Aktivistin im Ministerium Baerbocks erster "Lobby-Skandal" ist ein Hirngespinst
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Mit Jennifer Morgan sitzt bald eine weltbekannte Umweltaktivistin im Außenministerium. Ist das allein schon ein Skandal? Mitnichten. Doch es gibt einen anderen Grund, der gegen Morgan spricht.
Annalena Baerbocks erster Lobby-Skandal ist da – das behaupten zumindest viele Stimmen auf Twitter, einige Unionspolitiker und so mancher Journalist in der Kommentarspalte. Das vermeintliche Vergehen der Außenministerin sei ihre jüngste Personalentscheidung: Jennifer Morgan rückt auf die neu geschaffene Stelle der Klima-Sonderbeauftragten im Auswärtigen Amt.
Sicher, Morgan ist aktuell noch Geschäftsführerin der Umweltorganisation Greenpeace. Das Lobbyisten-Label muss sie sich deshalb gefallen lassen. Ein Skandal ist ihre Berufung als Baerbocks rechte Hand trotzdem nicht.
Jennifer Morgan ist eine amerikanische Aktivistin und Klimaschutzexpertin. Bis Ende Februar leitet sie noch die Umweltorganisation Greenpeace International und soll ab 1. März 2022 als Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik und designierte Staatssekretärin im Außenministerium anfangen. Morgan lebt seit knapp 20 Jahren in Berlin und spricht fließend Deutsch.
Die Empörung ist kalkuliert
Ob und wo es in Deutschland einen Aufschrei gibt, wenn Lobbyisten in Regierungsjobs wechseln, hängt ganz davon ab, woher sie kommen. Genauer: davon, ob sie zuvor in Unternehmen gearbeitet haben oder aus Nichtregierungsorganisationen oder Gewerkschaften, kurz: aus der Zivilgesellschaft stammen.
Kommt jemand wie Jörg Kukies von Goldman Sachs als Staatssekretär ins Finanzministerium, geht kaum eine Augenbraue hoch. Zieht Markus Leyck Dieken als ehemaliger Pharmamanager ins Gesundheitsministerium ein, folgt darauf eher Schulterzucken als Entrüstung. Seitenwechsel zwischen Privatwirtschaft und Politik sind in Deutschland seit langem etabliert.
Weniger riskant werden sie dadurch nicht. Denn selbst der Verdacht, jemand könne sich in Regierungsämtern besonders für die finanziellen Interessen ehemaliger Arbeitgeber, Kollegen und Vertrauter einsetzen, schadet dem Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie.
Lobbyismus für wen?
Doch wer meint, das treffe genauso auf Jennifer Morgan zu, macht es sich zu einfach. Ja, auch sie ist noch Lobbyistin – als eine Hälfte der Doppelspitze bei Greenpeace International sogar eine aus erster Reihe. Dennoch: Morgan kommt aus der Zivilgesellschaft.
Das ist ein monumentaler Unterschied zum bisherigen Berliner Drehtür-Business – und zugleich auch einer der Gründe für die teils haarsträubenden Kommentare zu ihrem Wechsel ins Außenministerium. Es ist schlicht ungewohnt, dass hochrangige Ministeriumspositionen nicht mehr nur an Insider aus der Industrie gehen.
Mehr als das jedoch dürfte hinter der aktuellen Empörung vor allem Heuchelei stecken. Mit ihrer scharfen Kritik an Morgans Berufung versucht besonders die wirtschaftsnahe Union, die Menschen an der Nase herumzuführen: Jede Art von Lobbying sei gleich, heißt es. Doch das stimmt nicht.
Gemeinwohl oder privater Profit
Zwar existieren einige Gemeinsamkeiten bei den Vertretern von Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften: Büros in der Hauptstadt, Treffen mit Politikern, ein berechtigtes Interesse, den demokratischen Entscheidungsprozess mitzugestalten. Und die Pflicht, sich an Lobbyregeln und Transparenzvorgaben zu halten.
Was sie aber unterscheidet, ist in vielen Fällen ihr Lobby-Budget und fast immer ihre Motivation. Hier prallen regelmäßig finanzielle und ideelle Ziele aufeinander.
Während zahlreiche Industrieverbände und Firmenlobbys primär darauf aus sind, sich Fördermittel zu sichern und bindende Regeln für ihre Branchen zu verhindern, setzen sich der Großteil der NGOs und Gewerkschaften dafür ein, die Welt für alle ein Stück besser zu machen.
Auch, wenn das etwas pauschal klingen mag, es unterstreicht den Grundkonflikt: Den einen geht es um Profitmaximierung, den anderen ums Gemeinwohl.
Morgan ist dennoch nicht unproblematisch
Man muss auch nicht jede Greenpeace-Aktion gut finden, um zu erkennen, dass die Reaktionen auf Jennifer Morgans neue Stelle im Außenministerium überzogen sind.
Fachlich dürfte sie genau die richtige für den Job sein: Durch ihre langjährige Erfahrung in der Klimabewegung kann sie die Expertise beisteuern, die Annalena Baerbock fehlt. International ist sie bestens vernetzt. Tatsächlich dürfte es Morgan an etwas anderem mangeln.
Als Klima-Sonderbeauftragte des Außenministeriums ist sie gerade bei internationalen Verhandlungen und Konferenzen als rechte Hand der Ministerin gefragt. Diese Rolle verlangt diplomatisches Fingerspitzengefühl. Und den Respekt ihrer internationalen Gegenüber. Bei letzterem könnte es schwierig werden.
Gerade China, Indien, Brasilien und Russland müssen in den kommenden Jahren überzeugt werden, bei der internationalen Klimapolitik mitzuziehen. Um zu verhindern, dass die Klimakrise eskaliert, müssen die enormen Treibhausgasemissionen dort viel schneller runter als geplant.
Bisher hat sich Morgan aber vor allem als harte Kritikerin einen Namen gemacht. Ob es eine weltbekannte Aktivistin mit diesem Profil schafft, bei konservativen und teils autoritären Regierungen Eindruck zu machen und für Kompromisse zu werben, ist fraglich.