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Dialog mit Rechts: Was passiert, wenn man "besorgten Bürgern" antwortet


Dialog mit Rechts
Was passiert, wenn man "besorgten Bürgern" antwortet

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

Aktualisiert am 21.06.2019Lesedauer: 4 Min.
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Eine Pegida-Demonstration: Joachim Gauck forderte, sich mehr mit den Anhängern von Rechtspopulisten auseinanderzusetzen.Vergrößern des Bildes
Eine Pegida-Demonstration: Joachim Gauck forderte, sich mehr mit den Anhängern von Rechtspopulisten auseinanderzusetzen. (Quelle: Sachelle Babbar/imago-images-bilder)

Unsere Kolumnistin Lamya Kaddor hat Joachim Gaucks Appell ernst genommen und sich in "mehr Toleranz in Richtung rechts" geübt. Hier ist ihr Ergebnis.

Eine Frau schrieb mir diese Woche: "Bitte, antworten Sie nicht auf meine Mail. Sie leben in einer anderen Welt, ich in der Wirklichkeit und muss täglich erleben, wie sehr wir Deutschen uns im eigenen Land unterordnen müssen." Ihre Zuschrift endete mit den Worten: "Ich habe die Befürchtung – ich werde es zum Glück nicht erleben –, dass Deutschland in ca. 30 bis 40 Jahren untergehen wird, eben weil andere Gesellschaften hier herrschen wollen."

Was war geschehen? Ich hatte nur das getan, wozu Altbundespräsident Joachim Gauck diese Woche aufgerufen hatte. Ich wollte mehr Toleranz in Richtung rechts zeigen, zwischen rechtskonservativ und rechtsradikal unterscheiden und habe deshalb den Dialog mit einer Kritikerin gesucht. Da diese sich höflich und nicht ausfallend oder radikal, wie es viele andere es oft tun, geäußert hatte, antwortete ich ihr auf ihre erste Zuschrift und bekam diese Antwort zurück: eine sang und klanglos Diskurs-Verweigerung. Die Frau will sich nicht mit meiner Position auseinandersetzen. Sie hatte mich nicht angeschrieben, um in einen Austausch zu kommen. Sie wollte mir bloß ihre ablehnende Haltung übermitteln.

Kein Interesse an einem Dialog

Dieses Verhalten ist beispielhaft. Selbstverständlich gehe ich nicht erst seit Gaucks Appell auf solche kritischen Zuschriften ein, und deshalb mache ich die Erfahrung der Zurückweisung von durchaus freundlichen Menschen seit Jahren.

Die floskelhafte Forderung, besorgte Bürger ernst zu nehmen und auf ihre Ängste einzugehen, erscheint mir daher vielfach nur loses Geschwätz zu sein. Denn wenn man die Ansichten dieser Frau ernst nehmen und in konkretes politisches Handeln überführen würde, gäbe es nur zwei Optionen: A: Menschen mit Migrationshintergrund oder wahlweise Muslime, Geflüchtete und so weiter müssen aus Deutschland verschwinden. Oder B: Sie müssen sich zumindest so unsichtbar und unauffällig verhalten, dass die "echten Deutschen" sie in ihrem Alltag nicht mehr wahrnehmen müssen.

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Viele sogenannte besorgte Bürger haben kein Interesse an einem Dialog. Sie streben keinen Ausgleich an. Sie geben bloß vor, ängstlich, besorgt oder kritisch zu sein, weil sie nicht als "Nazi" abgestempelt werden wollen. Sie ahnen jedoch, dass ihre wahren Vorstellungen neonazistisch und völkisch sein könnten. Ihnen geht es nicht nur um weniger Einwanderung, was ein richtiges und legitimes politisches Interesse ist und was von mehreren Parteien der Mitte längst vertreten wird. Ihnen geht es um eine "gesellschaftliche Säuberung" Deutschlands. In abgeschwächter Form sind sie bereit, Menschen mit Migrationshintergrund als Gäste in diesem Land zu dulden, denen man jederzeit den Stuhl vor die Tür setzen kann, wenn man die Nase von ihnen voll hat.

Fürsprecher in Medien und Politik

Seit Jahrzehnten stehen diese besorgten Bürger nicht allein da. Sie haben Fürsprecher unter Intellektuellen, in den Medien und der Politik. Doch letztlich halten diese sie entweder zum Narren, weil sie wissen, die zwei Optionen A und B sind nicht umsetzbar, oder sie sympathisieren selbst mit diesen Haltungen.

Mit Blick auf die Politik gibt es noch eine Alternative: Man sucht den politischen Profit in der Hoffnung: Habe ich erst einmal die Wahlstimme der besorgten Bürger, werden die irgendwann schon einsehen, dass ihre Forderungen unrealistisch sind. Leider ist das ein Trugschluss, der nur zu politischem Frust und weiterer Radikalisierung führt.

Politik und Öffentlichkeit müssen ehrlich sein: Eine homogene deutsche Gesellschaft, wie es sie vermeintlich nach 1945 gab, kann es nicht geben. Wer den gesellschaftlichen Frieden im Land anstrebt, muss den besorgten Bürgern diese Erkenntnis vermitteln und den extremistischen Bürgern mit aller Härte des Gesetzes begegnen.

Ein Klima, in dem Rechtsterrorismus gedeihen kann

Wir haben mit der AfD eine Partei, die seit Jahren vorgibt, sich den Sorgen der Besorgten anzunehmen; in manchen Regionen ist sie bereits stärkste politische Kraft. Laut den Einschätzungen von Experten und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nach dem mutmaßlich rechtsextremistisch motivierten Mordfall Lübcke hat das nur eines bewirkt: ein Gesellschaftsklima in Teilen der Bevölkerung, in dem Rechtsterrorismus gedeihen kann. Folglich trägt zu dieser Entwicklung bei, wer an dieser Stelle mit der AfD läuft.

Man kann deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund weder aus dem Land treiben noch kann man sie auf Dauer marginalisieren. Ebenso wenig kann man mit falschen Versprechungen – genauer gesagt mit Lügen – den rechten politischen Rand einhegen. Das ist in der Tat "alternativlos".


Diese Erkenntnis schmerzt manche Bürger, so wie die Frau, von deren Zuschrift ich eingangs berichtet habe. Aber sie werden irgendwann akzeptieren müssen – entweder stillschweigend, durch zivilisiertes Miteinander oder durch die Mittel der Justiz. Wie sich Joachim Gauck das mit der Toleranz in Richtung rechts vor diesem Hintergrund konkret vorstellt, die Antwort bleibt er mir wie alle anderen auch schuldig.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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