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Zerstörung und Neuanfang: Das könnte den deutschen Wald retten


Zerstörung und Neuanfang
Das könnte den deutschen Wald retten


Aktualisiert am 27.07.2020Lesedauer: 5 Min.
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Abgestorbene Fichten im Nationalpark Harz bei Oderbrück: Die Klimakrise ist hier nicht mehr zu leugnen.Vergrößern des Bildes
Abgestorbene Fichten im Nationalpark Harz bei Oderbrück: Die Klimakrise ist hier nicht mehr zu leugnen. (Quelle: Jochen Eckel/imago-images-bilder)

Es gibt fast täglich Horrormeldungen über den schlechten Waldzustand. Die Schäden haben ein historisches Ausmaß erreicht. So schlimm war es seit 200 Jahren nicht. Doch es gibt Hoffnungsschimmer.

Er ist ein Paradies für Wanderer und Spaziergänger: der Nationalpark Sächsische Schweiz. Das Reservat ist romantisch gelegen in einem südöstlichen Zipfel des Freistaates Sachsen – mit bizarren Felsgebilden, malerischen Tälern und mystischen Wäldern.

Doch wie im Rest der Republik hinterlässt die Klimakrise auch hier ihre drastischen Spuren. So werden Besucher des Nationalparks momentan vor Gefahren durch umbrechende Bäume gewarnt. Bei starkem Wind solle man auf morsche Äste und Baumspitzen achten, vor allem von abgestorbenen Fichten. Betreten auf eigene Gefahr!

Der Grund für die Warnung: Den ohnehin geschwächten Nadelbäumen haben Sturm und Dürre der vergangenen Jahre besonders zugesetzt. Der Borkenkäfer – Baumfeind Nummer eins – gab ihnen den Rest. Eigentlich befällt der gefährliche Schädling nur kränkelnde und absterbende Fichten. Doch bei Trockenheit und Hitze vermehrt er sich massenhaft und frisst sich generalstabsmäßig auch durch den gesunden Baumbestand.

Dabei sind das Klima und die damit verbundene Borkenkäferplage aber nur eine Ursache für das Waldsterben in Deutschland.

Eintönige Fichtenforste statt naturnahe Mischwälder

Der größte 'Schadbeschleuniger' im deutschen Wald ist vor allem die Monokultur. Statt naturnaher Mischwälder bietet Deutschland häufig nur eintönige Fichtenforste. Laut der letzten Bundeswaldinventur von 2012, die das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Auftrag gab, wachsen in deutschen Wäldern zwar rund 51 Baumarten, doch rund die Hälfte entfalle dabei allein auf Nadelbäume wie Fichte (25 Prozent) und Kiefer (22 %). Erst dann folgen Laubbäume wie Rotbuche (15 %) und Eiche (10 %).

Wenn ab April 2021 die zuständige Ministerin Julia Klöckner (CDU) turnusgemäß die vierte Inventur startet, wird sich aller Voraussicht nach daran nicht viel geändert haben. Obgleich das Ministerium schon 2012 – damals unter Ilse Aigner (CSU) – "standortgerechte, strukturreiche Mischwälder" forderte. Sie böten bessere Voraussetzungen, sich an Umweltveränderungen anzupassen und Risiken wie Sturm, Schädlinge und Baumkrankheiten auszugleichen. Passiert ist in den vergangenen acht Jahren aber wenig – trotz der im Koalitionsvertrag von 2018 verabschiedeten "Waldstrategie 2020". Vielmehr haben die Dürresommer 2018 und 2019 die Lage noch einmal verschärft.

Das sehen auch Experten wie Alexander Held so. Im Interview mit t-online.de sagte der Forstwissenschaftler, dass es schon immer Kritik an den Fichtenplantagen gegeben habe, aber es habe zu lange gedauert, "bis unter den Förstern – und ich möchte mich da bewusst nicht ausnehmen – ein Umdenken stattgefunden hat."

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Frostsichere Fichte, anspruchslose Kiefer

Vor mehreren Jahrhunderten lag der Anteil der Nadelwälder auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands nur bei einem Prozent. 2012 waren es rund 57 Prozent. Das ist auch historisch bedingt, weil die deutschen Wälder ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts mit der frostsicheren Fichte und der anspruchslosen Kiefer aufgeforstet wurden. Ihr Vorteil: Sie wuchsen schnell und konnten den ökonomischen Hunger nach Holz als Baumaterial stillen.

Dass diese einseitige Aufforstung zwei Jahrhunderte später zum Problem werden würde, ahnte damals noch niemand.

Zwar ist laut der letzten Bundeswaldinventur der Anteil der Laubbäume zwischen 2002 und 2012 um rund sieben Prozent gestiegen und die Quote der Nadelbäume um rund vier Prozent gesunken, aber das starke Ungleichgewicht bleibt.

Doch trotz der katastrophalen Lage um den deutschen Wald gibt es Hoffnungsschimmer im spärlichen Waldesdickicht. Ausgerechnet im Bundesland Niedersachsen, das geographisch den Teutoburger Wald streift. Jenem schier undurchdringlich erscheinenden und mythisch aufgeladenen Gebiet, in dem im Jahr 9 nach Christus – so die Überlieferung der römischen Geschichtsschreibung – die Germanen über die Truppen Roms siegten.

Im Jahr 1991 legte die niedersächsische Landesregierung ein Programm auf, das auf einen Ausgleich zwischen Waldnutzern und Waldschützern abzielte. Oder anders gesagt: Die rund 330.000 Hektar Landeswald sollten nachhaltig und naturnah bewirtschaftet werden. Jenes Zukunftsprogramm zur "Langfristigen Ökologischen Waldentwicklung" (LÖWE) enthielt 13 Grundsätze. Einer davon: mehr Mischwald, weniger Monokultur.

Denn zu Beginn der 1990er-Jahre bestand der niedersächsische Landeswald vor allem aus reinen Nadelwäldern mit Fichten und Kiefern. Diese sollten in der Zukunft aber auf nur wenige Standorte beschränkt werden. So pflanzte man in die damaligen reinen Fichtenwälder kleine Buchen, um einen Mischwald aus Nadel- und Laubbäumen entstehen zu lassen. Schon nach 25 Jahren konnte sich die Bilanz sehen lassen: Die Mischwälder mit Laubbäumen hatten ihren Anteil von 31 Prozent im Jahre 1991 auf 58 Prozent im Jahre 2016 fast verdoppelt.

1991 2016 Langfristiges Ziel
Mischbestände 45 % 59 % 90 %
Mischbestände mit Laubbaumanteil 31 % 58 % 65 %
Laubbaumanteil des Nachwuchses 52 % 73 % 65 %

Quelle: Niedersächsische Landesforsten

Der Nationalpark Sächsische Schweiz geht einen ähnlichen Weg – und schaffte es damit im vergangenen Jahr sogar in die Schlagzeilen der Nachrichten. So titelte eine große Boulevardzeitung: "Wandern durch den toten Wald: Sächsische Schweiz überlässt Touristenparadies dem Borkenkäfer."

Doch was skurril klingt, ist durchdachte Strategie. Im unberührten und naturnahen Ruhebereich des Parkwaldes wird das schädliche Insekt nicht mehr bekämpft. Hier darf es sich weiter durch die Baumstämme fressen. Zudem lässt die Parkverwaltung die toten, umgefallenen Bäume im Wald einfach liegen. Sie werden nicht mehr abtransportiert. Damit können holzzersetzende Pilze die Fichtenstämme quasi vor Ort recyceln und den Boden für nachwachsende Bäume bereiten.

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Der Borkenkäfer soll demnach dabei helfen, dass sich der Nationalpark ohne menschliches Zutun möglichst naturnah weiterentwickelt – ganz nach dem Prinzip "Natur Natur sein lassen".

Ein Zukunftsszenario ist, dass in vormals reinen Fichtenwäldern ein Mischwald mit verschiedenen Baumarten entsteht. Das werde aber noch einige Zeit brauchen, sagt Jens Posthoff vom Nationalpark Sächsische Schweiz t-online.de. Genaue Prognosen könne er nicht abgeben. Dennoch biete der Borkenkäfer eine Chance, den Wald natürlich umzubauen, so der Experte.

Plan erfüllt – dank des Borkenkäfers

Ein zusätzlicher Nebeneffekt: Um die Kriterien zur internationalen Anerkennung als Nationalpark zu erfüllen, sollten die unberührten und naturnahen Flächen im Ruhebereich des Reservates ursprünglich bis zum Jahr 2030 auf 75 Prozent erweitert werden. Durch die Klimakrise und die grassierende Borkenkäferplage wurde dieses Ziel nun schon im Jahr 2020 erreicht.

Die Klimakrise ebenso als Chance sieht Jörg Müller. Der Tierökologe kommt zu dem Schluss, dass Waldschäden auch ihr Gutes haben, zum Beispiel in Bezug auf die Artenvielfalt. Müller, der in Würzburg lehrt, hat dafür zusammen mit Forschern anderer Universitäten 497 Waldstücke in Deutschland untersucht, darunter auch in den Nationalparks Hainich und Bayerischer Wald.

Mit Hilfe von Laserscanning untersuchten die Wissenschaftler die komplexe Waldstruktur sehr vieler Waldbestände, aber auch Tier- und Pflanzenarten. Ein Ergebnis: Der Wechsel von dichtem Wald und Lücken erhöhe demnach die Vielfalt in den meisten Artengruppen, schreiben die Forscher um Müller in der Fachzeitschrift "Nature Ecology & Evolution". "Damit erscheinen die aktuell häufig beklagten Waldschäden im Zuge des globalen Klimawandels mit absterbenden Baumgruppen in dichten Wäldern in einem neuen Licht", erläutert der Tierökologe.

Obgleich das für Jens Posthoff vom Nationalpark Sächsische Schweiz nur ein schwacher Trost sein kann, so zeigt es dennoch, dass die Klimakrise für die Zukunft auch Chancen bietet – für einen nachhaltigen deutschen Wald.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Nachrichtenagentur dpa
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