Warum viele Hebammen ihren Beruf aufgeben
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Sie alle sind sich einig: Der Beruf der Hebamme bringt spannende Erfahrungen, ist intensiv und abwechslungsreich. Ein Traumberuf. Und doch haben diese Frauen ihn aufgegeben. Die Arbeitsbedingungen waren zu belastend.
"Es ging jetzt einfach nicht mehr." Annette Seitz ist wΓΌtend, die Arbeit im KreiΓsaal und die Nachsorge im Wochenbett werden ihr fehlen. Die 50-JΓ€hrige aus dem Saarland hat nach 25 Jahren ihren Beruf als Hebamme aufgegeben. Ihren Beruf, den sie eigentlich liebt.
Ein Grund fΓΌr den Ausstieg waren die Bedingungen, unter denen Hebammen heutzutage arbeiten mΓΌssen. "Die Entlohnung ist mittlerweile nur ein Witz. Keine Hebamme kann davon wirklich entspannt leben, wenn man mal bedenkt, was fΓΌr eine Verantwortung wir haben", sagt Seitz. DafΓΌr sei die Arbeitsbelastung enorm. In den vergangenen sieben Jahren war Annette Seitz in einer Klinik angestellt. In Deutschland gibt es keine Vorgaben, wie viele Hebammen in einem KreiΓsaal arbeiten mΓΌssen, das liegt in der Hand der Kliniken. Seitz musste teilweise fΓΌnf Frauen parallel betreuen. Alleine oder mit einer unerfahrenen HebammenschΓΌlerin.
"Das ist ein PersonalschlΓΌssel, der echt Angst macht", sagt sie. "Ich konnte und wolle das nicht mehr verantworten." StΓ€ndig wurden Hebammen durch die hohe Belastung krank, immer wieder fehlte jemand. "Ich wurde jede Woche mindestens dreimal angerufen und gefragt, ob ich nicht einspringen kann β heute Nacht oder morgen frΓΌh. Das war reiner Psychoterror."
Mehr Hebammen, aber viele arbeiten in Teilzeit
In Deutschland herrscht Hebammenmangel. Zwar ist die Zahl der Hebammen und Entbindungspfleger seit den vergangenen zehn Jahren sogar etwas angestiegen, von 9.947 im Jahr 2007 auf 11.233 in 2017. Gleichzeitig hat sich aber auch die Zahl der Geburten hierzulande erhΓΆht. Rund 785.000 Babys kamen 2017 auf die Welt; zehn Jahre zuvor waren es 100.000 Babys weniger. ZusΓ€tzlich wΓ€chst der Anteil der Hebammen, die in Teilzeit arbeiten, immer weiter an (siehe Grafik). Die Hebammen reduzieren ihre Stunden auch aufgrund der hohen kΓΆrperlichen und psychischen Belastung.
Susanne Steppat, PrΓ€sidiumsmitglied des Deutschen Hebammenverbandes, sagt, dass eine Hebamme in einer Klinik im europΓ€ischen Ausland im Jahr etwa 30 bis 40 Geburten betreut. Hierzulande seien es hingegen 90. "Und ich kenne auch Kliniken, da sind es 160 Geburten." Das hat natΓΌrlich Auswirkungen auf die Hebammen: "Sie erzΓ€hlen mir, dass es sie kaputt macht, so viele Frauen gleichzeitig betreuen mΓΌssen. Sie haben das GefΓΌhl, keiner gerecht zu werden. Sie haben Angst, dass sie etwas ΓΌbersehen. Sie haben Angst, dass etwas Schlimmes passiert. Und wenn sie nach Hause gehen, haben sie Angst, dass sie etwas vergessen haben." Die Schwangeren und jungen MΓΌtter nehmen zudem viel mehr Leistungen in Anspruch als frΓΌher. Eine Hebamme kann somit viel weniger Frauen betreuen, weil die Zeit fehlt. Das verstΓ€rkt den Hebammenmangel in der Geburtsvorbereitung und Nachsorge.
Hebammen kΓΆnnen sich Haftpflichtversicherung nicht mehr leisten
Weniger Betreuungen bedeutet in der Freiberuflichkeit auch weniger Geld. Das weiΓ auch Hebamme Annette Seitz aus Erfahrung. "Ich bin von der Freiberuflichkeit in die Festanstellung gewechselt, weil ich mir meinen Job nicht mehr leisten konnte", sagt sie. Es war der klassische Fall: Die Kosten fΓΌr die Haftpflichtversicherung wurden der SaarlΓ€nderin irgendwann zu hoch. Sie steigen jedes Jahr, weil auch die Ausgaben der Versicherer fΓΌr schwere GeburtsschΓ€den zunehmen β was unter anderem an der steigenden Lebenserwartung liegt, aber auch daran, dass Kassen hΓ€ufiger Regress fordern.
"Als ich als Hebamme angefangen habe, lag die HaftplichtprΓ€mie bei 100 oder 200 D-Mark pro Jahr. Mittlerweile sind wir bei ΓΌber 8.000 Euro angelangt." Das muss man auch erst einmal verdienen. "Ich habe mich wie im Hamsterrad gefΓΌhlt, musste unglaublich viel arbeiten", sagt Seitz. Darunter litt ihr Privatleben. Seitz sei wΓ€hrend ihrer Freiberuflichkeit auf jeder Party die letzte gewesen, die kam und die erste, die ging β wenn sie ΓΌberhaupt da war. "Das ist eigentlich ein ganz familienfeindlicher Job", sagt sie. Ihre erste Ehe sei mitunter deswegen zerbrochen.
Vor etwa drei Jahren wurde der sogenannten Sicherstellungszuschlag eingefΓΌhrt, um Hebammen bei der Haftpflichtversicherung zu unterstΓΌtzen: Die Krankenkassen zahlen einen GroΓteil der PrΓ€mie an die Hebammen zurΓΌck. In Vorkasse mΓΌssen diese trotzdem treten und einen hohen bΓΌrokratischen Aufwand fΓΌr die RΓΌckzahlung leisten β welche sie meist erst viele Monate spΓ€ter erhalten.
Wie viele Hebammen aus der Geburtshilfe aussteigen
Zahlen dazu, wie viele Hebammen jΓ€hrlich die Geburtshilfe oder ihren Beruf komplett aufgeben, gibt es nicht. Laut einer Studie des IGES-Institut haben von 2008 bis 2010 rund 25 Prozent der freiberuflich tΓ€tigen Hebamme mit Geburtshilfe diese aufgegeben. Eine Studie von 2018 aus dem gleichen Institut kam zu dem Ergebnis, dass in Bayern eine von vier freiberuflichen Hebammen ΓΌber einen Berufsausstieg nachdenkt.
Ein toller und intensiver Beruf
Trotz allem findet Annette Seitz den Hebammenberuf groΓartig: "Es ist so etwas Intensives. Obwohl ich die Frauen ja manchmal vor der Entbindung gar nicht kennengelernt habe, kommt man dennoch sehr schnell zu einem ganz tiefen Moment und das ist einfach schΓΆn. Das hat man, glaube ich, in keinem anderen Beruf." Seitz mag es, sich schnell auf die unterschiedlichen Situationen einzustellen: "Auch wenn die Frau meine Sprache nicht spricht, auch wenn sie gerade vΓΆllig bockig ist, weil sie Schmerzen hat."
FΓΌr die Berliner Hebamme Simone Logar ist es ebenfalls etwas Tolles, dem Moment beiwohnen zu dΓΌrfen, in dem ein neues Leben beginnt. Aber auch sie muss wegen der HΓΆhe der Haftpflichtversicherung darauf verzichten. Vor sieben Jahren entschied sie sich dazu, statt der Geburtshilfe nur die anderen TΓ€tigkeiten einer Hebamme anzubieten: Vorsorge, Schwangerschaftskurse, Stillberatung, RΓΌckbildungskurse und Co. Auch damit hatte die 36-JΓ€hrige viel zu tun β "aber ich konnte es mir besser einteilen". Heute hat sie auch diese Arbeit aufgegeben.
2017 wurde sie selbst Mutter, schloss ihre Hebammenpraxis. Mit Kind mΓΆchte sie nicht mehr Vollzeit arbeiten, sie in Teilzeit zu fΓΌhren sei finanziell aber nicht mΓΆglich. "Dass ich sie aufgebe, ist multifaktoriell. Es liegt zu einem groΓen Teil am Finanziellen", sagt Logar, "aber die Work-Life-Balance spielt natΓΌrlich auch mit rein. Ich mΓΆchte so arbeiten, dass ich mit meiner Arbeit zufrieden bin und noch etwas von meiner Familie habe. Und das Ganze nicht fΓΌr einen Stundenlohn von drei Euro."
Was der Hebammenmangel fΓΌr Schwangere bedeutet
Schwangere mΓΌssen sich weit vor der zwΓΆlften Schwangerschaftswoche um eine Hebamme kΓΌmmern β in manchen Regionen am besten, sobald sie von ihrer Schwangerschaft wissen. Simone Logar hat zudem ihre eigene Schwangerschaft so geplant, dass sie nicht in den Sommer- oder Weihnachtsferien gebiert. Und genau das empfiehlt sie allen Frauen. "Ich wusste, dass ich in den Sommerferien nicht die Betreuung erhalten wΓΌrde, die ich gerne hΓ€tte." Viele Hebammen gehen in den Ferienzeiten in den Urlaub, so kann es selbst in besser versorgten StΓ€dten zu EngpΓ€ssen kommen.
Es ist schwierig, freiberuflich in Teilzeit als Hebamme zu arbeiten
Stattdessen arbeitet sie nun in Teilzeit fΓΌr den Berliner Hebammenverband; sie ist Zweite Vorsitzende. Dort setzt sie sich natΓΌrlich auch fΓΌr die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Hebammen ein, fordert neue Arbeitsmodelle. Modelle, die auch Hebammen in ihrer Situation helfen wΓΌrden. "Ich wΓ€re zum Beispiel eigentlich gut dafΓΌr geeignet, Urlaubsvertretungen fΓΌr andere Hebammen zu machen β die in der Regel wirklich schwer zu finden sind. Das wΓ€re aber nur mΓΆglich, wenn ich dafΓΌr eine finanzielle UnterstΓΌtzung bei der Haftpflichtversicherung bekommen wΓΌrde."
Denn auch in Teilzeit mΓΌsste sie den gleichen Betrag zahlen wie Hebammen, die in Vollzeit arbeiten. "Dieses GefΓΌhl, von auΓen so beschnitten zu werden, das ist nicht schΓΆn. Selbst wenn ich gerne wieder als Hebamme arbeiten mΓΆchte, kann ich es mir eigentlich nicht leisten."
WΓΌrde sie Interessierten ΓΌberhaupt noch raten, Hebamme zu werden? "Es fΓ€llt mir tatsΓ€chlich schwer, und das ist ziemlich dramatisch, weil das ein so toller Beruf ist", sagt Simone Logar. "Als Berufspolitikerin sage ich: Macht das, wir brauchen Nachwuchs. Aber wenn sie mich fragen wΓΌrden, 'WΓΌrden Sie es Ihrem eigenen Kind empfehlen?', dann sΓ€he die Antwort anders aus." Es sei ein spannender Beruf, der aber momentan in der Krise stecke. "Man muss wirklich genau wissen, dass man das machen mΓΆchte und ob man bereit ist, die schlechten Bedingungen hinzunehmen oder fΓΌr bessere zu kΓ€mpfen."
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- UnterstΓΌtzung: Das ist der Unterschied zwischen Doula und Hebamme
Viele KreiΓsΓ€le mΓΌssen wegen Personalmangel schlieΓen
GekΓ€mpft haben auch viele Kliniken in den vergangenen Jahren, um ihre KreiΓsΓ€le weiterhin zu betreiben. Aber der Mangel an Hebammen fΓΌhrt mitunter dazu, dass viele von ihnen geschlossen werden. WΓ€hrend es 1991 laut dem Deutschen Hebammenverband 1.186 Kliniken mit Geburtshilfe gab, waren es 2017 noch 672 Kliniken. Demnach schlieΓt seitdem beinahe jeden Monat ein KreiΓsaal ganz oder zumindest vorΓΌbergehend.
In Aichach in Bayern etwa wurde die Geburtshilfe Ende des vergangenen Jahres geschlossen. Zwei Hebammen, die dort viele Jahre lang gearbeitet hatten, entschlossen sich dazu, zu kΓΌndigen. "Diese Entscheidung ist uns extrem schwer gefallen, aber wir arbeiten seit Monaten am Limit, haben teilweise zu dritt den Stationsbetrieb am Laufen gehalten. Wir fΓΌhlen uns am Rande unserer KrΓ€fte, was sich mittlerweile auch gesundheitlich auswirkt", werden sie in einer Pressemitteilung des zustΓ€ndigen Landratsamts zitiert. In Bad Toelz musste die Geburtshilfe schlieΓen, da kein neuer Belegarzt gefunden wurde und Geld fehlte. Von den neun Hebammen, die dort gearbeitet haben, sind nur zwei der Geburtshilfe treu geblieben. Die anderen haben frustriert aufgehΓΆrt.
Annette Seitz hat im April dem Hebammenberuf den RΓΌcken gekehrt. Sie kΓΌmmert sich nun rund um die Uhr um den kranken Sohn ihres Mannes. "Womit wir beim nΓ€chsten Problem unserer Gesellschaft sind: dem Pflegenotstand. Wir finden einfach keine KrΓ€fte, die uns hier zuhause unterstΓΌtzen, weil wir unser Kind nicht in eine Einrichtung geben kΓΆnnen und wollen", sagt sie. Das zehre natΓΌrlich auch an den Nerven. Eigentlich habe sie immer gehofft, zumindest eine Viertelstelle als Hebamme in einer Klinik weiterhin ΓΌbernehmen zu kΓΆnnen, weil sie ihren Beruf so mag. "Aber unter diesen ArbeitsumstΓ€nden bin ich lieber zuhause."
- eigene Recherchen
- Statistisches Bundesamt
- Statista
- Deutscher Hebammenverband
- Pressemitteilung Landratsamt Aichach-Friedberg
- IGES: Studie zur Hebammenversorgung im Freistaat Bayern
- Merkur.de: "Wir sind schon sehr frustriert"