Reiserechts-Experte warnt "Momentan gibt es zwei große Risiken für Urlauber"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Sommer ist vorbei und viele sehnen sich nach Herbsturlaub. Doch bei Reisebuchungen ist jetzt einiges zu beachten, wie Reiserechts-Experte Andreas Sernetz erklärt. Warum Flextarife häufig nicht helfen und wie Sie am besten buchen.
2020 schien es noch recht einfach zu sein: Gab es für ein Land eine Reisewarnung, folgte nahezu automatisch die kostenlose Stornierung des geplanten Urlaubs. Jetzt, nach anderthalb Jahren Pandemie, ist allerdings alles anders. Weder bei Flug- noch bei Pauschalreisen ist derzeit ein kostenloser Reiserücktritt möglich, nicht einmal bei einem exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen oder flächendeckenden Reisewarnungen. Denn jetzt kommt die Pandemie nicht mehr "überraschend".
Andreas Sernetz, Experte für Reiserecht vom Fluggastrechteportal "FairPlane", erklärt im Interview mit t-online, was Urlauber deshalb jetzt bei der Buchung von Urlaubsreisen beachten sollten und warum Flextarife und Reiserücktrittsversicherungen ganz genau unter die Lupe genommen werden sollten.
t-online: Was hat sich im Vergleich zu 2020 bei den Stornierungsrichtlinien verändert?
Andreas Sernetz: Die Situation hat sich kolossal verändert. 2020 ist das alles sehr plötzlich auf uns hereingebrochen. Plötzlich waren alle Flughäfen dicht, alle Reisen abgesagt, alle Flüge storniert. Es gab zum ersten Mal Reisewarnungen der höchsten Stufe über die ganze Welt. Es gab viele Menschen, die Reisewarnungen dann auch mit Reiseverboten verwechselt haben und gar keine Reisen mehr gebucht haben. Nach anderthalb Jahren ist das jetzt anders: Jeder ist mit diesen Worten vertraut und will trotzdem wegfliegen. Auch Reiseveranstalter und Fluglinien haben sich darauf eingestellt. Es gibt kein Stornierungschaos mehr.
Und für die Konsumenten hat sich rechtlich etwas verändert: Es liegt keine außergewöhnliche Veränderung – wie die Pandemie – mehr in den Zielländern vor. Das heißt, der Kunde kann nicht sagen, er hat im Juli gebucht und wusste von Corona nichts. Ein Kunde, der heute bucht, wird einerseits nicht mehr erleben, dass der Reiseveranstalter oder die Airline von sich aus storniert. Es gilt mittlerweile: Wer zuerst storniert, verliert. Und wenn die Zahlen am Zielort wieder steigen, kann aber auch der Kunde nicht mehr kostenlos stornieren. Das heißt, er wird an dieser Buchung hängenbleiben und das bezahlen müssen. Das müssen Reisende beim Buchen jetzt bedenken.
Andreas Sernetz coremedia:///cap/blob/content/90893698#dataist 1976 geboren und studierte Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er ist Gründer und Geschäftsführer von FairPlane, ein europäisches Portal für Fluggastrechte. Das Portal setzt sich dafür ein, dass Verbraucher ihr Geld bei Sachschäden am Gepäck, Stornierungen von Flügen und Pauschalreisen zurückerhalten.
Was sind aktuell die größten Risiken für Urlauber?
Ich sehe momentan vor allem zwei große Risiken: Ein dramatisches Anspringen der Infektionszahlen im Zielgebiet und der Kunde will nicht mehr fahren. Oder eine Infektion oder auch nur eine Kontaktsituation vor der Abreise. Also: Sie wollen abreisen und beispielsweise Ihr Kollege hat Corona und Sie bekommen vielleicht sogar eine behördliche Anordnung zur Quarantäne.
Für welche Reiseziele sehen Sie die geringsten Risiken aktuell?
Das ist schwer zu sagen. Im Sommer war es natürlich alles, was mit dem Auto erreichbar war. Jetzt sind es wahrscheinlich die nicht so stark frequentierten Gebiete wie beispielsweise die Malediven, wo ein Sicherheitskonzept leichter fällt. Oder das EU-Ausland wie die Kanaren, weil es dort doch noch mehr Vertrauen in die Organisation gibt.
In welchen Fällen können Reisende auch aktuell noch auf eine kostenlose Stornierung hoffen?
Also eine kostenlose Stornierung für einen Flug gibt es eigentlich nur dann, wenn die Fluglinie selbst den Flug storniert. Das war letztes Jahr häufig der Fall – jetzt ist es nicht mehr der Fall. Die Fluglinien wissen, wenn sie zuerst stornieren, dann müssen sie zahlen. Daher bleiben sie in der Deckung. Bei Pauschalreisen weiß ich auch keine Möglichkeit außer bei besonderen Flextarifen, die spezielle Stornomöglichkeiten enthalten. Im Gesetz heißt es, dass sich wesentliche Dinge von der Buchung bis zum Reisezeitpunkt geändert haben müssen – und das ist jetzt definitiv nicht mehr so. Auch eine Reisewarnung hilft nicht mehr für eine Stornierung.
Was sollten Urlauber bei der Buchung deshalb jetzt beachten, damit sie möglichst flexibel stornieren können?
Sie sollten auf Einzelbuchungen setzen: Flug und Hotel separat – und dabei darauf achten, dass beides stornierbar oder umbuchbar ist. Zusätzlich sollten sie auf Reiseversicherungen achten. Man muss abgesichert sein – nicht nur für eine mögliche Quarantäne am Reiseort, sondern auch für den Abbruch für den Rest der Familie. Denn die können natürlich nicht auch noch zwei Wochen länger bleiben. Generell würde ich aber auch zu Einzelbuchungen raten: Flug und Hotel getrennt.
Was halten Sie von den vielen Sonderangeboten vieler Flug- und Reiseanbieter, die möglichst große Flexibilität bieten?
Diese Flextarife sind momentan häufig. Es scheint damit so: Du hast einen Flextarif und kannst umbuchen, da brauchst du auch keine Versicherung mehr. Aber: Es geht oft nur um die Zeit bis 14 Tage vor der Abreise – bis dahin können Sie kostenlos stornieren oder umbuchen. Das ist aber genau die Zeit, die Ihnen nichts bringt. Denn 14 Tage vor der Abreise wissen Sie noch nicht sicher, ob Sie sich infizieren, sich Ihr Kind infiziert oder Sie Kontaktperson werden.
Auch wenn sich am Zielort etwas verändert, passiert das vielleicht nicht zwei Wochen vorher. Zahlen der Ergo Reiseversicherung zeigen beispielsweise: Mehr als 50 Prozent der stornierten Reisen werden innerhalb der 14 Tage abgesagt. Das heißt: Einerseits würde ich ganz klar eine sichere Destination suchen, wo auch die Organisation stimmt. Aber andererseits müssen Sie beim Buchen auch aufpassen.
Wie wichtig ist eine zusätzliche Reiserücktrittsversicherung?
Die Reiserücktrittsversicherung können Sie unter Umständen vernachlässigen, wenn Sie einen umbuchbaren Flug und ein stornierbares Hotel buchen. Bei einer Pauschalreise würde ich sie hingegen auf jeden Fall mitbuchen. Eine Reiserücktrittsversicherung ist aber immer auch mit einer Reiseabbruchsversicherung kombiniert. Und dieses Produkt finde ich sehr schlau. Denn es ermöglicht zum Beispiel, dass ein Quarantänehotel bezahlt wird oder die Rückreise – oder auch die Rückreise von nicht betroffenen Mitreisenden. Das sind sicher Dinge, die momentan wichtig sind.
Was sollte eine gute Reiseversicherung aktuell auf jeden Fall enthalten?
Beispielsweise dass die Stornokosten übernommen werden, wenn einer der Reisenden infiziert ist. Sie sollte auch dann noch greifen, wenn eine Reisewarnung gilt – und nicht als Versicherung dann aussteigen. Die Versicherung sollte aber auch den Rücktritt zahlen, wenn Sie beispielsweise eine behördliche Anordnung haben, nicht zu reisen, weil Sie eine Kontaktperson sind. Oder auch dann, wenn Sie nicht einreisen dürfen, weil zum Beispiel der Verdacht besteht, dass Sie infiziert sein könnten. Zusätzlich sollten die Quarantänekosten vor Ort übernommen werden und auch die Rückreise, wenn Sie beispielsweise am Zielort am Flughafen kontrolliert und nicht hineingelassen werden.
Zum Schluss noch ein kleiner Ausblick: Was glauben Sie, wann kann man wieder ganz normal reisen?
Ich glaube, diesen Winter wird es noch sehr viele Dinge zu bedenken geben – auch wenn die Zahlen jetzt noch nicht wieder dramatisch steigen. Aber die Länder sichern sich ja entsprechend ab. Aber ich glaube, dass im kommenden Sommer die Trilogie Impfrate, saisonaler Effekt des Sommers und Sicherheitsvorkehrung der Hotels zu nahezu komplikationsfreien Reisen führen. Jetzt im Winter wird das Reisen allerdings noch ein wenig holprig sein.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Sernetz!