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US-Wahlen 2020: Trump gegen Biden – So tief geht Amerikas Spaltung


US-Wahlkampf
So tief geht Amerikas Spaltung

MeinungEine Kolumne von Fabian Reinbold, Washington

Aktualisiert am 16.10.2020Lesedauer: 5 Min.
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Donald Trump beim Wahlkampf in North Carolina: Amerikas Spaltung zeigt sich selbst in der Vorstadt.Vergrößern des Bildes
Donald Trump beim Wahlkampf in North Carolina: Amerikas Spaltung zeigt sich selbst in der Vorstadt. (Quelle: Evan Vucci/ap)

Donald Trump fleht um die Stimmen der Wählerinnen in den Vorstädten. Werden sie ihn erhören? Selbst unter ihnen tut sich ein tiefer Graben auf. Ein Besuch im Speckgürtel Washingtons.

Der vergangene Abend brachte einen Moment der Ehrlichkeit in den US-Wahlkampf. Statt des zweiten TV-Duells mit Joe Biden kam es am Donnerstag zum Fernduell. Der eine in Miami, der andere in Philadelphia, der eine auf NBC, der andere auf ABC, zwei Knöpfe auf der Fernbedienung und zweitausend Kilometer voneinander entfernt.

Beim einen geht’s Amerika bombig, bis auf “China-Virus” und marodierende Antifa-Horden, beim anderen sind die Rechte von Transgender-Kindern ebenso bedroht wie die Demokratie an sich. Zur Erinnerung: Zum Fernduell kam es nur, weil Trump sich Covid einfing und nicht ehrlich über den Krankheitsverlauf war, die Debatte deshalb virtuell stattfinden sollte, woraufhin Trump absagte.

Doch von mir lesen Sie heute keine Silbe zu Trumps Tabubrüchen und Bidens Abschweifungen, nichts über die Empörung und den Spott, die diese Auftritte nach sich ziehen (steht ja sonst schon überall, etwa hier).

Denn die Ehrlichkeit lag hierin: Der Abend zeigte zwei Kandidaten, die nicht streiten, sondern aneinander vorbeireden. Zwei, die zu ihren Leuten sprechen. In ihren Räumen, zu ihren Themen, in ihren Sprachen. Der Abend ist für mich das Sinnbild für diesen Wahlkampf, für die USA im Jahr 2020.

Er zeigte das gespaltene Amerika. Mittlerweile ist das eine Phrase, nicht falsch, aber wiedergekäut bis zur Unkenntlichkeit. Denn was heißt das eigentlich: ein gespaltenes Land? Und wie tief ist der Graben?

Ich habe darauf eine Antwort gefunden, als ich rausfuhr aus Washington, über die Dauerbaustelle Interstate-66 durch den nicht enden wollenden Speckgürtel um die Hauptstadt. In Virginia sind bereits seit vier Wochen die Wahllokale offen und in Fairfax steht seitdem Tag für Tag eine Schlange an Frühwählern. (Die Rekordzahlen beim early voting sind eine ganz schlechte Nachricht für Trump, aber das ist eine andere Geschichte.)

Ich wollte weg von den üblichen Kronzeugen der Spaltung, den Meinungsmachern im Fernsehen und auf Twitter, den Aufgepeitschten auf den Trump-Rallys und den Protesten. Also habe ich mich in die Schlange gestellt. Mein kleines Experiment: Ich rede mit niemandem der üblich Verdächtigen, deren Gesinnung man von weitem sieht, sondern ich rede mit den Frauen der Vorstadt, um die 50 Jahre alt, einer stark umworbenen Wählergruppe, der übermäßigen Polarisierung unverdächtig (Trump am Dienstag, nur halbironisch flehend: “Frauen aus den Vorstädten, bitte mögt mich doch!”). Was sie mir sagten, war eindrücklich.

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Ich kam bewusst mit den immer gleichen Fragen in die Schlange. Was steht für Sie bei der Wahl auf dem Spiel? Sind die USA ein gerechtes Land? Wie schlimm ist der Rassismus? Und: Wie erleben Sie selbst die Spaltung?

Ich sprach mit Holly, dann mit Ruth und schließlich mit Debbie. Drei weiße Frauen aus den Vorstädten, alle waren sie Ende fünfzig, hatten einst studiert, lebten seit Jahrzehnten hier im Speckgürtel Washingtons. Sie waren alle in konservativen Familien aufgewachsen – und nun tat sich zwischen ihnen ein tiefer Graben auf.

Ich ahnte, auf welcher Seite Debbie Smith stehen würde, einfach weil sie eine große Maske trug mit der Aufschrift “Vote”, schon das ist ein politischer Marker. Das wichtigste bei der Wahl? “Nettigkeit, Menschlichkeit, Respekt – und dass die Lügen aufhören”, sagte sie. “Die Wirtschaft, die so gut lief”, sagte Ruth, die Leggins trug. Und Holly, die zum Zeitvertreib in der Schlange auf ihrem Kindle las, blickte hoch und sagte: “Ich will einfach nur Donald Trump loswerden.”

“Health care”, also die Gesundheitsversorgung, war Holly und Ruth wichtig, das sagen sie wortgleich, doch meinten etwas Grundverschiedenes: Ruth trieb die Furcht vor einem “sozialistischen System” um, das die Versicherung noch teurer machen würde. Für Holly hieß Sorge um “health care”, dass die Versorgung von Frauen und das Recht auf Abtreibung beschnitten werden könnte.

Die große Debatte über Rassismus im Land? “Ich finde es nicht gut, wenn wir unsere Geschichte besudeln”, sagte Ruth. “Die Debatte ist überfällig” sagte Holly. Debbie: “Es war für mich eine Erweckung. Ich habe mich nie als rassistisch geprägt gesehen, aber natürlich sind wir das alle. Jetzt habe ich es zum Glück verstanden.”

Wie ungerecht ist das Land? Ruth wurde augenblicklich leiser, als ich danach fragte. War das, weil hinter uns ein schwarzer Mann in der Schlange stand? “Ich denke, dass alle Leben zählen”, sagt sie. All lives matter statt black lives matter also. “Wir können nicht die Herzen der Leute ändern. Jeder hat doch hier alle Möglichkeiten.” Es ist, wie es ist.

Holly und Debbie sahen etwas ganz anderes im Protest, der das Jahr in Amerika prägte. “Es ist doch klar, dass wir eben nicht alle gleich sind in diesem Land”, sagte Holly. Jeder müsse das Leid der Schwarzen verstehen lernen. Es geht so nicht weiter.

Was die drei Frauen mit ähnlichen Biografien in wenigen Sätzen beschrieben, waren unvereinbare Sichtweisen. Nicht auf Details, sondern auf die große Frage, was Amerika überhaupt für ein Land ist.

Liebt man Amerika, wenn man Unrecht anspricht und versucht, es zu korrigieren? Oder liebt man Amerika, wenn man die eigene Geschichte ehrt anstatt sie zu hinterfragen?

Nach welchen Spielregeln funktioniert das Land? Kann und muss es jeder auf eigene Faust schaffen? Oder machen es strukturelle Diskriminierung und Rassismus vielen viel zu schwer?

Interessieren Sie sich für die US-Wahl? Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über den Wahlkampf, seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.

Es ist kein Streit darüber, wer die besseren Ideen bei Steuer- oder Finanzpolitik hat, sondern darüber, wer man ist und sein will. Biden und Trump bedienen ihn. Biden sagt oft: “Amerika ist eine Idee.” Der Kampf um Gleichberechtigung gehört dazu. Trump sieht Anti-Rassismus-Trainings als “anti-amerikanische Propaganda”. Die Verteidigung des Alten gehört dazu.

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Es ist auch kein parteipolitischer Streit. Debbie, die für sich erkannt hat, in einem zutiefst rassistischen Land zu leben, wählte bis vor kurzem noch die Republikaner. Sie hat einen Partner, der Trump gewählt hat, und sie hat im November Geburtstag.

Sie wünsche sich als einziges Geschenk von ihm, dass er den Präsidenten nicht noch einmal wählt. “Ich habe ihn schon ein bisschen mürbe gemacht”, sagte sie. Ob sie es schafft? “Ich habe nicht die geringste Ahnung.” Die Gräben sind tief.

Holly wollte kein Foto von sich machen lassen. Die Immobilienmaklerin hat Sorge, dass ihre Kunden ihr ihre Positionen übelnehmen könnten. Und während ich mit Ruth in der Schlange stehe, merke ich, wie der Abstand zur Vorderfrau immer größer wird. “Meine Tochter”, sagt Ruth. “Wir können nicht mehr über diese Themen reden. Oder?” ruft sie nach vorn. Die Tochter, gerade erwachsen, schaut ausdruckslos zurück. Kein Wort. “Wir vermeiden das Thema.” Die Gräben gehen durch die Familien.

Das ist es also, abseits der Schreihälse im Fernsehen und auf Twitter, an einem sonnigen Herbsttag in der Vorstadt: das gespaltene Amerika.

Dann erzählte Ruth von der konservativen Seite des Grabens noch etwas Interessantes: Sie möge Trump nicht. Seine Art auf Twitter sei schrecklich. Und Corona? “Das war idiotisch von ihm.” Er sei einfach nur ein Egoist, sagt sie.

Wählen wird sie ihn trotzdem. “Mir geht es wirklich richtig gut. So soll es bleiben.” Sie verkauft Hypotheken, das Business boomt. Gerade hat sie sich selbst ein zweites Häuschen gegönnt, draußen in den Bergen von West Virginia. “Weg von den Problemen.”

Denn bei den ganzen Problemen – zumindest bei denen, die sie sieht – da spricht der Präsident ihre Sprache. Sie sehen ein und dasselbe Amerika. Da fällt ein Versagen in der Pandemie gleich weniger ins Gewicht.

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