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Talk bei Günther auch: Warum Eltern ihre Kinder töten


Ergreifendes Thema
Wenn Eltern ihre Kinder töten

Von Julian Moering, t-online.de

Aktualisiert am 03.11.2014Lesedauer: 5 Min.
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Günther Jauch hatte diesmal ein bewegendes Talk-Thema: Wenn Eltern ihre Kinder und sich selbst töten.Vergrößern des Bildes
Günther Jauch hatte diesmal ein bewegendes Talk-Thema: Wenn Eltern ihre Kinder und sich selbst töten. (Quelle: dpa-bilder)

Ein unheimliches Thema, das Günther Jauch in seiner Talkrunde am späten Sonntagabend aufgegriffen hat. Und auf den ersten Blick auch ein absurdes. Schließlich liegt das Thema nicht gerade auf der Hand. Der erweiterte Suizid, wenn Väter oder Mütter erst ihre Kinder und dann sich selbst umbringen, ist kein alltägliches Phänomen und kommt nur selten vor. Warum also eine ganze Talkshow zu diesem Thema?

Wer den vorangegangenen "Polizeiruf" aus Rostock gesehen hat, wird die Intention der Redakteure von "Jauch" gut nachvollziehen können. Der ARD-Krimi hat das Thema sehr gelungen und in einer Intensität aufgegriffen, dass es fast schon fahrlässig gewesen wäre, den Zuschauer mit den Eindrücken einfach in die Nacht zu entlassen. Das schwierige Thema direkt im Anschluss nochmal zur Diskussion zu stellen, darf auch im Nachhinein als sinnvolles Angebot an den Zuschauer gesehen werden.

Im Mittelpunkt der Diskussionsrunde standen die Erlebnisse von Doreen Salomon, deren Mann Anfang 2013 sich und den gemeinsamen fünfjährigen Sohn vergiftet hatte. Zu Beginn der Sendung schilderte Salomon ihr Schicksal in einem Einspieler und einem anschließenden Zwiegespräch mit Jauch.

Grausiger Fund im Ehebett

Nach 15 Jahren hatte sie ihren Mann verlassen, weil auch der Junge zunehmend unter der cholerischen Art seines Vaters litt. Etwa vier Wochen nach der Trennung fuhr sie zu ihrem ehemaligen Zuhause, um ihren Sohn von einem Wochenende beim Vater abzuholen. Dort fand sie beide tot im Ehebett.

Der Vater hatte erst den Jungen und dann sich selbst mit einem Narkosemittel vergiftet. Das Bild der Kanüle im Arm ihres Mannes und vor allem die Einstichstellen am Körper ihres Kindes haben sich fest in ihr Gedächtnis eingebrannt. "Ich habe versucht, meinen Sohn wiederzubeleben, obwohl ich wusste, dass er tot war", beschrieb Salomon die Verzweiflung, die sie nach dem schrecklichen Fund übermannte.

Im Laufe dieser Schilderung hatte ich, selbst zweifacher Familienvater, mehrfach das Bedürfnis, abzuschalten. Nicht etwa aus Desinteresse, sondern vielmehr weil man als Elternteil sehr sensibel auf Themen reagiert, die von Kinderleid handeln. Und nicht nur ich werde mich gefragt haben: Was sind das für Menschen, die so etwas tun?

Die Suche nach den Tatmotiven

Gut und richtig also, dass sich Jauch direkt nach dem Zwiegespräch mit Salomon in erweiterter Runde erst einmal den Tätern und den Hintergründen solcher Taten zuwandte. Psychologin Heidi Kastner, "Zeit"-Journalistin Amrai Coen, Schauspieler Andreas Schmidt und der ehemalige Kriminalhauptkommissar Axel Petermann versuchten nun zusammen mit der hinterbliebenen Doreen Salomon eine Antwort auf die Frage zu geben: Wer macht so etwas und warum?

Für Jauch eine vergleichsweise dankbare Aufgabe, kam es doch im Laufe des Abends zu keinerlei für Talkshows so typische Reibereien. Erweiterte Suizide bieten in ihrer Grausamkeit und Unverständlichkeit einfach keinen Ansatzpunkt, eine streitbare Position einzunehmen. Doch das machte die Sendung keineswegs uninteressant.

Kinder werden fast immer nach Trennungen ermordet

Andreas Schmidt, der den Vater spielte, der im zuvor ausgestrahlten "Polizeiruf" seine Frau und zwei seiner drei Kinder umbringt, hat sich als Vorbereitung auf die Rolle eingehend mit dem Innenleben seiner Figur beschäftigt: "Um jemanden spielen zu können, muss ich ihn von innen begreifen."

Schmidt ist der Meinung, dass viele der Täter in der Kindheit unter dem Zerbrechen ihrer Familie gelitten haben und dies im Erwachsenenalter erneut durchleben. Eine streitbare Position, die zumindest von Ex-Kommissar Petermann gestützt wird. Aus seinem Berufsleben weiß er, dass erweiterte Suizide so gut wie immer auf eine Trennung folgen. Leider wurde Schmidts These von keinem der Gesprächspartner aufgegriffen oder in Frage gestellt.

So herrschte über die Gründe, die einen Menschen - im Falle des erweiterten Suizids fast ausschließlich Männer - dazu bringen, die eigenen Kinder mit in den Tod zu reißen, schnell Einigkeit. Die Täter leiden demnach an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, das heißt sie sind unfassbar selbstbezogen. Ihr Motiv ist Besitzstandswahrung für das eigene Selbstwertgefühl. Kastner, die als Psychiaterin unter anderem das vielbeachtete Gutachten im Fall Josef Fritzl verfasste, will in ihrer Arbeit beobachtet haben, dass "den Fällen immer eine fundamentale Erschütterung der Selbstdefinition des Täters vorausgeht".

Besitzergreifende Liebe

Einfach formuliert heißt das: Der Täter begreift seinen Partner und Kinder als Anhängsel des eigenen Ichs, die ohne ihn nicht existieren können. Hat er einmal beschlossen, sich selbst das Leben zu nehmen, ist eine Tötung der Familienmitglieder die für ihn logische Konsequenz. So sagte auch Salomon: "Natürlich hat mein Mann seinen Sohn geliebt, aber seine Liebe war besitzergreifend."

Ähnliches beobachtete auch Amrai Coen, die sich im Rahmen ihrer Reportage "Der Todesplan" eingehend mit dem Fall Stefan Lamm beschäftigte, der Anfang 2012 seine Frau, seine beiden Kinder und anschließend sich selbst getötet hat. Sein Abschiedsbrief war überschrieben mit "Ein verpfuschtes Leben". Lamm, der berufliche Schwierigkeiten hatte, habe seine Familie umgebracht, "weil mein alleiniger Tod oder auch mein Weiterleben meine Familie in tiefe Trauer gestürzt und tief verletzt hätte." Auch hier zeigt sich die uneingeschränkte Selbstbezogenheit.

Ob diese Täter- und Hintergrund-Analyse der Realität annähernd gerecht wird, bleibt natürlich fraglich. Denn wer kann schon genau sagen, welche Abgründe sich in der Seele eines Menschen auftun, der zu solch einer Tat fähig ist. Kastner gab dazu einen passenden Hinweis: "Bei solch seltenen Ereignissen kann man keine Gesetzmäßigkeiten feststellen." Denn tatsächlich sollen einer US-Studie zufolge im Jahr lediglich 0,2 erweiterte Suizide pro 100.000 Einwohner passieren.

Keine Hilfe für die verwaiste Mutter

Die Hintergründe eines erweiterten Suizids mögen zum Teil verborgen bleiben, die Folgen für Hinterbliebene wie Salomon sind dagegen für jeden sichtbar. Während der gesamten Diskussion über die Täter fühlte sie sich sichtlich unwohl, Fragen zu ihrem Mann schienen sie regelrecht zu quälen. Hier muss sich Jauch fragen lassen, warum er das dieser offensichtlich von ihrer anfänglichen Schilderung mitgenommenen Frau angetan hat. Respekt für Doreen Salomon, dass sie bis zum Ende durchgehalten hat.

Denn erst fünf Minuten vor Ende der Sendung kam Jauch die Erkenntnis, dass eigentlich viel zu viel über die Täter, und viel zu wenig über Menschen wie Salomon gesprochen werde. Sehr spät, aber nicht zu spät. "Ja, ich empfinde das so", sagte Salomon. Sie habe sich allein gelassen gefühlt, als sie aus der Klinik entlassen wurde. Bis heute habe sie keinen Psychologen gefunden, der sich ihres Problems annehmen wolle. Noch dazu steht sie vor großen finanziellen Problemen. In ihren alten Job als Krankenschwester will sie nicht mehr zurück. Spritzen und Menschen in Betten erträgt sie nicht mehr.

Das Angebot einer Freundin, Patentante ihres neugeborenen Kindes zu werden, könnte der erste Schritt zurück in ein geordneteres Leben sein. Ob sie es annimmt, weiß sie noch nicht. Im Moment weiß sie nur eins: "Mein Sohn fehlt mir ungemein."

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