "Verlegung auf die Intensivstation".

Und der Schutz vor einer solch schweren Erkrankung sank vier Monate nach der dritten Impfung nur von 90 auf rund 85 Prozent, blieb also im Wesentlichen gleich.

Das ist auch zu erwarten, nach zahlreichen Untersuchungen, die gezeigt haben, dass der Schutz vor schwerer Erkrankung durch die "alten" Virusvarianten stabil bei über 95 Prozent bleibt, über viele Monate, schon nach zwei Impfungen.

Wenn die Ergebnisse stimmen würden, müssten wir diese Entwicklung nicht schon längst in unseren Krankenhäusern sehen?

Ja, genau. Und wir sehen dort keine Überlastung mehr. Vor allem nicht auf den Intensivstationen. Dort geht die Auslastung kontinuierlich zurück. Vielleicht sollte sich Pfizer mit seiner wirklich genialen Technologie nun mal mit anderen Krankheiten beschäftigen, gegen die wir noch keine Impfstoffe haben, statt uns dauernd blindes Boostern nahezulegen.

Der Impfstoff hat das gar nicht nötig, zwei- bis dreimal impfen reicht bei den allermeisten. Nur wenige profitieren von einer vierten Impfung. Die Stiko hat ja dazu eindeutige und kluge Empfehlungen gegeben. Das Immunsystem ist ein Wunder der Natur, es arbeitet viel effizienter und nachhaltiger, als viele glauben.

Nun haben einige Bundesländer die Isolationszeit nach einer Infektion bereits verkürzt. Wer nach fünf Tagen seit 48 Stunden symptomfrei ist, darf wieder arbeiten. Was meinen Sie, ist da die Intention?

Das Ziel ist sicherlich, die Wirtschaft nicht zum Stocken zu bringen. Corona wird jetzt behandelt wie eine Erkältung. Angesichts der sehr hohen Impfquote vor allem bei den über 60-Jährigen von rund 90 Prozent zweimal Geimpfter und dem Grad der Durchseuchung von geschätzt über 60 Prozent ist das auch berechtigt.

Was meinen Sie damit? Die EU gab in dieser Woche bekannt, dass Schätzungen darauf hindeuten, dass 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung wahrscheinlich schon infiziert waren. Außerdem wurde das Ende der "akuten Phase" der Pandemie verkündet. Was bedeutet das?

Das deutet darauf hin, dass "Herdenimmunität" bereits besteht, in dem Sinne, dass trotz hoher Infektionszahlen die Belastung für das Gesundheitssystem überschaubar ist. Ganz anders als am Anfang der Pandemie.

Ob die "Herdenimmunität" über kurz oder lang auch die Verbreitung des Virus einschränkt, wird sich zeigen. Ist man geimpft oder genesen, ist man ja nur relativ kurz vor Ansteckung geschützt.

Nach einer englischen Studie sind aber geimpfte Genesene auch nach einem Jahr noch zu 90 Prozent vor Ansteckung geschützt, selbst wenn sie erst 18 Monate nach der Infektion geimpft worden waren. Und geimpfte Genesene gibt es immer mehr. Das lässt hoffen, dass wir auf die Phase hinsteuern, in der das Virus immer weniger Wirte findet, um sich zu verbreiten. Vielleicht ist es schon im Herbst so weit.

Herr Radbruch, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Andreas Radbruch
  • Nachrichtenagentur AFP
  • Eigene Recherche
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