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Abtreibung: Seelische Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen


So leiden Frauen
Seelische Folgen einer Abtreibung sind ein Tabu-Thema

Simone Blaß

Aktualisiert am 02.07.2013Lesedauer: 6 Min.
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Für diesen Beitrag haben wir alle relevanten Fakten sorgfältig recherchiert. Eine Beeinflussung durch Dritte findet nicht statt.

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Abtreibung: Unter den seelischen Folgen leiden Frauen noch lange.Vergrößern des Bildes
Abtreibung: Unter den seelischen Folgen leiden Frauen noch lange. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

Im Jahr 2011 sind deutschlandweit laut Statistischem Bundesamt 108.900 Schwangerschaftsabbrüche registriert worden. Nur in sehr wenigen Fällen wurde die Abtreibung aus medizinischen oder gar kriminologischen Gründen vorgenommen, also zum Beispiel wegen einer Vergewaltigung. Das heißt, zumindest auf den ersten Blick, fast alle Frauen haben sich frei entschieden. Doch dieser Entscheidung gehen meist nicht nur enorme seelische Kämpfe voraus, auch die Folgen für die Psyche darf man nicht unterschätzen.

Den meisten Frauen geht es nach einer Abtreibung körperlich bald wieder gut. Viele sind im ersten Moment irgendwie erleichtert, dass nach dem oft sehr schwierigen Prozess der Entscheidung nun alles vorbei ist und vermeintlich das Leben so weitergehen kann wie zuvor.

Doch das funktioniert nicht unbedingt. Nach Ansicht von Reinhard Klein von der Beratungsstelle "Aus-WEG?!" müsse zunächst der möglicherweise auftretenden Trauer Raum gegeben werden. Denn eine Abtreibung kann neben seltenen körperlichen auch psychische und psychosomatische Folgen haben, die manchmal Jahre oder sogar Jahrzehnte später erst auftauchen und oft zunächst gar nicht mit dem für manche Frauen traumatischen Erlebnis in Verbindung gebracht werden. "Das Thema 'seelische Folgen' einer Abtreibung kommt in der Ausbildung von Ärzten und Therapeuten nicht vor, weil es angeblich eben nicht vorkommt. Unsere Erfahrung ist da allerdings eine ganz andere und wir bemühen uns, die betroffenen Frauen in ihrem seelischen Schmerz aufzufangen", so der Vorsitzende des Vereins 'Hilfe zum Leben' aus Pforzheim.

"Viele werden zur Abtreibung gedrängt"

Auch Freya Zechmair von "pro familia" in Bamberg kennt Fälle, in denen ein Schwangerschaftsabbruch als traumatisch empfunden wird und seelische Folgen hat. "Meist gibt es dann im Vorfeld bereits Hinweise darauf. Zum Beispiel, dass eine Frau die rationalen Gründe stark abspaltet von der emotionalen Seite. An sich ein ganz normaler Abwehrmechanismus, der aber im Konflikt durchaus ein Zeichen sein kann, dem wir nachgehen. Denn wenn eine Frau nach dem Motto 'Augen zu und mit dem Kopf durch' an eine Abtreibung herangeht, dann kann das durchaus dazu führen, dass das Erlebnis danach schlechter verarbeitet wird. Ein gewisses Gefühl der Trauer ist normal, aber das Gefühl der Erleichterung sollte zunehmen bei einem Abbruch, der von einer Frau autonom entschieden wurde, den die Frau also wirklich will." Reinhard Klein bezweifelt aber, dass sich die Betroffenen wirklich frei entscheiden können: "Viele werden zur Abtreibung gedrängt, manche sogar gezwungen, eine positive Unterstützung von ihrem Umfeld erhalten sie nicht."

Trauer, Reue, Schuld und Verlustgefühle nach der Abtreibung

Der Schwangerschaftsabbruch ist ein Thema, das die Gemüter erhitzt und das immer auch mit dem Thema Glauben zu tun hat und damit, wann neues Leben wirklich entsteht und wie viel Wert es hat. Eine Beratung vorausgesetzt, ist eine Abtreibung in Deutschland ohne medizinischen oder kriminologischen Grund bis zum Ende der zwölften Woche nach der Empfängnis zugelassen. Kaum eine Frau wird sich aber die Entscheidung, eine Schwangerschaft abzubrechen, wirklich leicht machen. Für die meisten ist es eine schmerzliche Erfahrung und nicht wenige kämpfen danach mit Trauer, Reue, Schuld und Verlustgefühlen.

Zu wenig Aufklärung über mögliche seelische Folgen?

Eine Tatsache, der, so Reinhard Klein, in unserer Gesellschaft nicht genug Rechnung getragen wird. Er sieht einen Großteil des Problems darin, dass die Beratungsstellen und auch die Frauenärzte mögliche seelische Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs nicht oder nur zu selten zur Sprache bringen. "An dieser Stelle wird nach unserer Erfahrung nicht genug informiert. Theoretisch muss jeder Arzt seinen Patienten bei einer Operation über jede noch so kleine Möglichkeit einer Folge aufklären. Wir haben aber noch nie gehört, dass das in diesem Fall tatsächlich je gemacht wurde. Uns ist wichtig, klar und eindeutig über die möglichen Folgen aufzuklären, denn was Frauen unserer Ansicht nach in dieser Situation brauchen, ist eine positive Einstellung zum Kind und eine Mut machende Unterstützung. Wir sind überzeugt davon, dass, würden sich alle Frauen outen, denen es nach einer Abtreibung psychisch schlecht ging, es eine neue Diskussion zum Paragraphen 218 geben würde und das will anscheinend keiner."

Freya Zechmair, die Leiterin der Schwangerenberatungsstelle in Bamberg, sieht das anders: "Wir sprechen bei der Beratung mit den Frauen immer über beide Seiten und arbeiten hier mit speziellen Beratungstechniken, für die wir auch geschult werden. Schließlich handelt es sich um einen Ambivalenzkonflikt. Wie wäre es mit dem Kind, was wäre, wenn der Abbruch durchgeführt wird. Wir lassen die Frauen die Situationen erspüren und schauen, welche Gefühle, welche Gedanken auftauchen. Hier geht es darum, zu spüren, was will ich wirklich, selbst wenn es momentan eigentlich so gar nicht in mein Leben passt."

Die Diplom-Sozialpädagogin und systemische Familienberaterin weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Beratungsstellen dazu sogar gesetzlich verpflichtet sind. "Ich als Beraterin muss aber neutral sein und darf die Frau nicht durch Suggestivfragen beeinflussen. Es ist absolut in Ordnung, wenn eine Frau für sich weiß, dass sie sich eher erleichtert als traurig fühlen wird. Natürlich kann eine Abtreibung massive seelische Folgen haben, aber es kommt immer auf die Entscheidungsgrundlage der Frau an. Eine gewisse Trauerreaktion muss man erwarten, aber da gibt es deutliche Unterschiede und nicht jeder Schwangerschaftsabbruch führt automatisch zu einer posttraumatischen Belastungsreaktion."

Folgen einer Abtreibung zeigen sich noch Jahre später

Die Umstände sind hier oft entscheidend, genau wie die Beeinflussung von außen. Durch den Mann, den Frauenarzt, die Familie und Freunde, aber auch durch die gesellschaftlichen Erwartungen an sich. Da kann es passieren, dass eine Frau durch die Entscheidung gegen das Kind etwas verliert, was nie mehr wiederzugewinnen ist und sie die Entscheidung oft Jahre später sehr bereut, zum Beispiel weil sich keine weiteren Kinder einstellen wollen, und sie eine verpasste Lebenschance betrauert. Oder auch, weil sie schwanger ist und ihr jetzt der Begriff des 'werdenden Lebens' ganz besonders bewusst wird, so dass sich rückwirkend Schuldgefühle einstellen. Viele Frauen reagieren noch Jahre nach einem Schwangerschaftsabbruch extrem auf bestimmte Situationen: Zum Beispiel auf den Kontakt zu schwangeren Frauen oder auf die Wiederholung von Jahrestagen wie dem errechneten Geburtstermin des abgetriebenen Kindes oder dem Tag der Abtreibung selbst.

Man spricht hier gelegentlich vom PAS, dem Post Abortion Syndrom, zu dem unter anderem folgende psychische und psychosomatische Symptome gezählt werden: Depressionen, Angstzustände, Essstörungen, Migräne, Schlafstörungen, selbstzerstörerische Tendenzen, Alkohol- und Drogenmissbrauch, aber auch Unterleibsbeschwerden, Störungen im Sexualleben und Magen-Darm-Probleme. Natürlich treten diese Symptome nie gleichzeitig auf, jede Frau reagiert anders auf seelische Belastung. Oft dauert es Jahre oder Jahrzehnte und manchmal gelingt es selbst mit therapeutischer Hilfe nicht, die Ursache zu finden und den Zusammenhang zu erkennen.

Mögliche Folgen werden von allen Seiten instrumentalisiert

Für vehemente Abtreibungsgegner ist diese Tatsache sozusagen ein 'gefundenes Fressen' und man neigt dazu, jedes Problem, das irgendwann einmal auftaucht, auf den Schwangerschaftsabbruch zu beziehen. Die Befürworter zeigen die zweite Seite der Medaille. Sie sind sicher, dass die psychische Belastung der Frau vor dem Abbruch sehr viel höher ist und dies auch bleiben würde, wenn die Frau ein ungewolltes Kind austrüge. Psychische Folgen werden hier eher in einem anderen Zusammenhang genannt: Die Kriminalisierung und Tabuisierung der Tat, die extreme Sprache vieler Gegner, Probleme, die bereits bestanden und für den Abbruch ausschlaggebend waren - nicht andersherum.

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Vergleicht man die zahlreichen, meist ausländischen Studien zum Thema, so zeigt sich eines aber durchgängig deutlich: Ein erhöhtes Risiko für psychische Probleme besteht vor allem, wenn eine oder mehrere der folgenden Umstände auf die Frau zutrifft, bei der eine Abtreibung vorgenommen wird:

  • wenn aus medizinischen Gründen eine eigentlich erwünschte Schwangerschaft abgebrochen wird
  • wenn die Schwangerschaft bereits relativ weit fortgeschritten war
  • wenn die Frauen sehr unsicher oder sehr jung sind
  • wenn ein Glaubenskonflikt besteht
  • wenn sie in ihrem Umfeld niemanden haben, der sie stützt

Tabu-Thema Abtreibung

Abtreibungen haben nach wie vor den Status eines Tabu-Themas. Das macht es den betroffenen Frauen schwer, Trauerarbeit zu leisten. "Wie jedes Tabu geht auch dieses einher mit großen Schuld- und Schamgefühlen. Und das verhindert, dass die Frauen darüber sprechen - selbst engste Vertraute wissen oft nichts", so Freya Zechmair. "Es ist ein sehr emotionales Thema. Da gibt es eine ganze Reihe von Leuten, die extrem gefühlsbetont und auch schuldzuweisend damit umgehen. Wer öffnet sich da schon gerne?"

Das Tabu durchbrechen

Aktive Trauerarbeit ist für eine Frau, die mit den Folgen einer Abtreibung zu kämpfen hat, aber unglaublich wichtig. Diejenigen, die sich in Therapie begeben, lernen zunächst, ihre Gefühle wahrzunehmen und zu benennen. Reinhard Klein beklagt, dass gezielte Angebote für Frauen, die unter den Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs leiden, deutschlandweit noch viel zu selten sind. Die Trauerarbeit macht den Verlust des Kindes greifbarer und hilft der Frau, das Geschehene zu verarbeiten und mit sich selbst wieder ins Reine zu kommen. "Entscheidend ist nicht so sehr, wie es zur Abtreibung kam, sondern wie die Frau nun gesunden kann. Da muss man sich die einzelne Frau mit ihrer Vergangenheit und ihrer Art, mit Dingen umzugehen, genau ansehen. Und ihr dann Mut machen, Trauer und vielleicht auch Wut auf andere, die sie für schuldig hält, zuzulassen. Es muss alles auf den Tisch und in irgendeiner Weise verbalisiert werden. Hier kann ein nahestehender Mensch schon hilfreich sein, wenn er die Problematik wirklich ernst nimmt. Den meisten Frauen aber, die seelische Probleme mit einer Abtreibung haben, ist mit fachlicher Hilfe wahrscheinlich mehr geholfen. Und der Bedarf ist da. Immer mehr Hilfesuchende wenden sich an uns - bundesweit." Auch pro familia bietet den Betroffenen, Frauen wie auch Männern, Gespräche an, wenn Probleme nach einer Abtreibung bestehen. Allerdings wird dieses Angebot bisher zumindest nur selten genutzt.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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