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Bauernproteste: Billigprodukt Landwirtschaft – zwei Landwirte im Vergleich


Landwirte in Deutschland
Deutscher Bauer: "Bei Wiesenhof würde richtig der Alarm losgehen"


Aktualisiert am 08.03.2020Lesedauer: 8 Min.
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Bauernproteste: Zwei Höfe, zwei Ansichten – hier zeigen die Bauern ihre Arbeit und sprechen Klartext. (Quelle: t-online)

Der eine arbeitet konventionell, der andere ökologisch: Zwei Bauern mit zwei Ansichten kämpfen mit denselben Problemen – und haben Forderungen. Ein Einblick in den Alltag zweier Landwirte.

Seit Monaten gibt es immer wieder Bauernproteste, teilweise bundesweit. Dabei geht es um die Düngeverordnung, die Macht des Lebensmitteleinzelhandels und mehr Wertschätzung durch die Gesellschaft. Was bewegt die Bauern? Was sind ihre Sorgen – und Forderungen? Und wie sieht ihre Arbeit auf den Höfen aus? t-online.de hat zwei von Ihnen mit der Kamera begleitet – einen konventionellen und einen Bio-Bauern. Das Ergebnis sehen Sie auch oben im Video oder hier.

Sülze, Niedersachsen: Seit 3.30 Uhr ist Landwirt Paul Rabe schon auf den Beinen. Rabe ist 38 Jahre alt und hat den Milchviehbetrieb mit knapp 300 Milchkühen und ihren Kälbern von seinem Vater übernommen. Unruhig tritt die Kuh mit ihrem Hinterbein auf. Das hellrosa Euter ist samtig und prall gefüllt. Die anderen Kühe sind schon längst an die Melkmaschinen angeschlossen, kauen entspannt vor sich hin. Nur diese Kuh wartet noch darauf, endlich erleichtert zu werden.

Adelheidsdorf, Niedersachsen: Im Stall des Kudammhofs mit eintausend umherlaufenden gackernden Hühnern bewegt das Laufband darin immer mehr der täglich insgesamt 5.000 gelegten Bio-Eier nach vorne. Das Prüfen und Einsortieren dauert, die Eier stauen sich vorne, eins zerbricht. Biolandwirt Johannes Erkens stoppt das Band.

Schwankendes Gehalt bei gleicher Leistung

Damit Verbraucher die Milch von Paul Rabe und die Bio-Eier von Johannes Erkens kaufen können, müssen die Landwirte im Vorfeld eine Menge Arbeit leisten, die den Konsumenten verborgen bleibt: Tieraufzucht, -pflege und -kontrolle, Futtermittel anbauen, ernten und kaufen, Gesundheitsvorsorge und Krankenpflege der Tiere, das Melken, Eiersammeln und -sortieren, Verpacken und Verkaufen – und das jeden Tag, bei Hitze und Kälte. Trotz dessen können sie sich nicht auf ein festes Gehalt verlassen, sind abhängig von schwankenden Marktpreisen. Vor allem kleine Betriebe fühlen sich außerdem mit den auf sie zurollenden politischen Forderungen allein gelassen.

Paul Rabe, seine Frau und die bald vier Kinder gehören mit ihrem Hof zu einem der knapp 60.000 Milchviehbetriebe in Deutschland. "Man braucht schon eine Leidenschaft für den Beruf. Wenn ich zwölf Stunden am Tag arbeite und als Meister mit 30 Euro Stundenlohn rechne, hätte ich ein herausragendes Jahresgehalt. Jeder würde Bauer werden wollen. Aber so ist es nicht. Mein Einkommen hängt von anderen Entscheidern ab."

Im Jahr verkauft Rabe 285.000 Liter Milch an die Molkerei. Die zahlt ihm zurzeit für einen Liter Milch 30,9 Cent, aber das kann sich schnell ändern, je nach Nachfrage. Rabe wünscht sich, dass der Einzelhandel seine Billigangebote auf andere Produkte setzt statt auf Milch, Fleisch und Eier.

Bauernproteste und Existenzangst

2019 war er bei Kundgebungen zur Agrarpolitik in Hamburg und Hannover dabei. Er wünscht sich eine klare Linie der Politik und endlich eine bessere Kommunikation mit den Entscheidern: "Die verlangten Änderungen von jetzt auf gleich – da kommen wir Landwirte gar nicht hinterher."

Was er meint, ist die neue Düngeverordnung: Verursacher der Nitratbelastung im Grundwasser sind Betriebe mit vielen Tieren, aber zu wenig Fläche zum Ausbringen der Gülle. Unter Druck gesetzt durch das Marktprinzip "immer mehr und immer billiger", versuchen Bauern die Produktion zu steigern – ein festgefahrener Kreislauf, und der hat oft Konsequenzen für die Natur.

Vor drei Jahren passten die Landwirte sich an die Düngeverordnung an, investierten in größere Ländereien oder neue Düngetechniken. Die Ergebnisse? Doch nicht ausreichend für die Vorgaben der EU, eine weitere Verordnung ist schon auf dem Weg. Für viele zu schnell, denn der finanzielle Spielraum ist klein. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe sinkt seit Jahren, besonders kleinere Betriebe können die nötigen Investitionen nicht mehr stemmen und damit den gesetzlichen Vorgaben nicht gerecht werden. Höfesterben ist auch Rabe ein Begriff. Er ist der einzige in der Umgebung, der bis heute überlebt hat.

Praxisferne Vorgaben erschweren die Arbeit

Auf seinem Biohof hält Ökobauer Johannes Erkens gemeinsam mit seiner Frau, seinem Sohn und seiner Tochter neben 6.000 Legehennen, Hähnen und Küken auch 30 Rinder. Bei strahlendem Sonnenschein laufen zwei rotbraune Hühner quer über den Hof. "Das sind Henriette und Else. Die beiden sind unsere Hofhühner und leben hier komplett selbstbestimmt", erklärt Erkens zur Begrüßung mit einem kräftigen Handschlag. Ausgestattet mit einem weißen dünnen Overall und durchsichtigen Überziehschuhen – "für die Hygiene" – geht es zu den Ställen. Bis 10 Uhr müssen die Hühner im Freilauf sein.

Erkens ist 49 Jahre alt und Biobauer aus Überzeugung. Respekt gegenüber den Tieren und ein artgerechtes Leben seien ihm wichtig: "Die Richtlinien der EU bilden die Orientierungspunkte für uns", erklärt er, während er über den Hof, vorbei an Hofladen und Eiersortierraum zu den Ställen geht. Er wünscht sich gegenüber den Landwirten faire Preise vom Einzelhandel und einen bewussteren Fleischkonsum des Verbrauchers. Er schlägt vor, dass von den Produkten im Supermarkt ein bestimmter Betrag direkt an den Landwirt geht. Aktuell erhalten sie von dem Gewinn der verkauften Lebensmittel nichts.

Riesige Flächen erstrecken sich auf Erkens Biolandhof rund um die sechs Mobilställe mit jeweils 1.000 Hühnern. In einem Monat wird er sie im mobilen Stall von der einen leergepickten Fläche zur nächsten frischen fahren. Vier Quadratmeter Auslauffläche pro Huhn werden von den EU-Bio-Richtlinien verlangt. Die streng geregelten Standards werden einmal jährlich umfassend kontrolliert – bei allen rund 460 ökologischen Betrieben für Legehennenhaltung in Deutschland.

Die Haltungsregeln und Kontrollen gehören dazu. Über einige neu angesetzte EU-Richtlinien kann Erkens allerdings nur den Kopf schütteln: "Da sitzen fernab der Praxis die Politiker und entscheiden zum Beispiel über eine Nulltoleranzgrenze für Dioxin, ohne zu wissen, dass es nicht umsetzbar ist." Schadstoffe seien noch von vor vielen Jahren im Boden und werden über viele hunderte Meter weit über den Wind verbreitet. Dagegen lasse sich auch für Bio-Bauern nichts tun.

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Gesunde Tiere sichern das Einkommen

Zurück im Melkhaus bei Paul Rabe: Ein Luftzug weht den Geruch von Gülle herein. Der Bauer steht hinter der letzten Kuh und zeigt, wie sie gemolken wird: Zitzen abwischen, per Hand anmelken, Milch prüfen, Sauger ansetzen. Der Milchzähler zeigt den Stand: Knapp 22 Liter Milch. Das zuerst pralle Euter ist nun deutlich kleiner. Die Maschine erkennt, dass es leer ist und stoppt. Abstöpseln und die Zitzen mit Jod desinfizieren, damit keine Bakterien eindringen können. Fertig.

Knapp sechs Jahre bleiben Rabes Kühe auf dem Hof. Sobald eine Kuh statt 50 Liter zu Spitzenzeiten nur noch zwischen 15 und 20 Liter Milch am Tag gibt, ist es soweit: Sie "verlässt den Betrieb", das heißt, sie geht zum Schlachter.

Gut zu wissen: Wer denkt, Kühe werden stundenlang gemolken, liegt falsch. Pro Kuh sind es im Schnitt nur fünf bis zehn Minuten. Und das zweimal am Tag. Die Zeit dazwischen ist wichtig für die Regeneration, denn Milch zu produzieren, ist harte Arbeit für die Kuh.

Die hohe Milchleistung macht Kühe anfälliger für Krankheiten. Dazu zählen Euterentzündungen oder Lahmheit. Angesichts niedriger Milchpreise lohnt eine lange tierärztliche Behandlung oft nicht – die Tiere müssen früher zum Schlachter. "Die Kühe sind unser Einkommen. Geht es ihnen schlecht, geben sie weniger Milch oder sterben früher", so Rabe. Daher achtet er auf eine energiereiche und proteinhaltige Futterzusammensetzung und züchtet schon seit sieben Jahren auf gesundheitliche Verbesserungen: kräftige Beine und starke Euter zählen dazu.

Die zweieinhalbjährige Aufzucht der Kälber ist der intensivste Kostenfaktor für den Landwirt: Durchschnittlich 2.000 Euro kostet ihn ein Kalb, bis es mit knapp zwei Jahren das erste Mal Milch geben kann. Er ist trotzdem stolz auf seine neugeborenen Tiere. „Sie sind alle sehr hübsch“, sagt Rabe und klopft ein Kälbchen am Hals. Die Tiere sind nur wenige Tage und Wochen alt und blicken mit großen Augen aus ihren Strohboxen empor. Einige trauen sich sogar ans Gitter, saugen an der ausgestreckten Hand, die Zähne noch ganz weich.

Nach dem Motto: "Jedem Tier ein Leben geben"

Biobauer Erkens dokumentiert alles akribisch handschriftlich und überträgt es täglich in Exceltabellen: Die Eier, die Gesundheit der Hühner, die Ausstattung und das Futter – auch heute. Er sucht den Stall nach Auffälligkeiten wie kranken Hennen oder verlegten Eiern ab. Alles in Ordnung.

Hühner flattern umher, ein weißer Hahn stolziert an ihnen vorbei. Es gibt Sitzstangen und abgedunkelte Brutplätze, in denen die Hühner ihre Eier legen. Der Boden darin ist leicht schräg, sodass die Eier in die Mitte rollen und dort auf dem Laufband nach vorne gebracht werden können. Er späht hinein. Ziemlich viele liegen darin. Täglich sind es bei 1.000 Hühnern knapp 800 Eier je Stall.

Hennen aus ökologischer Haltung legen mit durchschnittlich 285 Eiern im Jahr hochgerechnet deutlich weniger als Hennen aus Bodenhaltungsbetrieben. Diese legen im Durchschnitt 300 Eier pro Jahr, haben dafür aber im Stall weniger Platz und keinen Auslauf an der frischen Luft. Für Landwirte ist diese Form gewinnbringender und platzsparender. Erkens allerdings möchte seinen Tieren zumindest in ihrem kurzen Leben eine artgerechte Haltung ermöglichen. "Wer einen Anspruch an gute Tierhaltung hat, muss im Gegenzug auch bereit sein, einen gewissen Geldwert auf den Tisch zu legen", ist er der Meinung.

Er kurbelt das Stalltor hoch. 1.000 Hennen strömen an die frische Luft und verteilen sich in kleinen Gruppen zwischen acht und zwanzig Tieren im Auslauf. "Hühner leben in sozialen Hierarchien. Sie sind wie wir damals auf dem Schulhof: Sie bilden Grüppchen. Da gibt es die Macker, die gehen überall durch, andere trauen sich nicht an bestimmte Plätze, wieder andere gehen nur gemeinsam mit ihren Freunden", erklärt er.

Nicht nur der Wille zählt: „Jeder kann heute etwas tun“

Erkens steht im nächsten Stall seiner 35 Tage alten Bruderküken. Das sind die männlichen Küken, die in diesem Betrieb nicht wie sonst vielerorts geschreddert werden. Sie setzen weniger Fleisch an als Masthähnchen und legen keine Eier – für viele Großbetriebe sind sie wertlos. Hier laufen sie frei in dem Gehege umher, immer beisammen als große hellgelbe Schar. Er nimmt eines auf den Arm, streicht über den dürren Hals. Die Knochen fühlen sich an, als könnten sie mit zwei Fingern zerbrochen werden. Dass sie weniger Fleisch ansetzen, sei überhaupt kein Problem, wenn die Gesellschaft generell weniger Fleisch verlangen würde, so Erkens.

Er schlägt vor, dass alle Bundesbürger eine Woche lang auf Hähnchenfleisch verzichten sollten: „Jeder kann heute etwas tun. Bei Deutschlands Marktführer für Geflügelfleisch Wiesenhof würde diese eine Woche des Verzichts schon deutliche Konsequenzen für Preis und Menge bedeuten.“ Acht Millionen Tonnen Fleisch wurden laut statistischem Bundesamt 2019 in Deutschland produziert. Das sind knapp 1,5 Prozent weniger als im Vorjahr.

Er schlendert über den Hof zum Rinderstall. Wenn einmal im Monat eins der 30 Bio-Rinder abtransportiert wird, begleitet Erkens es zum Schlachter. „Es fällt mir nie leicht, ein Tier gehen zu lassen. Dennoch gehört es dazu, es sind Nutztiere. Ich nehme dann die Seele des Tieres zurück auf den Hof.“ Er lehnt sich ans Gatter und schaut in die klaren Augen der hellbraunen Rinder.

Leidenschaft für Tier und Natur

Erkens überlegt: "Wenn ich eine Sache ändern könnte? Einfach mal raus sein. Aber das bist du hier nie. Meine Arbeit ist nun mal auch mein Zuhause. Dafür genieße ich es, morgens die Natur und die Tiere erwachen zu sehen. Und ich liebe den Geruch von frisch bearbeitetem Boden."

Milchbauer Rabe sitzt bei einem Tee im Esszimmer des großen Bauernhauses. Er wärmt sich auf, seine kleine Tochter sitzt auf seinem Schoß und spielt mit zwei Plastikkühen: "Besonders im Winter ist es auch mal schwierig. Morgens bei minus zwölf Grad, da kann ich den Mist nicht mehr schieben, der friert fest. Da musst du schon überzeugt sein von dem, was du tust."

In und mit der Natur arbeiten, im Dreck wühlen und sich mit den Tieren beschäftigen – Rabe und Erkens sind passionierte Landwirte. Um eine Agrarwende für alle Seiten fair umzusetzen, ist ein offener Dialog zwischen Bauern, Politikern und Verbrauchern notwendig. Zukunftsängste und Ohnmachtsgefühle der Landwirte stauen sich in Frust auf und entladen sich während der Demonstrationen genauso wie die der Klimaaktivisten.

Einfach mal eben die Tierhaltung oder den Ackerbau ändern, klingt für den Außenstehenden leicht, ist für die Bauern aber mit erheblichen Investitionen und Zeitaufwand verbunden. Hier ist – besonders für kleinere Betriebe – Unterstützung gefragt, um Lösungen für eine faire, aber gleichzeitig nachhaltige Landwirtschaft und ihre Lebensmittel zu finden.

Wie die Bauern auf ihren Höfen arbeiten, sehen Sie auch oben im Video oder hier.

Verwendete Quellen
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